Скачать книгу

malen wohl nebenbei auch?“

      „Ich interessiere mich wenigstens für Kunst,“ gab er herausfordernd zurück, da er in ihrem Lächeln leichten Spott zu bemerken glaubte.

      „So schreiben Sie wohl darüber?“

      „Wie kommen Sie darauf?“

      „Ich nehme es an. Sie haben so etwas, wie soll ich sagen — so etwas Kritisch-Spintisierendes.“

      „Danke für gütige Anerkennung.“

      „Es wird Ihnen zwar nicht recht sein,“ fuhr sie fort, „aber ich kann mir nicht helfen: ich habe keine grosse Meinung von den Kritikern. Ich sehe lieber aufbauen, als herunterreissen.“

      „Gut gesagt.“

      „Kritiker sind in der Regel unproduktive Menschen. Sie wollen immer mehr sehen als andere und entdecken lieber Schwächen als Vorzüge.“

      „Dann müsste ich eigentlich in Ihren Augen ganz bedeutend steigen,“ wandte er ein, „denn ich habe an Ihnen bisher nur Vorzüge entdeckt. Zum Beispiel, was die Hände anbetrifft.“

      „Ach gehen Sie doch mit meinen Händen.“ Trotzdem sie die Lippen aufwarf und die Unwillige spielte, schien sie innerlich von seinen Worten nicht unangenehm berührt zu sein. Das schloss er daraus, dass sie die weissen Finger aufs neue in ihrem Haar spielen liess.

      „Wenn das Koketterie sein soll, dann ist es jedenfalls eine süsse,“ dachte er und musste sich dabei gestehen, dass ihr Kopf mit dem ovalen Gesicht schöne, abgeschlossene Linien zeige. Nun, da ihr Scheitel frei war, sah er plötzlich ein anderes Bild, das lichten Mädchenschimmer trug. Er zerbrach sich den Kopf, wo er es schon gesehen haben könnte. Nicht in der Wirklichkeit, aber von irgend einem alten Meister wieder gegeben, er wusste nur nicht von wem. Giovanni Bellinis Madonnen mit ihren verschleierten Augen schwebten ihm vor. Das willensstarke Kinn fiel ihm ganz besonders auf. Vorher, als sie den Hut noch trug, war es ihm etwas zu massiv erschienen, nun aber passte es sich wohlgefällig dem schöngerundeten Oberkopf an. Wie so ein dummer Hut doch entstellen konnte. Und sofort malte er sich in seiner erregt gesteigerten Phantasie aus, wie alle Madonnen verlieren würden, wenn man plötzlich auf die verrückte Idee käme, ihnen die Hirnauswüchse der Putzmacherinnen durch die Farbe aufzudrängen. Unwillkürlich geriet er in stille Heiterkeit darüber, so dass sie ihn fragte, worüber er lache.

      „Über den Witz unserer Kultur,“ erwiderte er. „Ich stellte mir soeben die himmlische Sixtina mit einer Wippe vor.“

      „Und darauf sind Sie gewiss durch den Anblick dieser alten Kiepe gekommen. Gestehen Sie es nur ein.“

      „Offen gestanden, ja,“ gab er verlegen zurück, wieder erstaunt über ihren Scharfblick. „Das heisst, ich finde den Hut noch sehr schön, aber wenn man solches Seidenhaar hat, ist es eigentlich eine Sünde, es zu verdecken.“

      „Nun aber gerade.“ Lachend steckte sie den Hut wieder fest und zog den Schleier herunter. „Für den Grunewald geht er noch immer,“ sagte sie dabei, während er sich beeilte, ihr zur Beruhigung zu verstehen zu geben, dass er ihre Auffassung darüber nicht teilen könne.

      „Ach, das glauben Sie ja selbst nicht,“ hielt sie ihm kurz entgegen, griff zu ihren Handschuhen und glättete sie, ohne jedoch Miene zu machen, sie überzustreifen. Sie schien verletzt zu sein, und so machte er den Versuch, sie durch neues Plaudern zu versöhnen. Als sie aber einsilbig blieb, nahm er sich vor, ein anderes Mal nicht zu vergessen, dass man den Hut einer Dame nicht ungestraft lästern dürfe.

      Schweigend blickten sie in den dunkeln Abend hinaus und liessen die irrenden Lichter an sich vorüberziehen, die dem Zug entgegenzuwandern schienen, bis sie hinter den Bäumen ganz verschwanden oder durch das Laubwerk wie zerstreute Funken blinzelten.

      Halensee tauchte auf, und die erleuchteten Fenster winkten wie ein kleines Sternenmeer, das in der Luft lag. Dann wurde der Horizont lichter, Berlin sandte seine nächtliche Helle voraus, die wie der falsche Glorienschein einer grossen Sünderin über der Stadt lag. Durch die Spalte des wenig geöffneten Fensters drang die Luft nicht mehr so kühl und rein wie zuvor, man merkte bereits den wärmen Odem des Häuserriesen, der seine Fühlhörner bis weit in das Land hinausstreckte.

