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machte sie auf die beiden aufmerksam:

      „Sahn Se, die hå‘ns freilich besser.“

      Erschöpft hielt Leonore an und sah empor.

      „Dorte, die meen ich,“ wiederholte die Wärterin.

      In dem Augenblicke schwenkte das Paar herum, und die junge Frau flog mit glücklichem Lachen in die geöffneten Arme des Mannes, der sie unter einem langen Kuß an sich preßte.

      Mit einem markerschütternden Schrei brach Leonore zusammen. — —

      Sofort entstand der übliche Skandal.

      Aus allen Ecken eilten Neugierige herbei und umstanden die Unglückliche, die wie leblos am Boden lag. Jeder half mit lauten Ratschlägen, keiner faßte zu; die Damen wimmerten und klagten. — Die plumpe Futterrübe riß an Leonore herum und ächzte weinerlich immerfort:

      „Ja, allene ertrag‘ ich se doch nie. — Gnädjer Herr, wellden Se nie a so gut sein. — Sehn Se ‘och, gnädge Frau, de sterbt åb. — Ja, ich kån nie derfier, ich ertrag se doch nie alleene.“

      Endlich erschien ein Dienstmann mit einem Rollstuhl. Die Kranke wurde hineingelehnt und in ihre Wohnung gefahren.

      In erregtem Geschwätz zerstreute sich das Publikum und schimpfte über den unverantwortlichen Leichtsinn des Arztes, „diese totkranke Person“ herausgelassen zu haben.

      Leonore wurde am anderen Tage rücksichtslos nach Hause befördert, damit sie nicht im Bade sterbe.

      Aber die tiefen Laute des ernsten Hauses auf der Walkergasse, die kahlen , hohen Räume, die schweren Schatten wirkten Wunder.

      Sie wurde noch einmal so kräftig, daß sie in einem Lehnstuhl aufrecht sitzen und an einem Stock sich langsam bewegen konnte.

      Die meiste Zeit jedoch saß sie im Lehnstuhl, ließ die Kugeln des Rosenkranzes durch ihre vertrockneten Hände gleiten und bewegte unaufhörlich die dünnen, fahlen Lippen.

      Sie betete für ihre Sünden.

      Gegen niemand redete sie mehr ein Wort.

      Beim Eintritt ihres Mannes regte sie sich nicht.

      Nur das Geplauder ihrer alten Mutter brachte manchmal ein Leuchten in ihre eingesunkenen Augen, das aussah wie das Glimmen der zerbrochenen Fensterscheiben eines verfallenen Hauses, auf die müder Mondschein fällt. —

      Nach langen, langen Jahren, in einer Herbstnacht, erlosch sie stumm und einsam neben ihrem schlafenden Manne.

      ————

      Der begrabene Gott

       Inhaltsverzeichnis

       Erster Teil

       1

       2

       3

       4

       5

       6

       7

       8

       Zweiter Teil

       9

       10

       11

       12

       13

       14

       15

       16

       17

       Dritter Teil

       18

       19

       20

       21

       22

       23

       24

       25

      Erster Teil

       Inhaltsverzeichnis

      1

       Inhaltsverzeichnis

      Drei Stunden von Glatz südöstlich, abseits vom Verkehr liegt in einer Quermulde der Vorberge des Eisengebirges das kleine Gebirgsdorf Steindorf. Am Fuße des kleinen und großen Hedwigsteines lagert das eigentliche Dorf, eine geringe Anzahl niedriger Hütten und Gehöfte, die unter Obstbäumen versteckt liegen. An den Rändern der umliegenden Berge, in den Löchern hängen und hocken seine Kolonien.

      »Unse Dorf hat fimf Anteele!« rühmt sich jeder Steindorfer; aber niemand wird darum reicher. Mühsam rang man dem Steingeröll die mageren Feldbreiten ab, dann schichtete man es zu Wällen auf, die sich zwischen den Äckern hinziehen. Sie sind grau, verwittert, von Moosen und Flechten überzogen, mit Hirschholder und Heckenrosen bewachsen, wie Mauern einer verfallenen Stadt, wie vergessenes Material eines großen Bauwerkes, dessen Plan verlorengegangen ist.

      Die letzten Oktobertage bringen morgens und abends tiefe Nebel über Steindorf. Diese steigen von den Tälern des Kessels der Grafschaft Glatz herauf, an dessen südöstlichem Rande das kleine Dorf liegt. Der erschöpfte Wind treibt sie schläfrig herauf, gleich unförmigen grauen Riesentieren. Dann ziehen sie träge heran, stoßen sich an den steilen Schwarzwaldhängen des Rollenberges und des Hedwigsteines, versuchen über ihn hinwegzuklimmen, fallen aber träge zurück und rollen ihre plumpen Leiber hinab in das Tal, das bald angefüllt ist mit ihren wolligen,

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