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seines Gesichtes nicht entgangen. Ihr wurde schwarz vor den Augen, und sie bebte am ganzen Leibe.

      Dann kam eine blöde, starre Ruhe über sie. Steif am Tische stehend, ihre Lippen zusammengekniffen, mit übergroßen Augen stand sie lange und unbeweglich und betrachtete mit tierisch-blöder Aufmerksamkeit das vor ihr stehende Geschirr, die bauchige Weinflasche, den Ring mit dem roten Stein. „Etze muß ich wieder gehn“, kam es kraftlos über sie. Die Arme fielen ihr schlaff am Leibe nieder. Mit müden Schritten ging sie hinaus.

      Eine welke, trostlose Wehmut lag den ganzen Tag auf ihr. An Handgriffen kam sie manchmal zu einem dumpfen Selbstgefühl, das sie nicht schmerzte.

      Dann saß sie regungslos, und ihre Augen waren wie gebrochen.

       * * *

      Am andern Tage, vor dem Feste Mariä Verkündigung, das auf einen Sonnabend fiel, ging sie zur Beichte. Sie that es mit der sie nie verlassenden Betäubtheit, in der sich eine Angst rührte, wie ein einziges morsches Blatt in toter, ungeheurer Öde sich surrend auf- und niederwendet.

      Sie suchte sich den Beichtstuhl aus, der tief in der dunkelsten Ecke unter dem Chore stand und fiel vor dem Gitter auf die Knie.

      Die weiße Hand des Geistlichen schlug das Kreuz; dann neigte er sein Ohr nieder.

      Zitternde Erregung kam über Leonore, die ihr bleiches Gesicht fest an die Gitterstäbe preßte und dachte: ‚Wenn ich jetzt sterben könnte.‘

      Dieser Gedanke gab ihr die anfängliche Leere und Starrheit wieder, daß sie alles vergaß und nur kurze, keuchende Atemzüge ausstieß.

      Der Geistliche beugte sich endlich nieder und sah ihr ins Gesicht. Zwei hilflose stiere Augen, von denen eins seelenlos nach der Seite stand, erschütterten ihn.

      „Gehn Sie nach Hause, Sie sind krank“, flüsterte er.

      „Nicht lossprechen? nicht?“ stotterte sie in höchster Todesangst.

      „So beichten Sie!“

      „. . . . ich . . . . hab, hab . . . . meinen Mann erwürgen wollen . . . . aber meine Seele war eine einzige Wunde . . . . Herr Pater, haben Sie Gnade . . . meine arme Seele . . .“ murmelte sie wirr mit geschlossenen Zähnen.

      Der Geistliche sah ihre Verzweiflung, beugte sich nieder und entließ sie mit einem gütigen Zeichen, denn er kannte sie seit lange.

      Dann wankte die Arme hinaus.

       * * *

      Ohne Unterlaß kamen qualvolle, schwere Beängstigungen in sie herüber von farblosen, kalten Trümmern ihrer rettungslos verlorenen Seele, die, ehedem eine märchenhaft unräumliche Welt, ein furchtbarer Orkan in eine trostlose Wüste verwandelt hatte.

      Wie ein dürrer, körnerloser Halm wankte davon ihr Bewußtsein und rettete sich in den toten Rhythmus harter Werkeltage.

      Aber in ihrer öden Tiefe kauerten unvertreibbar ein ruheloses Zittern, eine augenlose Angst, die sie bei klarem, lautem Sprechen noch schlimmer bedrängten.

      Darum verstummte sie mehr und mehr, bis sie nur noch redete mit schwachen, bangen Bewegungen des Kopfes, müden Mienen, mit dem schlaffen Spiel ihrer überlangen Arme.

       * * *

      Zuletzt fand auch Leonore einen Ort, wo sie von ihrem Elend ausruhen konnte.

      Mitten in der Trunkenheit der Handgriffe stand eine öde Grenzenlosigkeit in ihr auf und wogende Sucht packte sie, ein Wandertrieb, daß ihre Pulse begehrlich hämmerten. Wenn sie versuchte, diesem blinden Überfall standzuhalten, versagte ihr der Atem, verwirrte peinigende Unruhe das unbeseelte Gleichmaß ihrer Thätigkeit. Sie entglitt sich und wenn ihre Hände sich griffen, war es ihr, als berühre sie einen fremden Leib.

      Darum ließ sie alles liegen und begann eine wirre, zwecklose Wanderung durch das weite Haus. Die vielfältigen Verhältnisse, Reflexe, Stimmungen und Töne, durch welche sie hineilte, brachten die Täuschung einer seelischen Auseinandersetzung in ihr hervor, zu welcher sie nicht die Macht des Mutes und der Kraft hatte.

