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Und während sein Auge erquickend diesen ersten Sonnenstrahl am dunkeln Nachmittage mit einer gewissen Erlösung förmlich einsog, platzte eine melodische Stimme in sein stilles Brüten hinein, so dass er erschreckt auffuhr.

      „Bitte um Verzeihung, mein Herr ... Ich hörte soeben, dass Sie nervenleidend seien — Sie sollten dann jedenfalls nicht allein Ihre Spaziergänge machen.“

      Er war so überrascht, dass er nicht gleich eine Antwort fand, sondern seinem Stuhl einen Ruck gab, sich ihr zuwandte und sie erwartungsvoll anblickte. Von dem Bedürfnis beseelt, in dieser schweren Stunde fremde Gesichter zu fliehen, fühlte er sich gerade jetzt am wenigsten aufgelegt, sich mit einer Unbekannten in Erörterungen über seine persönlichsten Dinge einzulassen. Und so erwiderte er etwas kurz angebunden:

      „Ich werde jedenfalls Ihren Rat befolgen, mein Fräul— — werte Frau,“ verbesserte er sich rasch.

      „Bitte, bleiben Sie bei dem Fräulein,“ warf sie lächelnd ein. „Das tut ja auch nichts zur Sache. Ihr ,jedenfalls‘ gibt mir ,jedenfalls‘ eine Lehre, mich nicht um die Leiden anderer zu bekümmern. Es interessierte mich nur, weil es einem mir bekannten Herrn gerade so erging wie Ihnen heute. Er hatte auch einen Anfall, als er allein war. Leider hatte er nicht die Willenskraft, Herr über seine Nerven zu werden.“

      Ihre letzten Worte waren von einem schwachen Seufzer begleitet. „Bitte nochmals um Verzeihung für meine Voreiligkeit.“

      Damit leerte sie rasch ihre Tasse und sah sich nach der Tür um, als müsste sie jeden Augenblick das abermalige Erscheinen der Frau Förster erwarten. Schon vorher hatte sie, Geld aus einem kleinen Netzportemonnaie genommen, und so rüstete sie sich nun zum Aufbruch.

      Hauff fühlte sich leicht beschämt, denn diese Wendung hatte er nicht erwartet. Und sich sofort bewusst werdend, dass er eine Dame vor sich habe, die mit den Gepflogenheiten der grossen Welt da draussen vertraut sei, lenkte er ein, indem er nun seinerseits um Entschuldigung dafür bat, dass man in seinem „jedenfalls“ etwas gefunden, was er nicht beabsichtigt habe.

      „Na, na, Sie haben es doch getan,“ klang es unter einem Lächeln zurück, das mehr Gutmütigkeit als Spottsucht enthielt.

      „Und Sie nicht?“ gab er mit leisem Ärger zurück. „Ich habe Ihr ,jedenfalls‘ auch ganz gut verstanden, meine Gnädige.“

      „Ich bin nicht gnädig, mein Herr, Gott allein ist es. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass wir wirkliche Gnade nur vom Himmel zu erwarten haben. Deswegen brauchen Sie mich aber nicht gleich für fromm zu halten. Keineswegs. Aber von allen Phrasen, die wir Menschen im täglichen Leben wechseln, ist mir das Wort ,Gnädige‘ am verhasstesten. Was ist heute nicht alles gnädig: der Hausknecht, wenn er Protz geworden ist, die Köchin, wenn sie auf derselben Glücksleiter emporgeklimmt ist, und schliesslich auch der unreinlichste Mensch, wenn er die gehörigen gesellschaftlichen Waschungen durchgemacht hat. Ich bilde mir das wenigstens ein. Gnade soll das Vorrecht der Fürsten auf Erden sein, also doch nicht etwas Alltägliches. Wir aber haben das Wort gnädig zu einer ganz gewöhnlichen Umgangsform herabgewürdigt, und das imponiert mir nicht.“

      Alles das sagte sie sehr ruhig und bestimmt, während sie den Schleier, den sie über den schmucklosen, dunkeln Winterhut gestreift hatte, langsam über das Gesicht zog und glättete, wobei er ihre auffallend schmalen und weissen Hände bewundern konnte.

      An diesen Händen hing sein Blick mehr als an ihrem Gesicht, in dem auch jetzt noch die grossen Augen auffallend sich bemerkbar machten und ihren unberechenbaren Glanz durch die Maschen des Schleiers sandten.

      Er wusste nicht, ob er sich durch diese lebensphilosophische Auseinandersetzung angenehm berührt fühlen sollte; jedenfalls empfand er im Augenblick keine grosse Lust, darauf einzugehen. Und so nickte er nur zerstreut, ungefähr wie jemand, der derartige Redensarten sehr schön findet, sich aber dadurch belästigt fühlt. Bei sich aber dachte er: „Dumm scheint sie nicht zu sein. Schade nur, dass ich heute keinen Geschmack daran finde. Schliesslich kann man ja nie wissen, wie’s gemeint ist.“

      Eine trübe Erfahrung hinter sich, verspürte er keine Neigung, sich eine neue Bekanntschaft aufzuhalsen, und so glaubte er durch eine letzte höfliche Verbeugung seiner Anstandspflicht genügt zu haben. Er wandte sich wieder dem Fenster zu und blickte mit Seelenwollust in die breiten Sonnenstreifen, die nun das junge Grün des Waldes hell erglänzen liessen.

