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es geölt. Das Fahrrad rollte ruhig, und niemand war zu sehen. Die Häuser waren leer, ausgebrannt, Ruinen. Es waren die Häuser der Türken, die vertrieben worden waren, als Ali noch ein Kind war. Er kannte die Gegend, er war hier aufgewachsen. Die Türken würden eines Tages zurückkehren, die Häuser wieder aufbauen. Es war ihr Land. Es war Omorphita, ein Teil der Hauptstadt Nicosia. Immer hatten hier Türken gewohnt. Und sie würden zurückkehren. Ali wußte es. Jeder töte einen Feind. Es ist der Wille Allahs. Gott ist groß und allmächtig.

      Er kam zu einem Olivenhain, er kannte jeden einzelnen Baum. Es waren die Bäume seines Vaters. Die reichen Castakis ernteten jetzt die Oliven. Die Bäume waren uralt. Die Bäume standen schon immer hier, sie würden noch da sein, wenn die Mechmeds wieder zurückkehrten.

      Bald nachdem Allah aus den Bären Menschen gemacht hatte, wurden diese Bäume gepflanzt. Von den Menschen, mutig und stark wie Bären. Onkel Ibrahim hatte es ihm erzählt, als Ali ein kleiner Junge war und sich vor Bären noch fürchtete.

      Er legte das Fahrrad ins Gras.

      Das Gras stand hoch und war feucht. In einigen Wochen, im Sommer, würde es austrocknen. Aber im nächsten Jahr würde es wiederkommen. Es war fruchtbare Erde, gutes Land. Seines Vaters Land. Nein, sein Vater war tot. Es ist mein Land, dachte Ali. Sonderbar, er dachte es zum ersten Mal. Es ist mein Land, es gehört mir. Meine Schwestern werden hier leben. Wir werden wieder hier leben, wie Vater und Onkel Ibrahim.

      Jeder töte einen Feind.

      Er nahm Onkel Ibrahims Messer aus seiner Brusttasche und steckte es in den linken Ärmel.

      Er stieg über einen verfallenen Zaun. Er konnte jetzt die Zeder sehen. Das ist mein Baum, dachte er. Er schritt auf die Zeder zu. Niemand war zu sehen, es war alles ruhig.

      Der Stamm der Zeder war dunkel. Ali lehnte sich an den Baum, verschmolz mit dieser Dunkelheit. Er wartete, er hatte Zeit. Costas Costakis würde kommen. Onkel Ibrahim hatte es gesagt.

      Mechmed Ali dachte daran, ob er wirklich eines Tages hier wieder leben würde, wie sein Vater, sein Großvater. Vielleicht. Zuvor würde er aber in die Welt gehen, in die große Welt, nach Ankara. Ali wollte ein moderner Mensch werden. Er hatte so viel gelesen. Und sein Freund Jussuf studierte an der Universität in Ankara, schon seit drei Jahren. Jedes Jahr kam Jussuf in den Ferien heim und erzählte von Ankara und der Welt. Und vom Sozialismus und davon, daß die Weltordnung geändert werden müsse. Ali glaubte daran, denn die Welt war schlecht. Und er las alle Bücher, die ihm Jussuf gab. Bücher und Hefte über den Sozialismus. Er las sie heimlich, denn davon durfte niemandwissen. Sein Kommandant in der Kompanie kam aus Ankara, er haßte alle Sozialisten und nannte sie Verräter. Nun, Ali würde nach Ankara gehen und studieren. Er wollte kein blöder Bauer bleiben wie seine Freunde. Und er hatte mit Jussuf ein Geheimnis. Es war großartig, er konnte etwas für die Revolution tun. Und es war gut für seine Brüder, sein Land, Jussuf hatte es ihm versichert. Er glaubte an Jussuf, aber er durfte es niemandem sagen. Weil sie alle blöde Bauern waren und nichts verstanden.

      Im Sommer würde Jussuf wiederkommen. Ali würde ihm erzählen, daß er Costas Costakis getötet hatte. Jussuf würde mit ihm streiten und ihn einen blöden Bauern schelten, denn so eine Tat diene nicht der Revolution. Aber er würde nicht ernstlich böse sein. Schließlich war das auch eine Familiensache, Costas Costakis war der Mörder seines Vaters. Jussuf würde ihn verstehen. Er sah einen großen, hellen Fleck auf sich zukommen.

      Er hielt jetzt das Messer in der Hand.

      Er hörte das Keuchen des Näherkommenden. Es war Costakis. Noch vier Schritte, noch drei.

      Er stieß das Messer in den hellen Fleck, von unten und mit aller Kraft. Es gab ein häßliches Geräusch.

      Costas Costakis war ein großer, schwerer Mann. Ali mußte zu ihm aufschauen. Er zog das Messer zurück, ein dunkler Fleck auf der hellen Brust des Mannes wurde rasch größer. Ali trat einen Schritt zurück und starrte fassungslos auf den großen, hellen Körper, der nun leicht schwankte.