      „Nun, fühlen Sie sich schon besser?“ fragte sie wieder.

      Ihr Sprechen tat ihm wohl, und so nickte er stumm. In Wahrheit kam er sich plötzlich unbehaglich vor, da er in seiner Vorstellung wieder im Walde war. Seine Gedanken wurden nicht mehr abgelenkt, und so machten sich seine Nerven wie ein grosses Heer unruhiger Gespenster bemerkbar. Das Geräusch des Zuges klang ihm widerlich in den Ohren und erzeugte den alten dumpfen Druck unter seinem Schädel.

      „Nur nicht über Ihren Zustand grübeln, das verschlimmert die Sache,“ fuhr sie fort, als sie sein jähes Aufatmen bemerkte und nun sah, wie er sich wieder hastig mit der Hand über die Stirn fuhr.

      „Das sagen Sie so, mein Fräulein.“

      „Sie müssen immer denken, dass Ihnen nichts passiert und dass alles nur Einbildung ist. Dann werden Sie es auch bald überstehen. Überwinden heisst die Parole.“

      Sie sprach weiter auf ihn ein, gütig und milde, und sah ihn dabei unausgesetzt mit ihren grossen Augen an, als wollte sie wie ein Arzt sein Aussehen prüfen. Und er fühlte den bestrickenden Reiz, der von ihren Worten ausging und ihm aufs neue wie Beruhigung dünkte.

      Am Bahnhof Zoologischer Garten stiegen neue Fahrgäste ein, so dass sie nicht mehr so offen sprechen konnten. Am liebsten hätte er diesen gleichgültigen Leuten zu verstehen gegeben, sie möchten sich gefälligst in den nächsten Abteil bemühen, denn dort sei auch noch Platz genug. Der Anblick der fremden Gesichter steigerte die Unruhe in ihm, und so empfand er immer beängstigender den Wechsel zwischen der anfänglichen Stille und dem Geräusch der Grossstadt, deren hundertfältige Lebensfülle wie ein unruhiges Grollen hereindrang.

      Die Luft im Wagen erschien ihm nun drückender, gleichsam zersetzter durch die Nähe anderer Menschen. Und dieses lastende Gefühl, das er vordem niemals so stark empfunden hatte, steigerte sich noch, als auf den beiden nächsten Stationen immer mehr Fahrgäste einstiegen, so dass der Wagenabteil plötzlich überfüllt war. Er roch förmlich die Menschen, von denen er sich einbildete, sie seien eigentlich nur dazu da, seine Stimmung zu verschlechtern. Ihre Bewegungen, ihr Räuspern brachten ihn in Verwirrung, so dass er diese Unruhe hundertfach auf sich übertragen fühlte.

      Als er bemerkte, dass seine Bekanntschaft sich am Lehrter Bahnhof von ihm verabschieden wollte, stieg er ebenfalls aus, unter dem Vorgeben, auch an seinem Ziele zu sein. Eigentlich hätte er bis zur Friedrichstrasse fahren müssen, aber es war merkwürdig: wie ein dunkles Etwas, das er nicht zu beschreiben vermocht, hätte, packte ihn die Furcht vordem Alleinsein.

      „Also nochmals, Herr Doktor — Kopf oben behalten,“ sagte sie, als sie sich unten am Ausgange von ihm verabschiedete.

      „Ich werde Ihre Verordnungen gehorsamst befolgen,“ sagte er, sich zu einem Lächeln zwingend, „mein Wort darauf.“

      Einer schnellen Eingebung folgend, ergriff er ihre Hand und drückte sie leicht. Er empfand das Bedürfnis, sie an seine Lippen zu ziehen, aber rasch entzog sie sie ihm mit einem „Nicht doch“, so dass er nur die trockene Wärme der zarten Finger einige Augenblicke verspürte.

      „Ich würde mich sehr freuen, Ihnen wieder einmal zu begegnen,“ fügte er hinzu. „Darf ich hoffen?“

      „Überlassen wir es dem Zufall. Also vielleicht auf Wiedersehen.“

      Sie nickte ihm freundlich zu und entfernte sich rasch, und er blickte ihr nach wie jemand, der einen angenehmen Menschen von sich gehen sieht, von dem es ihm leid tun würde, ihn niemals mehr zu sehen.

      Drittes Kapitel.

      Doktor Hauff wohnte in der Albrechtstrasse, nahe am Schiffbauerdamm. Er hätte es also nicht weit gehabt. Als er aber den Kanal entlang schritt, der Brücke zu, wurde er von einer sonderbaren Vorstellung gefoltert. Dieser Teil der Strasse lag schweigend und dunkel, nur von jenseits des

Скачать книгу