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lebte sie mit ihrem Manne wieder das alltägliche Leben.

      Nachdem sie scheu einander ausgewichen waren, „hatte es sich von selbst gemacht“. Sie wußten nicht, „wie sie wieder zusammengekommen waren“.

      Aber sie redeten miteinander über eine Strecke hinweg, die keines überschritt.

      Sie verkehrten miteinander wie Freunde, die ein gemeinsam begangenes Verbrechen vor sich verheimlichen.

       * * *

      Zuzeiten hatte Leonore Rückfälle.

      Als sie einst, einen Topf voll Kartoffeln in der Hand, aus dem Keller heraufkam, war von irgend jemand das Thor geöffnet und nicht wieder geschlossen worden. Goldenes Sonnenlicht strömte jubelnd herein und tauchte sie in schimmerndes Glück.

      Da ließ Leonore bestürzt den Topf fallen und indem ihr Herz schmerzend zu schlagen begann, als wolle es sich von einer Kette losreißen, floh sie in das Dämmern des Flures.

      Eine Woche lang war sie sehr unruhig und verfiel oft ohne Grund in ein krampfhaftes Schluchzen.

       * * *

      Tönte Vogelgesang aus dem Garten in die Küche, erbleichte sie und schloß eilig das Fenster.

       * * *

      Nach einem Mittagessen saßen sie still und kauten gemächlich die letzten Bissen, als Griebel in eine Erzählung aus ihrer Vergangenheit stolperte. Er sah vor sich nieder, während er sprach.

      Ein tiefes Stöhnen schreckte ihn aus seiner lässigen Mitteilsamkeit.

      Sein Weib saß da, als atme sie lähmendes Gift: steif und ihre Augen starrten regungslos in die Luft, als sähen sie Gespenster.

      Sofort brach er stotternd ab.

      Lange saßen sie einander gegenüber und klammerten sich mit stummen Blicken aneinander. So sehen sich Kinder an, wenn in furchtbarer Mitternacht ein ängstliches Geräusch sie zum Bewußtsein bringt. Ihre Haut häufelt sich im Frost der Furcht, und ein eisiger Hauch weht in ihre tiefste Seele. Wenn das Entsetzen sie ermüdet hat, fallen sie vorsichtig um und verkriechen sich in den Schutz des Schlafes.

      Leonore und Griebel schlichen nach einer Weile von einander fort und verbargen sich in der Ruhe ihres leeren Alltags.

       * * *

      In einer Vollmondnacht fuhr Leonore aus beginnendem Schlafe auf und rüttelte leidenschaftlich ihren schlürfend-schnarchenden Mann zur Besinnung.

      „Wenn’ s‘och a Jingla wär‘,“ sagte sie nach einer Pause im unverfälschten Dialekt ihres Mutterhauses..

      „Nu een Jonga hå’n mr jå. Etze macht‘ ich mr aus eem Mädla aach nischt,“ erwiderte Griebel, dessen Ausdrucksweise sich einst im Dienst um seine Frau der Sprache ihrer Blütezeit genähert hatte, nun aber, da alles vorüber war, die alter Gewohnheit wandelte.

      „Åch, du heilger Himmel, sä dås nie. Du versindigst dich å‘ mir. Ich bete schon Tag un Nacht drem.“

      Ihre Stimme erstarb.

      Dann hörte man lange nur die kummerschweren Atemzüge der beiden.

      „Der muß Geistlich wer’n,“ begann endlich Leonore noch furchtsamer.

      „I, då muß er een’n kluja Kop hå’n. Wer åber weeß dås?“

      „Er muß! — er muß!“ stieß es das Weib in höchster Bedrängnis heraus.

      „Nu, er muß, wie tomm dås is!“

      „Er muß,“ wiederholte sie in irrer Dumpfheit.

      „Denn wås gelt unse Gebete nåch dem? — Åber, wenn a reenes Kend um uns Gott bitt‘, das kånn uns verleicht noch derliesa uns zwee arma, arma Menscha.“ — — —

       * * *

      Kraftlose Bäume werfen die Früchte vorzeitig ab.

