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seine Gemächlichkeit in Betretenheit.

      Er sah, wie sie darnach erschlaffte, als habe eine letzte, schwache Hoffnung sie betrogen. Sie saß da und starrte auf ihren Schoß, riß sich gewaltsam auf und sah irgendwo hin. Und mitten in ihrer Fassungslosigkeit stieß sie Worte hervor, wie: „Nimm dir noch ein paar Beere!“ Erstickt begann der Ausruf und endete mit einem gepeinigten Lachen, daß den dicken Mann eine unbezwingliche Furcht vor seinem Weibe packte, die darauf jäh aufsprang und ins Schlafzimmer stürzte.

       * * *

      An einem Abend kehrte Griebel später als sonst aus der Werkstatt zurück.

      Der erschlaffte Tag lag in breiten, zerfließenden Schatten neben den ruhigeren Häusern und begann einzuschlafen. Windloser Schnee fiel dicht durch frostdumpfes Tiefdämmern. Der wichtigthuerische Verkehr der Kleinstadt nahm eine Nüance lauter Fröhlichkeit an. Man streckte die Hand aus und ließ den beißenden Schnee auf der warmen Haut zerlaufen. Denn es ist doch ganz hübsch, wenn es im März noch einmal so still schneit. Nur wer gegen den Himmel sah, machte ein mißvergnügtes Gesicht.

      „Wås meenst de , Meester Griebel, dås wird ein bieses Wetterle,“ redete ein bekannter Schmied den würdig-langsam schreitenden Tuchmacher an, nachdem die beiden Männer sich die Hand geschüttelt hatten.

      „Jå, eemål muß doch der Wenter aufhärn. .“

      „Freilich, freilich; åber wenns blos nie zu schlemm wirde.“

      „Na, de Welt drehts ebens nich um: a paar Schindeln, a wacklich Haus. Wås lieg då drån, wenns blos Frihjåhr wird.“

      „Ja, w en n s wird . . .“

      „Ach nu, w e n n s wird, wie de redst, Schmied, wo hätts a Jåhr ohne Frühjåhr.“

      „Ja, eim Kalender stehts immer, åber, åber . . . wie wårsch im Jåhre 63?“

      Und der Schmied begann im Hinwandeln die Geschichte eines Jahres ohne Frühling zu erzählen: „Ålle Knospen wurden braun. De Blätter, wenn se eemål haußen sein, kenn‘ se nemme zurecke, wurden schwarz. De Vegel fielen aus der Luft. ‘s Getreide bliebe taub. Acht Sack voll håtte mein Vater gesät, un viere drusch mr aus. Då kånnste amål nehmen. Wir wohnten dazumål ei Scharfeneck.“

      Sie waren in die Nähe des Griebelschen Hauses gekommen.

      Der Tuchmacher sah seine Schwiegermutter davor mit allen Zeichen ängstlicher Ungeduld auf- und abgehen.

      „Ja, ja — ‘s kånn schon a so kommen,“ erwiderte Griebel zerstreut.

      „Nach, du gehst ja da rum. Gude Nacht!“

      Und er steuerte unauffällig auf die alte Marseln zu.

      Als sie ihn erkannt hatte, trat sie eilig durch das offene Thor in das Hausinnere.

      Der Tuchmacher folgte ihr ebenso stumm mit jenem Zucken in der Magengegend, das ihn immer in kritischen Momenten befiel und von ihm mit Herzklopfen bezeichnet wurde. Er schloß das Thor und stand nach einem Schritt ins Dunkel still.

      „Nu?“ frug er rauh nach der Gegend hin, aus welcher unterdrückte Angstlaute ertönten.

      „Wås håts ‘n, Mutter?“ wiederholte er auf schwindendem Atem nach einer zögernden Pause, da er keine Antwort erhielt.

      „Heilje, gebenedeite Mutter! — åch Gott nee! nimm mrsch nie ibel! Ich kånn nich derfir — ich nich; ich hå ålls gethån, Joseph —“

      Und während die Verzweifelte das hauchend stotterte, suchte ihre Hand nach der seinen.

      Nun umklammerte ihre zitternde, kalte Rechte seine schlaff herabhängende Hand.

      Das Leben ihrer Seelen umschlang sich.

      „Wo is‘n ‘nausgespronga?“ frug Griebel tonlos.