      Als er dann ein kurzes „Adieu“ vernahm und ebenso erwiderte, sah er nur flüchtig eine schlanke Gestalt zur Tür hinausschlüpfen. Sie musste sich besonnen haben, nicht mehr länger auf die Wirtin zu warten, vielmehr draussen zu bezahlen, denn er hörte ein lautes „Auf Wiedersehen“ der Frau Förster. Unwillkürlich reckte er den Hals, um der Unbekannten noch einmal ansichtig zu werden. Wirklich sah er sie auch vorübergehen, und dabei hatte er die Empfindung, sie müsste noch einen Blick auf ihn zurückwerfen. Aber sie tat es nicht. Rasch war sie um die Ecke verschwunden.

      Plötzlich empfand er grosse Unruhe. Das Zimmer erschien ihm dumpf und eng, er erhob sich, ging hastig von einem Fenster zum anderen und blickte hinaus, um nach Menschen zu spähen. Erst als die Frau Förster eintrat, atmete er erleichtert auf.

      „Was machen wir nun, was machen wir nun,“ brachte sie lebhaft hervor. „Ich wollte Ihnen den Revierjungen mitgeben, und nun ist er hinter meinem Rücken fortgegangen. Er muss es gerade überhört haben.“

      Sie war sehr besorgt um Hauff, denn sie hatte sich zusammengereimt, dass er auch noch bis zum Bahnhof eines Begleiters bedürfen werde. Als sie nachsann, kam sie auf den Gedanken, dass er die Dame noch einholen könnte, wenn er sich ein wenig beeilte. Falls der Herr Doktor nichts dagegen habe, würde sie übrigens sofort das Mädchen, die Minna, hinterherlaufen lassen, um die Dame zu bitten, auf ihn zu warten. Als sie in ihrer Aufregung schliesslich selbst der Davongegangenen nacheilen wollte, hielt er sie mit einem Dank zurück.

      Es war ihm heiss geworden bei dem Gedanken an die Möglichkeit eines nochmaligen Zusammentreffens mit der Unbekannten, die ihm so schlagfertig begegnet war. Er heuchelte jedoch Ruhe und meinte, dass ihm bedeutend besser sei und dass er ganz gut den Weg allein zurücklegen könne. Wirklich fühlte er in dieser Minute einen gewissen Aufschwung seines Mutes, der aber eigentlich nur die versteckte Sehnsucht enthielt, nun auch von hier so rasch als möglich wegzukommen. Und so bezahlte er und ging, noch bis zur Aussentür von der Försterin begleitet, die ihm alles Gute wünschte und ihm riet, nur immer hübsch auf dem Wege zu bleiben, wo er Menschen treffen könnte.

      Ein Weilchen zögerte er noch. „Kennen Sie die Dame schon länger?“ fragte er, während er sich mit seinem Regenschirm beschäftigte. „Ich könnte doch noch mit ihr zusammentreffen, und da möchte man doch gern wissen —.“

      „In diesem Jahr habe ich sie eigentlich zum erstenmal wiedergesehen. Aber vorigen Sommer, Herr Doktor, war sie öfter hier, in Begleitung eines Ehepaares. Da ging sie in Trauer. Und vor zwei Jahren sah ich sie stets mit einem alten Herrn. Aber weiter weiss ich wirklich nichts. Sie ist immer sehr fein und nett.“

      Er dankte abermals und verabschiedete sich.

      Zweites Kapitel.

      Als er den Zaun hinter sich hatte, atmete er die frische Luft wieder mit vollen Zügen, aber doch nicht mit der glücklichen Heiterkeit, die ihn sonst beseelt hatte. Der starke Kaffee hatte seine Nerven belebt, bald aber merkte er, dass dieser Zustand nur ein künstlich geschaffener war. Denn kaum war der mächtige Schlot seinem Auge entschwunden, als er die Stille des Waldes wie einen dumpfen Druck auf seine Nerven empfand.

      Die Sonne hatte sich aufs neue verfinstert, und so erweckte das graue Licht, das in der Entfernung den fahlen Dunst des Abends schuf, in seinem Gemüt die Vorstellung von einem neuen Anfall. Die Eintönigkeit der schweigenden Kiefern lastete auf ihm, und je tiefer er in den Wald hineinging, nur begleitet vom Schall seiner Schritte, je mehr peinigte ihn die Furcht, die Finsternis könnte ihn umgeben, bevor er sein Ziel erreicht habe. Diese vielen Bäume, die er früher wie seine Freunde betrachtet hatte, erschienen ihm nun wie drohende Gespenster, die ihm jeden Augenblick den Weg versperren wollten. Er empfand das stille Grausen eines Menschen, der nicht weiss, was kommen wird.

      Er wollte

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