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den Stößen des Nachtsturmes verfliegt sein Bild, das eben keimend mit unsicheren Linien aus dem Dunkel steigen wollte.

      Darauf hört sie den langen Laut des Weltallfahrers wieder fortwandern in den Gassen, die sein tiefes Stöhnen mit den schweren Kinnladen steinerner Häuserreihen zur Unendlichkeit zermalmen.

      „Fortwandern . . . . fort!!“ —

      Auch sie?

      Ein freudiger Schreck, wie das Glück eines erlösenden Blitzes aus lastender Wolke fällt. —

      „Fort . . . . fort! . . . . fort!!“ — Der Sturm lockt mit den lauten Wundern seiner Freiheit, und die Enge um sie dringt auf sie ein mit dem Mummeln dumpfer, träger Wärme, den fetten Schnarchlauten ihres Mannes, der Kahlheit reizloser Räume, der ganzen öden Nützlichkeit ihres Daseins, dieser Ehe ohne Duft, diesem faulen Reichtum, diesen augenlosen, sonnenarmen Tagen . . . „fort“ . . . sie schlüpft in die Kleider, geht und packt sich ein Bündel notwendiger Sachen ein, küßt die Wand nach der Kinderstube zu, in welcher die Amme summsend die Wiege schwingen läßt und eilt der Treppe zu. Sie rückt aber ihren gleitenden Körper von der zweiten Stufe zurück und sucht das Schlafzimmer auf. — Nein, von ihrem Mann muß sie Abschied nehmen. Wer weiß, er liebt sie doch; nur hat er keine Fähigkeit zur Äußerung seiner Liebe.

      Er liegt auf der linken Seite, das Gesicht gegen die Stube. Sein blonder Schnurrbart sträubt sich unter raschelnd ausgehenden Atemzügen, und sein rechter Arm ruht auf dem Deckbett.

      „Geb dir der Himmel Vergessen! — Gott segne dich!“ sinnt sie mit suchenden Augen; dabei fährt sie ganz leise über sein Haar. Davon ächzt Griebel lange und schwer, seine traumlahme Lippe murmelt Unverständliches, und dann beginnt das öde Lied seines Schlafes wieder.

      Bebend entweicht Leonore durch die leise murrende Thür, faßt draußen das Bündel fester, kneift die Lippen ein und nimmt beherzt ihre Flucht wieder auf.

      Arm ist sie eingezogen, arm will sie gehen. Nur ihr Leben rettet sie, ihre Ehre, seine Ehre, den guten Namen ihrer Mutter. Eben beginnt sie an dem eingerosteten Schlüssel zu drehen. Es ist gerade still, und das schrille Knirschen, mit welchem der Bart sich im Schlosse dreht, lärmt die Treppe hinauf. Darum wagt sie nicht, weiter zu gehen und wartet einen neuen Windstoß ab; dann schließt sie vollends auf. Als sie aber eben auf die Straße schlüpfen will, erschallen von deren entgegengesetztem Ende schwere Schritte.

      Zwei Gestalten — tiefe, verquollene Männerstimmen — in gedämpftem Frage- und Antwortspiel. Sie kommen näher. Das eine ist der Nachtwächter, der andere fremd. Durch einen kleinen Spalt der Thür lugt sie hinaus.

      Es ist gerade ruhig.

      „. . . ach wås!“

      „Jå, jå, — eim Gråben. Zum Erbarmen, von weitem hörte ma’s schon.“

      „Ach nee!“

      „Wås ich sag! — Då håt’s nischt zu ,ach nee!’ Wenn ich sprech zum Erbarmen, is gut.“

      „Nu un wie wår’s ‘n weiter?“

      „Also . . . horch ’och! Mir sein doch v’r Tuchgriebels Hause?”

      „Freilich sein m’r dås.“

      „Horch, wie jetze sein Kind flerrt, hoch, wieh, als wenn ‘m de Mutter stürbe in dem selbjen Augenblicke . . .“

      „Du, håste sie amol jetze gesehn?“

      „Nee! Hör ‘och, ich muß dirsch doch voll’ds erzählen. Dås Kind eim Gråben war vo‘ ‘em Mensche . . . .“

      Das Gespräch wurde unverständlich . . . Leonore bog sich hart und langsam auf die Straße und sah den fortstolpernden Männern starr nach.

