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auf die Nase gefahren war. Es befreite sie jedoch nicht von einem rätselhaften Klammern, einer Furcht, die, so grundlos sie auch sein mochte, doch nicht von ihr wich. Sie zu verscheuchen, bemühte sie sich, an ihre »scheene Zeit« zu denken, an den »langen Sonntag«, wie sie ihre Zukunft nannte. Allein die Bilder, die sie rief, standen nicht auf, die Lieder, die sie ersehnte, klangen nicht. Vom Dorfe herüber hörte sie Kühe brüllen, Kinder zetern, ein Schubkarren quietschte, Hunde bellten, und dazwischen fuhr in Absätzen das Schreien eines zornigen Mannes. Traurig ging sie nach Hause.

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       Inhaltsverzeichnis

      Die Steindorfer hängen wie fast alle Grafschafter am Katholizismus. Dieser ist nicht nur alleinseligmachend, sondern gewährt auch auf der beschwerlichen Reise zum Himmel manchen Tag, an dem man seinen Arbeitskittel ausziehen kann, den Sonntagsflausch umhängt, gemächlich sich eine Zigarre anraucht, ein Spielchen macht und einen Schnaps dazu trinkt. Was hatte man sonst von dem mühseligen Leben, wenn neben den Sonntagen, die ohnedies sind, nicht noch ein paar Feiertage wären!

      Aber wenn man die Finger nimmt und sie herzählt, die schönen Tage, die mitten in der Woche kommen, einem leise die Hacke aus der Hand nehmen, den Pflug oder den Rechen, wie ein lieber Freund, der einem gern eine Freude bereitet, und recht ordentlich sagen: »Mein Guter, halt! halt! Verschnauf und laß deine Seele auch einmal Atem holen«; wenn man das zählt, bleiben leider noch einige Finger an den beiden Händen übrig, an denen kein Sonnenschein hängt.

      Darum kann's niemand einem guten Christenmenschen übelnehmen, daß er dieser fehlerhaften Einrichtung etwas nachhilft und auf eigne Faust mitten in den Trubel der Woche so einen lachenden Tag pflanzt. Heilige hat es genug, so wird es nicht allzu schwer. Diese vernünftige Ansicht fand auch in Steindorf Anhänger, und obwohl der kleine Ort keine Kirche und darum auch keine Chorsänger hat, feiert man am 17. November jedes Jahres das Fest der heiligen Cäcilia.

      Auch in diesem Jahre hat »Franke, der dicke Schenke«, der Gemeinde angezeigt, daß, wie üblich, von abends sieben Uhr ab die Feier vor sich gehe.

      Der Gasthaussaal ist mit Tannengrün geschmückt, die vier Schirmlampen an der Balkendecke sind blank geputzt, und die stattliche Reihe der Bierfässer, die die ohnehin schmale Hausflur noch mehr verengen, zeugen von dem festen Vertrauen, das der Alte in die Andacht der Gemeindemitglieder zu setzen gewohnt ist.

      Mit dem zunehmenden Dunkel treffen die Gaste ein. Als acht Uhr vorüber ist, füllt den Saal eine bunte, fröhliche Menge. Die vier Decklampen ringen schon verzweifelt mit dicken Rauchwolken. Zwei Burschen und zwei Mädchen mit weißen Schürzen und ebensolchen, Tüchern in der Hand traben an den Tischen auf und nieder. Sie sind in hoher Erregung und ziehen in einem Ernst der Mühsal Augenbrauen und Ohren in die Höhe. Bei einer Bestellung fahren sie erschreckt herum, als erhielten sie einen Schmitz mit der Peitsche, langen ein leeres Trinkgeschirr aus dem lärmenden Haufen und eilen zum Schenkhaus. Der »Melittenverein«, niemand weiß, wie die Musiker des Dorfes zu diesem Namen gekommen sind, sitzt in ruhiger Erwartung hinter den Gitterstäben des erhöhten Chores. Die Tanzlustigen sehen mit leuchtendem Gesicht nach ihnen hin und nicken ihnen freundlich zu. Als Gegendank nötigt dieser und jener Melitte seinem Instrument irgendeinen Ton ab. Die rechte Saalseite wird von den Verheirateten eingenommen. Die Väter sitzen da, schlagen auf den Tisch und erzählen. Die Mütter lächeln. Manche halten kleine Kinder auf dem Schoße, Mädchen oder Knaben von vier bis sechs Jahren, und geben ihnen Bier oder Schnaps zu trinken.

      Auf der linken Seite sitzen die Ledigen; auf einer langen Bank die Mädchen, durchweg hübsche Gesichter, die Hände auf der Schürze gefaltet, die Front dem Saale zugekehrt. Die Burschen, zu dichten Haufen geballt, rauchen mit Aufbietung aller Kräfte, trinken fleißig, lachen und sprechen überlaut, um die Aufmerksamkeit der Mädchen zu erregen, denen sie manchmal aus ihrem Glase schenken.

      Durch die offene Tür schauen viel sehnsüchtige Gesichter, Knaben, kaum der Schulbank entronnen; »Halbschädel« nennen sie die Bauern. Sie werden von den Aus- und Eingehenden verächtlich beiseitegestoßen und lächeln dazu, halten sich aber durch heimliches Rauchen und Schnapstrinken für diese Ausgeschlossenheit schadlos.