      Da überkam es den jungen Ali Mechmed, er schrie laut und wie von Sinnen, und in diesem Schrei stürzte er sich auf den Mann, biß ihn in die Kehle und stieß das Messer immer wieder in sein Fleisch.

      Sie lagen am Boden. Ali schrie nicht mehr. Er hörte wieder dieses knirschende Geräusch seines Messers, und nun liebte er es. Und dann hörte er nur mehr sein eigenes Keuchen. Er lag auf diesem großen Körper und hörte sein Keuchen. Plötzlich brach ein Höllenlärm los. Hunderte von Zikaden begannen mit einem Schlag zu zirpen. Die Luft vibrierte von dem schrillen Gesang. Ali schnellte hoch, sprang über den Zaun, fand sein Fahrrad und trat in die Pedale. Sein Herz klopfte rasend, und in seinem Kopf dröhnte es: Töte jeder einen Feind.

      093420 B

      Rabov an zentrale

      Brauche dringend genehmigung fuer oertliche erprobung projekt radmet. – sicherheitsvorkehrungen getroffen. – polit.

      Schwierigkeit nicht zu erwarten, auch wenn versuch negativ. – polit. abteilung informiert. –

      Ende. –

      103540 B

      Zentrale an rabov

      Genehmigung erteilt. – Erwarten bericht

      Ueber versuch umgehend. –

      Ende. –

      Damals, am 4. März 1964, waren die Delegierten des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in New York sehr stolz gewesen. Und befriedigt hatten sie ihre Hand gehoben, um der Resolution zuzustimmen. Mit erhobener Stimme verlas der Generalsekretär, daß die Vereinten Nationen nunmehr »im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit die größtmöglichen Anstrengungen unternehmen, um ein Wiederaufflammen der Kämpfe in Zypern zu verhindern und so weit wie notwendig zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung sowie zur Rückkehr zu normalen Lebensbedingungen beitragen werden«.

      Und am 14. März 1964 war es dann soweit. Aus vielen Ländern der Erde kamen sie auf die Insel, landeten ihre Truppen in den Häfen von Famagusta und Limassol. Der kleine Flughafen in Nicosia dröhnte tagelang vom Geräusch an- und abfliegender Maschinen. Die Jugend dieser Welt gab sich ein Stelldichein, in Uniform und mit Waffen in den Händen, aber Frieden im Herzen. Die Welt war glücklich über ihre Aktion, und die Welt hoffte.

      Sie kamen mit fröhlichen und ernsten Gesichtem, verschwitzt, lachend und fluchend. Große blonde Männer aus Schweden und Dänemark, schlanke, drahtige Burschen aus Finnland, Kanada und Großbritannien sandte hochtechnisierte Eliteeinheiten. Aus Australien und Neuseeland kamen Polizisten, die allesamt wie Olympiateilnehmer aussahen, sportlich, durchtrainiert. Ernste irische Soldaten und unbekümmerte Österreicher vervollständigten das bunte Bild. Sie postierten sich zwischen den kämpfenden türkischen und griechischen Zyprioten, hißten die blaue Fahne der Vereinten Nationen. Schluß mit dem Morden, die Waffen nieder.

      Sie alle hatten eins gemeinsam, das blaue Barett der Friedensorganisation und den Wunsch, diesem Land den Frieden zu bringen.

      Und das Morden, das Blutvergießen hörte auf.

      Diese Menschen, Soldaten und Polizisten aus so vielen Ländern, sie verstanden sich sofort. Sie hatten Sprachschwierigkeiten, aber sie verstanden sich. Und dann versuchten sie, die Menschen zu verstehen, denen sie den Frieden bringen sollten.

      Und dann taten sich Abgründe auf.

      Im rasch improvisierten Hauptquartier der vereinten Friedensstreitkräfte in der Nähe des Flughafens von Nicosia, einem Barackenlager aus der Zeit der britischen Kolonialherrschaft, studierten Stabsoffiziere die Situation. Militärisch gab es wenig Schwierigkeiten. Die UNO-Soldaten waren zwischen den streitenden Bevölkerungsgruppen postiert, es wurde nicht mehr geschossen, oder doch nur vereinzelt. Verantwortliche Männer in diesem Hauptquartier studierten die Landkarten und griffen sich an den Kopf. Ein verwirrendes, buntes Bild bot sich ihnen. Blaue Nadelköpfe zeigten die Positionen der Griechen, rote Punkte die Stellungen der Türken an. Dazwischen die weißen Markierungen der neubezogenen Positionen der Friedenstruppen. Soweit war alles in Ordnung. Aber dieses Gewirr der bunten Nadelköpfe zog sich nicht als klare Front

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