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schluchzte, weil man die Anstrengung empfand, die seine lichtwechselnden Linienwellen spannte und nachließ.

      War das alles zusammengenommen die Bestätigung ihres Schuldbewußtseins oder unversöhnlicher Feindseligkeit? Mit Mühe nur erhielt sich Griebel in dem Fieber wiederstreitender Stimmungen die Maske seiner würdig-plumpen Gutmütigkeit.

      Er ging umher wie mit einem heißen Bissen im Halse, der ihn unendlich quälte und den er doch nicht ausspeien durfte. Das erste mal in seinem Leben drückte ihn eine Last, die den ererbten Handgriffen seiner Grundsätze nicht wich.

      Vor der Thatsache eines Treubruches schlossen Eitelkeit, Furcht, Scham und die Angst vor Kummer und Sorge ihm die Augen. Und er verneinte sie mit den lauten und wohlfeilen Gründen seines Bewußtseins; konnte es aber nicht hindern, daß seine Seele in atemschwerer Unruhe verstohlen um einen Abgrund schlich, aus dem der fiebernde Dunst blinder Befürchtungen stieg, den sie gierig sog.

      Jeder Tag vermehrte das Gewicht seines Geheimnisses. Ein leerer Bewegungsdrang, der wie Arbeitseifer aussah, trieb ihn von Halbheiten zu Halbheiten, hetzte die Würde seiner kurzgeschenkelten Schritte zu fahrigen Hacktritten, nahm dem Magen seine Verdauungsfreude und prickelte in dem schlafferen Fett seiner langen Backen mit einem unerträglichen Zucken.

      Endlich war er zermürbt, auf dem Standpunkte, jedes Unrecht als begangen einzugestehen und zu bereuen. In dieser Stimmung mußte ihn noch die alte Marseln fragen:

      „Ma sieht ja de Lordl går nie?“

      „Nu ja — ich a — åch ja — die — ich weeß nich, se kennt sich vr Arbeit nie meh.“

      „Wie kemmt‘n dås? — Un ålle Tage geht se in de Frühmesse, se fliegt blos aso verbei.“

      „Ja, ja!“ — Sein Fall quälte ihn zum Brennen; er mußte, um sich zu erleichtern, wenigstens etwas andeuten. So fuhr er nach einer Pause trüben Hinsehens auf:

      „Sieh‘ch mich å!“ Dabei zog er den unteren Rand der Weste von seinem abgefallenen Bauche. „Aso hå ich abgenommen! Ma werd ein Band, andersch nicht!“

      In tiefster Seelennot zitterten seine Lippen.

      „Jesses!“ schrie die Alte, packte ihn am Arm und versuchte, ihn in den Laden zu ziehen.

      Aber Griebel sah plötzlich den begangenen Fehler ein:

      „Ach, ängst‘ dich nie! ‘s is ålls in Ordnung. Åber sieh’ch, die viele, viele Arb‘t und gut is mir schon lange nie. Mach dr aber deswegen keen‘n Kummer, ‘s is a verdorbner Magen, a wing erkält‘t, n kleene Gauze, sonst nischt. — Adje, ich muß in de Werkstelle.“

      Schroff brach er ab, reichte ihr die Hand und verschwand eilig hinter der nächsten Ecke.

      — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —

      Jetzt war auch die Mutter mißtrauisch gemacht und verfolgte Leonore.

      Sie warf ihr den Haken des Zurufs auf der Straße nach und erschien alle Stunden unter einem nichtigen Vorwande, nach ihr zu fragen. Die kleine Ladenklingel pinkte sie wohl schnell wieder zum Thore hinaus; aber Ausflüchte gedeihen schlecht in einer gepeinigten Seele und ein zitterndes Herz findet nur kurze Zeit den Mut, das Mitleid abzuweisen.

      In allen Seelennöten hatte Leonore auf dem Gedanken an ihre Mutter ausgeruht.

      „. . . . ich werde mich an ihre Brust werfen, werd ihr alles sagen, und sie wird mich trösten . . .“

      So hatte die Gepeinigte in den Momenten heißester Bedrängnis gesonnen.

      Nun erkannte sie aus der Muttersorge, daß ihre Gewißheit nur der Wunsch ihrer ratlosen Not gewesen sei.

      Mein Gott, alles löst sich in Schatten auf.

      Der Beichtvater hatte ihr den Fluch über ihre Liebe zu Frank geboten. Und sie schwor ihn tausendmal betend in die Zuckungen ihres Herzens; aber das Gift aller Verwünschungen, die sie sich mühsam abrang, ätzte das Bild des Schwarzlockigen doch nur leuchtender. Allein in Treue kämpfte sie bis zur Ohnmacht.