      Am Ende ruhte dann der Komplex des Hauses in ihr, wie eine eigenpersönliche Welt. Im Bann fester Pole wandelte der Schlag ihres Herzens.

      Die von der Zerstörung ihres Innern aus sich vertrieben, wanderte in blinden Zuckungen aus und fand mit den kümmerlichen Resten ihrer verwüsteten Welt eine Seelenheimat im seelenlosen Hause. Es nahm sie in seine weiten, steinernen Arme und wiegte sie in geheimnisvollen Frieden.

      Einst, in den Tagen des Aufgangs ihrer qualvollen Sonne, hatte es das Spiel eines jungen Herzens mit seinem würdigen, mürrischen Grau abgewiesen, wie eines Greises eisstarre Braue das Spiel der Kinder verscheucht. Nun lockte es das Weib zu sich mit leisen, schonenden Lauten, daß es still wurde bei ihm und einen traumlosen Schlummer lernte nach dem Schiffbruch ihres Lebens.

      Das Haus wurde ihr Leib, und wenn sie aus seiner Hülle sich entfernte, empfand sie die Qualen eines Kranken, der die Binde von seinen unheilbaren Wunden reißt. Gehetzt eilte sie durch die Gassen. Jeder neugierige Blick war ihr ein unbarmherziger Stich, jedes Lachen ätzendes Gift, jeder Gruß eine Beschuldigung, jede Unterhaltung Folter zu einem Geständnis.

      Wenn sie, aufatmend, wieder ins Haus trat, schlürfte sie mit den müden, saugenden Schritten des Gefühls einer friedevollen Selbstbedeutung in sich. Ihr streichendes Gewand löste dann flüsterndes Wehen um sich aus, als wandle unsichtbar ein guter, mächtiger Freund neben ihr hin und säusle beruhigendes Raunen in ihr Herz.

      Indessen brechen sich die streitenden Laute der friedlosen Welt draußen an seinem kühlen Stein und erreichen ihr gleichgiltiges Ohr als das Lallen tiefster Unwissenheit.

      Aber das Haus wird auch ihre Seele.

      Alles, was in ihr ewig versunken ist, weil aus ihrer Seele, dieser Kristallisation von Splittern, das Blut jeder schimmernden Kraft von unheilbaren Wunden klaffend hinausgeschleudert wurde, alles Immerverlorene quillt aus dem Hause in sie. Es ist hoch, starr und kalt wie ihr Inneres. Viele weite, unwohnliche, verlassene Räume sind in ihr, vollbepackt wie die Stuben des Hauses mit nun nutzlosem Gerät, und der Moderduft einer verlorenen Zeit lagert um alles.

      Formlose Schatten wandeln durch sie; eisige Beängstigung kriecht an der Kahlheit hoher Wände empor und fällt knisternd zu Boden.

      Einst ist irgend etwas in ihnen vorgegangen, Heiteres, in suchender Sehnsucht, klopfenden Herzens, verzückte Träume, fessellos Wildes; wer weiß es heute noch?

      Als Staub liegt nun all jenes Leben auf den vermorschenden Zeugen dieser zertrümmerten Zeit. Niemand rührt ihn, aus Scheu vor den Geistern der Vergangenheit, auf, aus einer Scheu, welche vielleicht die letzte zu Tode getroffene Sehnsucht ist.

      So ruht Leonore in der Sattheit dieser großen Ruhe. Ihr ist, als wandle Fernes, Niegesehenes noch einmal in ihr, wenn lange, unbestimmte Laute über die breiten Stiegen wehen.

      Der Donner, den aufspringender Sturm aus den dicken Mauern schlägt, ergreift sie wie ein erschütterndes Ereignis. Der tanzende Sonnenstaub der Bodenkammern ist ihr Traum; in den Kisten und Kasten wohnt die Geschichte ihrer Jugend. Mit dem krachenden Stoß der Thorflügel schrickt sie auf und verfällt in das gleichmäßige Geräusch tiefeinsamen Seins, das eintönig mummelnd alle Winkel des Hauses füllt und durch alle Ritzen und Spalten ein- und ausgleitet.

      Nur der Löwenkopf am Ende der Stiege schreit mit weitem Rachen in stummer, verzerrter Wut, obwohl die Kruste des hohen Alters in den Winkeln seiner stieren Augen hockt, wie in ihren öden Tiefen das ruhelose Zittern und die augenlose Angst kauern und sie nie verlassen.

      Dieses verborgene Leben pulste in ihr; aber niemand konnte es verstehen.

      Es sog sie aus. Ihre Fülle verfiel; die Wogen des feinen Busens vertrockneten; die Haut des mageren Gesichtes ward papierweiß; ihr Haar bekam eine spröde, graublonde Farbe; der leise Gang ihrer weichblauen Augen war längst verstummt.

      Mitten auf den Wellen

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