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Stoß Zeitungsausschnitte in die Ecke. Er war ein toter Mann im Nachrichtendienst. Nachdem die Zeitungen über ihn hergefallen waren, war er erledigt. Wer hatte die Presse informiert? Warum hatte man ihn abgeschossen? Der Kriminaldirektor Dr. Antevic hatte bedauernd gelächelt, als man den Kriminalmajor wieder in den Dienst gestellt hatte. Völlig rehabilitiert. »Natürlich, Herr Kriminalmajor, Sie werden verstehen – im Nachrichtendienst ist im Augenblick für Sie keine Verwendung.

      Sehr bedauerlich, aber Sie werden verstehen. Tut uns allen leid, wir verlieren einen guten Mann. Vielleicht später, wenn Gras über die Sache … Sie werden verstehen. Die Presse. Der Herr Minister meinte auch … Sie werden verstehen.«

      Joschi Heller verstand. Ein Kommissariat war gerade das Richtige für ihn. Scheiße! Aber das war schließlich vorbei. Morgen flieg’ ich nach Zypern. Ein neues Leben.

      Unerlaubte Methoden. Seit der Antevic damals sein Chef geworden war, ging überhaupt alles schief. Joschi hätte gerne gewußt, was mit dem Antevic eigentlich los war. Im Krieg war er in der Emigration gewesen, arbeitete in London mit den Engländern. Er mußte den Kim Philby gekannt haben, der war doch damals schon ein hohes Tier im Britischen Intelligence Service gewesen. Warum machte er ein Geheimnis daraus? Nun, jetzt war es auch egal. Den Antevic hatte der Teufel geholt. Herzschlag, vor sechs Wochen. Joschi war nicht traurig darüber.

      Er war mit dem Sortieren fast fertig. Ein paar Briefe warf er noch weg. Bei einem zögerte er. Es war ein anonymer Brief, den er kurz nach seinem Dienstantritt am Kommissariat bekommen hatte. An das Kommissariat 12 adressiert. Es war eigentlich gar kein Brief. Ein Umschlag mit einem Foto. Er betrachtete das Foto. Es schien sehr alt, vielleicht zwanzig Jahre. Oder älter, nach der Kleidung zu schließen, die die beiden Männer darauf trugen.

      Es war nicht zu alt. Er konnte als einen der beiden Männer seinen ehemaligen Chef erkennen, den Antevic. Er saß an einem Tisch und unterhielt sich mit einem anderen Mann. Viel mehr war auf dem Foto nicht zu erkennen. Wer, zum Teufel, hatte ihm dieses alte Foto geschickt? Warum nur? Was sollte er damit? Der Antevic war darauf schlanker und hatte mehr Haare, trug aber schon seine Brille. Was sollte Joschi Heller mit diesem blöden Foto? Er hatte sich damals den Kopf zerbrochen, das Foto oft betrachtet. Den anderen Mann kannte er nicht. Er zerriß das Foto und warf es in die Ecke. Der Antevic war tot. Joschi Heller fuhr nach Zypern. Es war doch jetzt alles wurscht.

      Nein, alles war ihm nicht wurscht, dem Joschi Heller. Er hatte heute noch eine Verabredung. Mit Ted. Ted war nun ein hohes Tier im Amerikanischen Dienst. Joschi kannte ihn von früher. Er hatte ihn kennengelernt als CIC Offizier während der Besatzungszeit, vor fünfzehn Jahren. Sie waren damals beide noch jung und hatten ihren Spaß an dem Geschäft und nahmen den ganzen »Kalten Krieg« nicht sehr ernst. Und es gab da ein Ding, für das Ted seinem Freund Joschi eigentlich ewig hätte dankbar sein müssen. Nun, Joschi hatte seit zehn Monaten nicht angerufen. Er hatte überhaupt keinen seiner »Freunde« mehr gesehen seit zehn Monaten. Er wollte niemanden sehen. Wenn jemand im Kommissariat anrief, ließ er sich verleugnen. Aber heute hatte er Ted angerufen. Und Ted hatte sofort Zeit für ihn.

      Joschi zog sich aus und ging unter die Dusche. Es war Zeit, er wollte noch zum Friseur vorher. Schließlich zog er morgen Uniform an und sollte einen ordentlichen Haarschnitt haben. Seine langen, grauen Zotteln waren nichts für einen UNO-Offizier. Joschi mußte grinsen. Ein sonderbares Leben! Wenn ihm das jemand vor einem Jahr prophezeit hätte! Eine sonderbare Welt.

      Das »Shanghai« im Wiener I. Bezirk ist ein piekfeines chinesisches Restaurant. Auf den kleinen Tischen standen farbige Lampions und verbreiteten ein stimmungsvolles Licht. Ted saß schon in einer Ecke.