      „Ach Jesus nee . . .“

      Und als ob seine Frage bejaht worden wäre, setzte er ebenso leise in blinder Verlorenheit fort:

      „Is‘n ganz tut?“

      Unter der Last eines Verhängnisses, an dessen Erfüllung er mit dem störrischen Aberglauben beschränkter Naturen festgehalten hatte, frug er dies.

      Das einfache, furchtbare „Ja“ aber stellte sich nicht ein. Vielmehr rang sich lispelnd die Wahrheit von den Lippen der gepeinigten Mutter los:

      „Ich trug gråde ‘s Brut ei a Låda, der Geselle håtte sich schlåfen gelegt, um a zwee rum wårsch, du wårscht kaum eene hålbe Stunde ei dr Gåsse hin, då stirzt de Anna ei a Låda: ,Marsel-Mutter, åber schnell, ‘s påssiert wås met dr Frau.’ Mir fällts Brot aus der Hand. Ehb ich frågen kånn, is ‘s Mädel schon wieder draußen. Wie ich hier reingekommen bin, weeß ich nich mehr. Un då stehn de beeden Mädel of m Flur beim Seegerkasten und winden de Hände.

      ,Zu wås braucht se åber Geld, wenn se sich wås åthun will?’ frägt de Amme mich. ,Ich hå‘ ‘r 20 Mark borgen missen.’

      Ich denk, dås Mensch will aus ‘m Unglick blos noch wås rausschlagen un geh ån de Thüre un horch. Zuerst wårs stille wie a tutes Blått. Wie ich gekloppt und geruft hå, nåch eener Weile, fengt se å un begehts, åls wenn se gleich sterben wollde. Ich båt, ich drohte, ich flerrte, wås macht eene Mutter nich aus Angst um ihr Kind!

      Åber wie ich hör, dåß se Gustlan mit drinne håt, wer‘ ich wie irre, ich zwäng de Finger ei den Thürritz, dåß se blutten, ich stoß, ich kratz mit a Nägeln åm Holz runder, ich . . .“

      Da packt sie Griebel am Arm:

      „Mei Jengla auch noch?“

      Sie verstummte vor der Qual dieses Ausrufes.

      Auf der Straße läuft lachend ein Trupp Kinder vorüber. Plötzlich fängt eine junge Stimme an zu schrein. „Heb a uf, Bertha!“ kommandiert unwillig ein älterer Knabe.

      Darauf hörte man wieder nur die verschwommenen Laute des kleinstädtischen Verkehrs.

      „. . . . mei ållerliebstes Jengla!“

      Mit der Innbrunst seiner Vaterliebe stärkt Griebel die Besinnung seines betäubten Mutes.

      Dann: „Komm!“ faßt er die Alte und zieht sie gegen die Treppe hin.

      Auf dem ersten Absatz macht sie sich hastig los und bleibt stehen im ungewissen Licht des kleinen Flurlämpchens, dessen Schein kümmerlich in der Nacht zerrinnt.

      „Ha, Joseph, warum is dås ålles aso ‘komma?“

      „Warum — ja, warum . . . warum . . .“

      Er schüttelte sein Haupt gegen die Erde hin:

      „Das kann ich selber nich sagen.“

      Die Marseln frug nicht weiter, und sie betraten den Flur.

      Griebel machte harte Schritte, wie jemand in der Not ein entschiedenes Geräusch hervorbringt, um bei klarer Besinnung zu bleiben.

      „Geh zu den Mädel ei de Küche, dåß nich ålls glei‘ ei der Stadt rumprescht, wås ei unsem Hause vorgeht. — Ich wer‘ versuchen, verleicht läßt se mich rein,“ flüsterte er, und, sich innerlich aneifernd, setzte er leise hinzu: „Es muß ein Ende hå‘n.“

      Die Alte drückte ihm stumm die Hand und verschwand in der Küche.

      Er stand einen Augenblick an der Thür zum Wohnzimmer still; unschlüssig hustete er einige Mal. Endlich ward er stark, rückte sich die Hosen auf die Stiefeln, trat ein paar mal energisch auf und beugte sich dann zur Thürklinke . . . . . . . „Lor — hachm . . . . Lordl! . . . . du! . . .“ ganz milde, daß ihn der zurückgehaltene Atem gegen die Kehle preßte. Er richtete sich auf und ließ ihn vorsichtig naus.

      Da war es ihm, als rühre sich was drinnen.

      Sie lebt noch! —

      In froher Hast

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