      Die Geburt des Kindes trat einen Monat zu früh ein. Aber das erste Mal hatte das Schicksal Leonores verschwiegenes Schluchzen erhört: es war wieder ein Knabe, der die Namen Josephus Arnestus erhielt und trotz voreiliger Ankunft kräftig und gesund war, da er alle brachliegende Kraft des mütterlichen Leibes aufgesogen hatte.

      Wie eine leere Schale blieb dieser zurück.

      Nach langen Monaten war Leonore so weit gekräftigt, daß man sie auf einen Wagen verpacken und einem benachbarten kleinen Badeorte zuführen konnte, dessen Quellen bei „Frauenleiden Wunder wirkten“.

      Griebel, der sie die Treppe hinunterführte, spürte Leonores Widerstand nicht. Er fühlte nur ihre Hand zittern und sah einzelne Thränen langsam aus ihren fast erloschenen Augen sickern.

      Als man dem Badeorte schon ganz nahe war und den roten Turm seiner neuerbauten, Kirche über die Baumwipfel hinweg sehen konnte, wies Griebel mit ausgestrecktem Arme nach jener Richtung hin und sagte:

      „Siehst de, dat is schon Cudowa!“

      Leonore reckte ihren abgemagerten, kleinen Kopf auf dem dünnen Halse wie im Schreck jäh auf. Dann fiel sie hoffnungslos zurück. Während sie von den Stößen des Wagens hin- und hergerückt wurde, murmelten ihre Lippen immerfort dasselbe, erlöschend und stumpf:

      „Dat — starb — ich — ge—weiß — . . .“

      „Nee, dat wirscht de gesund, Lorla; denn fr wås sein denn sonste de Bäder?“ antwortete Griebel, der sie endlich verstanden hatte.

      Leonore schüttelte mit der letzten Kraft ihrer Abwehr den Kopf und verfiel dann in eine traumähnliche Ohnmacht.

      So trug man sie in ihr stilles Zimmer, dessen Fenster nach dem einsamsten Teile des kleinen Parkes zu lagen. —

      Gehorsam, wie ein artiges Kind, mit dem ewig gleichen, welken, schluchzenden Lächeln in dem blauweißen Gesicht, erfüllte sie alle Anordnungen des besorgten Arztes, der über die Zähigkeit ihres ausgesogenen Leibes staunte.

      Nur eins begriff er nicht. Wenn er warm und glücklich ihr einen baldigen Spaziergang verhieß, dann ward sie bekümmert und sah ihn, durch Thränen um Schonung flehend, an.

      Einst war sie besonders kräftig, da sagte sie:

      „Ich wer‘ dås nich aushala, nee, ich weeß gewiß, dås hal‘ ich nich aus, Herr Dokter.“

      „Ach nein, liebe Frau Griebel, die Sonne wirkt Wunder, und die Menschen, die Sie sehn, zerstreuen Sie auch. So was kräftigt.“

      „Nein, nein! Eben de Sonne un de Leute . . . eben dås . . . eben dås . . . dås is . . . ja eben . . .“

      Ihre Worte verirrten sich in eine Starrheit, wie sie über Sachen liegt, über Stühlen, Wegesteinen, unbewohnten Häusern.

      Der Doktor redete noch dringender auf sie ein, um sie zu überzeugen. Aber sie schien nichts mehr zu verstehen.

      Unbeweglich sah sie vor sich nieder.

       * * *

      In einer milden, stillen Morgenfrühe führte sie die Wärterin in den Park.

      Die Kapelle spielte eben den Anfang des zweiten Stückes, als sie die breite Allee betraten, die an einem kleinen Teiche endete, der, ins junge Licht feine Nebel träumend, in der grünverdämmernden Weite aufschimmerte.

      Zaghaft, mit zu Boden geschlagenen Augen schlich Leonore dahin. Ihre Atemzüge waren tief und unregelmäßig. Immer schwerer lastete ihr Arm auf dem der Wärterin und sie stolperte oft über ihre eigenen Füße.

      Etwa hundert Schritt vor ihnen wandelte ein junges Ehepaar. Die Frau in dem hellen Kleide und der roten Seidenblouse eng an ihren Mann geschmiegt, und ihr Köpfchen

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