      Kurz vor Anfang des Balles wird ein kleiner Tisch vor das Chor der Melitten gestellt, und ein junger Mensch nimmt an diesem überall sichtbaren Orte Platz. Der Fremde trägt einen modischen, grauen Anzug. Sein starker blonder Schnurrbart ist in kecke Spitzen gedreht, und die scharfen Augen mustern mit geringschätzigem Lächeln die Reihe der altfränkisch herausgeputzten Weiblein; den Mädchen nickt er mit vielsagendem Blinzeln zu. Dann erinnert er sich mit einem Zusammenfahren, daß er im Gasthaus sei und sofort trinken müsse. Da er keinen dienstbaren Geist erblickt, erhebt er sich, macht eine kleine Kniebeuge, um die Hose zu ordnen und geht dann mit Schritten, denen er durch ein Knicken der Beine Eleganz verleiht, nach der Mitte des Saales, alles aufs neue mit verletzendem Staunen musternd. Er ist seit vier Wochen von seiner dreijährigen Militärdienstzeit auf die einspännige Wirtschaft seines Vaters in dem vier Stunden entfernten Tannerau »mit den Knöpfen« zurückgekehrt und noch voller Nichtachtung des Zivilstandes und aller bürgerlichen Beschäftigungen, einer Nichtachtung, die er in die lächerliche Kopie eines Leutnants seiner Schwadron kleidet. Er geht in dem hellen Kreis der vier Decklampen mitten im Saal umher, zwei Finger der rechten Hand unter das festzugeknöpfte Jackett an der Brust, den Daumen der Linken in der Hosentasche eingehakt, und ist scheinbar in tiefe Gedanken versunken, aus denen er beim Vorübergehen der Personen mit einem zornigen Gesicht aufschrickt.

      In Wahrheit labt er sich an der aufgeregten Neugier der Gäste, die gerade bei den Mädchen und jungen Burschen sehr stark und mit einer leisen Scheu verknüpft ist. Aber, seien es nun die großen Stiefel mit den Wülsten überflüssigen Leders allein; sei es das schlürfende Ausschreiten, das immer mit einem starken Schlag der Absätze abschließt; sei es die ganze Haltung oder die Art, den Kopf mit vorsichtiger Behutsamkeit aus dem Körper zu strecken, genug, irgendeiner der jungen Leute hat durch den plumpen Betrug hindurch sein wahres Wesen erkannt und ruft: »Der Lindentritt vom Plane!«

      Das entfesselt ein tolles Gelächter. Der Graue macht eine leidenschaftliche Wendung nach dem Schenktisch hin, als habe er in seiner Güte nun doch lange genug auf die Bedienung gewartet, und schreit in den Lärm: »Kellner! verflucht, Kellnerr!! Eine Echte! 'n bissel anwärmen!!« Dann kehrt er gelassen an seinen kleinen Tisch, wendet dem Saal den Rücken und starrt auf die Melitten.

      »Kellnär! verflucht, Kellnäär!! firn Böhmen ne Flasche voll Wein, aber gut voll!!« ruft es nach einer Weile aus der Mitte der Burschen.

      Der Fremde reißt ruckartig den Kopf herum und verfärbt sich, ohne indes weiter auf das Gejohle, das diesem Spotte folgt, zu achten. Nach einer Weile bringt ihm ein Markeur helles Lagerbier und stellt es vorsichtig auf einen Fleck des Tisches, den er vorher mit dem Handtuch gesäubert hat. »Hm«, beginnt der Graue mit einem wütenden Blick auf das Getränk, »ich hätt' mirsch ja denken kennen, daß hier kein Echtes hat.« – »Was sind das fir Rotzleffel da hinten?« schreit er dann den Kellner an, daß es durch den Saal schallt. Der angeredete junge Mensch dreht das Handtuch krampfhaft und entfernt sich räuspernd, ohne zu antworten.

      An dem Tische der jungen Burschen stößt man geräuschvoll an: »Nach, 's Echte schmeckt gutt, a wing dinne is ja, und in der Gurgel kratzen tut's auch; aber 's schadt nischt, 's kost bloß de Hälfte!« Der Fremde wendet sich aus Rache an die Mädchen: »Heute woll mr aber mal schneidig tanzen!«

      Der Schenke ist schon in Erregung und beobachtet den Streit mit steigendem Zorn, weiß aber noch nicht, auf welche Seite er ihn entladen soll, und außerdem ist es ja auch erst Gerede.

      Plötzlich schweigen die Stichelreden, und alles schaut nach der Tür. Der alte Förster, ein spindeldürrer Witwer, in sehr engen, grünen Hosen und einem grauen Vollbart, der wie ein Kuchen auf seinem Uniformrock liegt, nötigt ein sich sperrendes Mädchen durch kräftiges Schieben an den Achseln in den Saal.

      »Immer rein, immer rein! solche kenn se heute dahier gut gebrauchen!« redet er gedämpft und schaut verliebt unter den Brillengläsern auf sie. »Das is recht, immer los, Herr Förster, recht, 's fengt glei

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