      »Servus Jo«, sagte er, als sich Joschi setzte. »Du bist unpünktlich wie immer.«

      »Das ist schließlich kein Agententreff«, meinte Joschi, und sie lachten beide. Sie aßen scharfe chinesische Gerichte und tranken österreichischen Wein dazu. Joschi hatte auf Wein bestanden, er mochte keine harten Drinks.

      Sie sprachen über allgemeine Dinge. »Du hast Dich lange nicht sehen lassen«, und »du siehst nicht gerade taufrisch aus«, hatte Ted versucht, dem Gespräch eine persönliche Wendung zu geben. Joschi hatte nur ziemlich wortkarg geantwortet. »Ja, ja«, und »ich weiß, ich weiß, Alter.« Schließlich sagte er: »Morgen hau’ ich ab.«

      »Ja, zur UNO nach Zypern, auf zwei Jahre«, sagte Ted. Natürlich wußte er Bescheid. »Freut mich, daß du dich noch ansehen läßt, vorher.«

      Eine Pause entstand. Beide zündeten sich Zigarren an.

      »Nett, daß du dich noch verabschiedest«, sagte Ted wieder. Joschi blies den Zigarrenrauch vor sich hin.

      »Hör auf mit dem Theater«, sagte er dann, »ich will was von dir.«

      »Brauchst du Geld?« fragte Ted.

      Joschi war mit einem Mal zornig, man konnte es ihm ansehen. »Du Trottel«, fluchte er, »du blöder Hund, hab’ ich je Geld von deiner blöden Firma genommen? Ihr Hurensöhne, sag, hab ich je Geld von euch genommen?«

      Ted war betreten.

      »Ich meinte nur«, lenkte er ein. »Ich weiß, es ging dir nicht gut in letzter Zeit. Du hast Schulden gemacht und gesoffen wie ein Schwein. Und auf einem Kommissariat verdient man ja nichts. Sei nicht gleich auf hundert. Ich hab’ es ja gut gemeint. Wir sind doch alte Freunde, oder?«

      »Ich habe keine Schulden«, sagte Jo. »Ich habe meinen Wagen verkauft. Es ist alles bezahlt. Und ich brauch kein Geld. Du weißt, morgen hau’ ich ab. Ich brauch’ kein Geld.«

      Es entstand wieder eine längere Pause. Die beiden sahen sich an und rauchten. Der Kellner schenkte die Gläser voll. Eine neue Flasche? Ja, die beiden nickten nur.

      »Du sagst, wir sind alte Freunde«, begann Jo. »Alles, was ich will, ist eine klare Antwort auf eine klare Frage, O.k.?«

      »Ich kenne dein Problem«, sagte Ted. »Übrigens, hast du Kim Philbys letztes Buch gelesen? In Moskau erschienen, illustriert, hochinteressant.«

      »Ich scheiß’ auf Philbys Buch«, sagte Jo ziemlich gereizt. »Und auf alle Geheimdienstbücher. Ich will eine klare Antwort von einem alten Freund. Ist das zu viel verlangt?«

      »So frag schon«, sagte Ted. Er lehnte sich zurück.

      Jo nickte leicht. Er nahm die Zigarre aus dem Mund. »Wer«, sagte er dann, »hat mich abgeschossen. Und warum?«

      »Das sind zwei Fragen«, sagte Ted.

      »Dann gib mir zwei Antworten.«

      Ted dachte eine Weile nach. »Warum ist das jetzt noch wichtig für dich?« fragte er dann. »Morgen fährst du weg. Ich kenne dich ein halbes Leben lang. Das paßt nicht zu dir. Was hast du vor? Hast du etwas vor? Das mußt du mir sagen, bevor ich dir eine Antwort gebe. Wenn ich dir eine gebe. Wenn ich dir überhaupt eine Antwort geben kann. Du mußt es mir sagen, wenn du etwas vorhast.«

      Jo schien ein wenig fassungslos. »Na, hör einmal«, sagte er nach einer Weile. »Was soll ich denn vorhaben? Ich möchte einfach wissen, wem ich diese ganze Scheiße verdanke. Und warum man mich erledigt hat. Ist das so ungewöhnlich? Wir kennen uns ein halbes Leben. Du mußt mich doch verstehen.«

      »Persönliche Gefühle also«, meinte Ted leise und ungläubig.

      »Wenn schon«, sagte Jo, »nenn’ es, wie du willst. Ich möchte es wissen. Ich habe keine besonderen Absichten, nur wissen möchte ich es. Es bringt mich um, wenn ich es nicht weiß, verstehst du das nicht?«

      Ted betrachtete sein Gegenüber lange. Die beiden drückten die Zigarren aus.

      »Es waren deine eigenen Leute«, sagte Ted schließlich, »das weißt du doch.«

      »So gescheit bin ich auch. Aber wer und warum?«

      »Du solltest nicht so viel trinken«, sagte Ted.

      Jo fühlte sich plötzlich sehr müde. Er kramte einen Geldschein aus der Tasche und warf ihn auf den Tisch. »Machs gut, Alter«, sagte er. Er erhob sich langsam.

      Ted

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