      Ihre Erlösung ein Verbrechen — — —

      Behutsam und sicher schließt sie die Hausthür von innen wieder zu. Mit gehorsam-demütigem Haupt, die Arme schlaff, stumpfen Schrittes, schleppt sie sich in ihre Zelle zurück, entfaltet ihr Bündel und hängt die Kleider an ihren Ort.

      Eine kalte Betäubung, eine unerklärlich bittere Ohnmacht schüttelt sie wie ein Fieberfrost.

      Sie kann sich im Bett nicht erwärmen.

      Dumpfe Verzweiflung liegt auf ihr, und sie sinnt blöde vor sich hin wie ein Gefangener, der nach einem mißlungenen Fluchtversuch wieder das Stroh seines Elends unter sich rascheln hört.

       * * *

      So zurückgeworfen durch eine Macht, welche aus ihr und doch nicht sie war, kam das peinigende Gefühl vollständiger Bodenlosigkeit immer dringender über Leonore und drängte sie wieder mehr nach der Mutter, nach ihrer Familie hin.

      Aber es war doch auch nur ein Zug schwacher Bewußtheit, der sich ihrer bemächtigte, wie eine aufdringliche Dissonanz die ganze Fülle eines jubelnden Orchesters durchschneidet.

      Ach, was wußte sie überhaupt noch?

      Ihren Willen hetzte sie ab nach Affekten, welche bald aus diesem, bald aus jenem Winkel angelernter Moral aufstanden.

      Nach solchen welken Tagen warf sie sich wie erschöpft und hilfesuchend immer wieder der großen Leidenschaft in die Arme, die ihre Tiefen durchbrauste in wandelloser Kraft.

      Und — ihr Mann schlich feig und faul um ihren Kampf. Ein liebes, heitervergebendes Wort hätte sie stärken und zurückführen können. So dachte sie wenigstens. Oder, wenn er sich nur zu einem rücksichtslosen Hieb aufgerafft hätte!

      Nichts als dieses behutsame Schleichen, dieses insektenstumme Haften an ihrem Schatten.

      Alles in ihr war revoltiert; aber alles verließ sie.

      — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —

      „Ach Mutter!“

      Mit diesem Ausruf, den sie leise redete, weil ihr Herz so schrie, warf sie sich der Mutter in die Arme. Unbewußt war sie aus dem Hause ihres Mannes gegangen und umfaßte nun den welken Leib ihrer Mutter mit krankhaft hartem Umspannen. — Der erzitterte davon. Als Leonore das spürte, riß sie ihr hinströmendes Unglück in die wunde Brust zurück, schob den Leib dieses verehrungswürdigsten Menschen, soweit es ihre Arme gestatteten, von sich und sah ihr ins Auge, ganz tief.

      „Ich bin sehr, sehr glücklich, Mutter!“

      „Deswegen kemmst de nich meh riber zu mir? — Is auch wåhr?“

      „Mutter — ach, ich — bin — glücklich — glücklich — Jesus Maria!“

      Sie ward starr, und ihre Stimme schlug schrill über. Nach einem toten Augenblick wandte sie sich ab und ließ die Erschütterte allein.

      In der alten Stube aber schritt sie dann stundenlang auf und nieder.

      „Was hab ich gemacht! — Was hab ich gemacht!“ Und rang die Hände.

      ————

      XIII.

       Inhaltsverzeichnis

      Griebel wohnte thatenlos, ungestört in der Sicherheit seines Vorsatzes, bei gelegener Zeit mit Leonore „abzurechnen“.

      Die ganze Angelegenheit begann für ihn im Sande zu verlaufen. Was sollte er auch „unnötig darin rühren“, da nichts auf einen Skandal hinwies.

      Er war schon einigemal mit seinem Weibe bei Tisch allein gewesen. Sie sah bleich aus, aber nicht müde. Nein, es war eine Schärfe in ihrem ganzen Wesen. Und wenn er aus dem lauen Kreisen der stockenden Unterhaltung das persönliche Gebiet betreten wollte, mußte er doch immer verstummen.

      Ihre ungewöhnlich glänzenden Augen, deren Blau viel tiefer geworden

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