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immer ferner, daß sie der Stimme ihres Mitleids kein Gehör schenkten und sein Gebrechen zur Zielscheibe des Spottes machten. Sie gaben ihm verschiedene Umnamen, blieben aber, nach wochenlangem Schwanken zwischen der Bezeichnung »Hipapi« und »Klumpen«, bei der letzten, weil in ihr nicht nur sein Fehler, sondern vor allem auch das Plumpe und Grobe seines ganzen Wesens mitgetroffen wurde. Karl Exner wehrte sich mit dem schrankenlosen Zorn seiner einsamen Seele gegen diese Lieblosigkeit, schlug seine Quäler bis zur Grausamkeit, spie und kratzte, stach mit Messern und hieb mit Peitschen. Es nutzte nichts, der Name »Klumpen« blieb ihm für sein ganzes Leben. Wie mit einem Ruck trat er aus der Gemeinschaft mit seinen Mitschülern ganz aus. Selbsteinsam, stumm ging er seine Wege, saß an gemiedenen Stellen an der Sonne, spielte an versteckten Orten und sah auf das lachende, laute, bunte Reich der anderen Kinder aus Augen, die der Neid bohrend, die Gehässigkeit verkniffen und geheime, dumpfe Trauer starr machten. Nie mehr versuchte er zu hüpfen oder zu laufen, weil dadurch sein Mangel nicht nur andern, sondern auch ihm deutlicher vorgeführt wurde. Mit krankhafter Peinlichkeit mühte er sich ab, das zuckende Niederrucken seines Körpers zu verhindern, sobald er das rechte Bein niedersetzte, an dem der Klumpfuß war. So hatte er die Gewohnheit, beim Gehen, das immer stät und gemessen blieb, den Kopf nach der linken Seite zu hängen, weil er dadurch die Empfindung eines gleichmäßigen Schrittes genoß, der ihn nicht von andern Menschen unterschied. Das glaubte er; in Wirklichkeit aber sah sein Gang sehr komisch aus.

      Um sich nicht lächerlich zu machen, mied er auch die Spiele in den Pausen der Schulstunden. Dann versteckte er sich wohl und sah mit brennenden Augen und erbleichenden Wangen dem Hüpfen der Mitschüler zu, ging aber sofort gleichgültig weiter, wenn er sich beobachtet glaubte.

      Einst überraschte ihn der Lehrer auf diesem Beobachtungsposten und versuchte ihn mit milden Worten und sanfter Gewalt dem lauten Jubel seiner Kameraden zuzuführen. Karl senkte stumm den Kopf, starrte vor sich hin und stemmte sich gegen den Druck des Lehrers, der ihn doch langsam vorschob. Plötzlich warf er sich zur Erde, heulte wie nach Hilfe grell auf, verzog das erschreckte Gesicht wie im Krampfe, schlug mit Füßen und Händen um sich wie ein Toller und schrie nur immer sein qualvolles, anklagendes: »Nee, nee, nee! Laßt mich, laßt mich!«

      Seit diesem Tage war er auch in der Schule wie umgewandelt. Mißtrauisch und versteckt belauerten seine Augen den Lehrer. Seine Gleichgültigkeit gegen die Schularbeit nahm immer mehr zu und wich endlich, trotz der Anwendung des Stockes, vollständiger Abneigung gegen jede geistige Arbeit. Die härteste Strafe brachte zuletzt nichts als kalte Wut auf seinem Gesicht hervor, die in kurzer Zeit immer in eine verächtliche Miene überging. Deswegen begannen die Mitschüler, ihm furchtsam aus dem Wege zu gehen, da sie ihn mit Kräften ausgerüstet sahen, die auch dem Mutigsten unter ihnen fehlten.

      Seine Eltern gingen zu sehr in ihrer Arbeit auf, es fehlte ihnen auch die leise, weiche Seele, ihn diesem Verlieren entreißen zu können. Sie sahen wohl, daß »der Junge ganz komisch« geworden war, ließen es aber in ihrem bäuerlichen Fatalismus gehen, denn »was soll da eens machen«? Und der kleine Klumpen ward, weil er doch Menschen brauchte, bei denen er niedersitzen konnte, ohne sich lächerlich zu machen, der Besucher in den Auszugshäusern bei den alten verhutzelten Weibern und den tapprigen, stumpfäugigen Greisen. Aber seinem Eintreffen ging nicht das entzückende Spiel verlangender Scheu und schämiger Zärtlichkeit voraus, womit die Kinder um die Neigung Erwachsener werben, noch lohnte er die gewährte Liebe mit der rührenden, vollen Hingabe, sondern stumm, mit niedergeschlagenen Augen, drang er in die dunklen Stübchen zu den Alten, grüßte verdrossen, als spucke er nur aus, setzte sich schweigend hin, blieb wortlos sitzen, verschloß sich allen Fragen, ging nach Stunden ebenso, wie er gekommen war, wiederholte seine Besuche und blieb dann ohne Grund ganz aus. Er nahm von den Runzelhänden weder Honigschnitten noch übersüßen Kaffee, er wartete nur versunken, bis die greisen Leute von ihrem Leben sprachen. Sie redeten keuchend davon, mit dünner, wehklagender Stimme, in jener verzückten Wirrheit, wie Märchen sich erzählen, schwiegen dann, wackelten mit den kahlen Köpfen und tasteten mit den fleischlosen Händen über den Tisch, als griffen sie nach dem Verlorenen. Der Klumpen saß auf verborgenem Platz, sog all den Aberglauben dieser heimkehrenden Menschen wie im Durst ein und ging dann geräuschlos hinaus. Die Verzücktheit seines Auges war sein einziger Dank.