      Mit wankenden Schritten, den Schimmer der Askese in den überwachten Augen, schlich sich Leonore dann an die Wiege ihres Knaben und brach davor in die Knie. Im Taumel einer dumpfen Verzweiflung wand sie die Hände über dem schlafenden Kinde und stotterte sinnlos: „Nie, mein liebes Gustel, nie! Nein, das macht deine Mutter nie! Wäre er blos nicht gekommen, er — der, ach Gott, wenn ich bloß fluchen könnte, er!“

      Und auf den Wolken ihrer Qual schwimmt sein Bild in sie, und all ihre Sinne ranken sich mit der Inbrunst des Durstes daran.

      Mit fliegenden Pulsen, glühenden Wangen erhebt sie sich. Sie rafft alle Macht ihrer zuckenden Seele zusammen und schleudert wüste Verwünschungen nach ihm . . . aber ihr Fluch wird Stammeln der Sehnsucht; dem trotzigen Tritt erlahmt das Knie und das stumme Gebet ihrer erdwärts gerungenen Hände schwingt sich zum Jubel umfangend-hinlangender Arme auf.

      Ihr Entsagen gebärt ihre verbotene Liebe und ihr Fluch macht den Willen zur Treue ohnmächtig.

      „Herr Gott, Frau, warum wimmern Se nu schon vierzehn Tage, wenn Se alleene sein?“ frug die Amme.

      „Kopfschmerzen, Kathrine, nichts wie Kopfschmerzen.“

      „Ja, wie kriegt ma’ Kopfschmerz? Sie verkälten sich nie, sie kenna sich . . . wie is ‘n mit ‘m Magen?“

      „Ach nein . . . ., aber man weiß ja gar manchmal nich, ob’s iberhaupt Kopfschmerz is. Es kann ja auch ganz von was anderm kommen.“

      „Nee, Frau, von a Been’ in a Kop — vom Unterleibe — vom Herze — — je nu, vom Herze —ich dächte, dås wär meglich.“

      Leonore lachte fein, wie eine zum Reißen gespannte Saite wimmert, wenn ein plumper Finger sie anschlägt, und darauf ergriff sie unauffällig die Flucht. —

      Ach, und mit den heimlichsten Augenblicken säugte sie im Spiel der Phantasie einen Plan, den sie einst in den Krümmungen ihrer Pein unterjochend erfaßte mit dem reinen, starken Atem der Erlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . die Überwachtheit der ersten Morgenstunde hatte sie nach durchlauerten, durchwanderten Nächten wieder auf ihr Lager geführt. Die ganze Süßigkeit ihrer verbotenen Sehnsucht ein lastender Druck an den Schläfen. —

      Der Nachtwind torkelte durch die Gassen, ein heimatloser Strolch, der trunken, mit immer offenem Munde die dumpfe Empfindung seines Elends in vergriffenen Tönen hingellt, verstört lullt. Dann donnert er an die Thüren und begehrt Einlaß mit wirbelnden Fäusten. Und immer beginnt er doch seinen ruhelosen Rundgang wieder mit dem hilflosen Wimmern zwischen frostzusammengeschlagenen Zähnen hindurch.

      Das Griebelsche Haus droht ihm umsonst mit der kalten Wucht seiner Blitzstangen; vergeblich scheucht das Schwirren seiner Schutzbleche.

      Immer wieder stößt der Herdlose gegen die großen Thore, daß ihre runden Fensteraugen im Schein des müden Spätmondes grimmgrün schillern. Die alte Zeit kann gar nicht schlafen und schlürft in den kurzen Augenblicken der Stille ihre schleppenden Schritte über den lautlosen Flur.

      Dann fühlt sich Leonore beklemmt, und ihr Atem kommt zäh, wie unter einem lastenden Stein hervor. Sie hat schon mehreremal mit dem Ablegen der Kleider begonnen, aber wieder erschrocken aufgehört, wenn draußen die alte Uhr mit heiserer Stimme allein zählte.

      Und wie sie endlich doch über dem Auskleiden ist, kommt ihr plötzlich der Gedanke, daß es ganz widersinnig sei, das zu thun. Mit einem schwachen Lächeln streift sie die Sonderbarkeit dieses Gedankens ab und windet sich unters Deckbett.

      Stumpf wartet sie auf den Schlaf. Unterdes hat der verscheuchte Vorwurf sein wahres Gesicht angenommen und kehrt wieder in sie zurück. Nun erkennt sie ihn. „Wahrhaftig, ich wär‘ so schlafen gegangen.“

      Fadenleise ist sie auch schon aus dem Bett, über die Decken hin mit tastendem Arm, draußen im Wohnzimmer auf dem Stuhl am Fenster.

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