      Auf seinen einsamen, verborgenen Gängen fügte er sich aus jenen verwunschenen Geschichten eine weltabgewandte, lebensfeindliche Lehre zusammen; aber sie blieb sein Geheimnis. Nur manchmal glomm sie heiß aus seinen Augen und zuckte um seine unschönen, schmalen Lippen. So wuchs er auf: fern, ernst und einsam.

      Später fand sich zu seinen unglücklichen Eigenschaften noch eine Geldliebe, die an Geiz grenzte. Keinem borgte er. »Der Klumpen hat kee Geld zum Wegborgen.« Auf diese Weise fertigte er Darlehnssucher ab.

      Nur Schuster-Guste konnte von ihm verlangen, was er wollte; nie bat er umsonst. Denn stets hatte er in der Schule leidenschaftlich und laut schreiend für ihn Partei ergriffen, wenn andere ihn verhöhnten; und noch heute verteidigte er ihn, so gut es ging. Darum hing der Klumpen mit Inbrunst an ihm. Dieser einzige war seine ganze Menschheit. Für die andern blieb er öde und unwirtlich wie ein Stein. Mit der Zeit freilich hatte sich auch dieses Verhältnis gelockert.

      So war er fünfundzwanzig Jahre alt geworden. Da lächelte er seit seinem Unglück zum ersten Male recht aus Herzensgrund.

      Es war in der Nacht. Man riß ihn aus dem Schlafe und rief ihn nach unten. Sein Vater lag im Sterben.

      »Komm her, Karle«, sprach der Kranke, als er des Klumpen ungleichen Schritt auf der Diele hörte. »Du bist lahm, aber ich bin schuld – ich alleene«, vollendete ei mit furchtsamer, ausgehender Stimme.

      Der Klumpen wurde bleich und blieb still.

      »Komm her, Karle«, tönte es wieder bittend.

      Er ging naher und schlug mit dem Klumpfuß hart auf. Davon fuhr der Sterbende wie von einem unvorhergesehenen Schlage zusammen und stöhnte, noch eindringlicher bittend: »Gib mr die Hand! – Bist de noch beese of mich?«

      »Nee.« Es klang trotzig, gehässig; er dehnte das Wort zwischen den Zähnen.

      »Du bist gestraft durch mich«, mit diesen Worten erholte sich der Kranke von einer Ermattung. »Du sollst auch 's Beste haben. – Bei Freirichters Pusche – de Wirtschaft – is deine. – Ich ha se dir – schon verschreiben lassen. – Bis fleißig wie immer und bet fir mich...« Da rasselte es in der Brust des Alten. Es war auf ewig vorbei mit ihm.

      Der Bruder wand die Hände. Die Weiber warfen sich weinend zur Erde. Der Lahme stand starr wie aus Stein da und lächelte.

      Das sollte wohl heißen: »Jetze fängt's an.«

      Und heute lächelte er wieder, da er sich spät in die Decke einwickelte. Er schloß die Augen, um besser sehen zu können. Licht und weich, wie in den fernen Tagen seiner freudevollen Kindheit, strich es über sein Herz. In stummer Seligkeit erbebte sein Inneres vor dieser wunderbaren Heimsuchung, und lächelnd sank er endlich in Schlaf.

      2

       Inhaltsverzeichnis

      Exners Denken lag im Blut; er tat, was er mußte. Langsam, mechanisch, widerstrebend, wie eine Zange erfaßte sein Geist einen Vorsatz und ließ ihn nie wieder los. Wenn so sein Wollen Instinkt geworden war, dann sah er nur vorwärts, und nicht eher gab es ein Ausschnaufen für ihn, ehe nicht die Erfüllung hinter ihm lag. Nach kurzer Ruhe war er am andern Morgen auf den Beinen. Seine Schwester ging eben mit dem Melkgerät und der Laterne über den Hof, als er der kleinen Ausgangstür zuschritt, den Kopf wie immer seitwärts und nach vorn hängend, ernst und verschlossen, ohne zu grüßen. Er schritt die Dorfstraße hinab und bestellte den alten Freiwald, einen guten, weisen Greis, mit dem er schon früher manches besprochen hatte, auf sein Anwesen am Freibusch, damit endlich mit dem lange geplanten Bau des Brunnens begonnen werde.

      Um sieben Uhr, eben da die Sonne einen roten Qualm, das Licht ihrer unmittelbaren Nähe, durch die schwarzen Baumkronen vor sich heraustrieb, langten die beiden auf der Arbeitsstelle an.

      Nach langer Beratung, die mit allerhand

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