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tat. Die Überlegung, daß ihre Verbindung zu Katja und ihre Berichterstattung über alles, was sie aus Bobs beruflichem Leben erfahren konnte, einmal entdeckt werden und ihr schaden könnte, war ihr natürlich früher oft gekommen. Aber sie hatte nie auch nur eine Sekunde erwogen, ihre Verbindung mit Katja abzubrechen. Im Gegenteil, sie konnte sich ein Leben ohne Katja nicht mehr vorstellen.

      Und eigentlich war es ja auch harmlos, eher lächerlich.

      Katja hatte ihr gestern aufgetragen, alles über dieses Zikadenbuch zu berichten und herauszufinden, was Bob damit vorhatte. Nun, das war wohl keine große Angelegenheit und bestimmt kein Staatsgeheimnis.

      Betty streckte sich und beschloß so zu tun, als würde sie gerade aufwachen. Sie hörte Bob sagen:

      »Darling?«

      »Ja, mein Lieber?«

      »Tust du alles für mich auf der Welt?«

      »Alles, mein Gebieter!«

      »Holst du mir auch Eis aus der Küche?«

      »Auch das, mein Gebieter.«

      Betty ging in die Küche, das Handtuch um ihre Hüften gewickelt. Sie bewegte sich dabei so, wie Bob es gerne hatte. Sie kannte ihren Bob. Sie kam mit zwei frischen Gläsern und viel Eis.

      »Wie steht’s mit dir«, sagte sie, »wirst auch du immer alles für mich tun?«

      »Alles«, sagte Bob und hob die Hand, »ich schwöre.«

      »Dann hol’ mir ein Bier«, sagte Betty, »ich muß jetzt ein Bier haben, ich könnte sterben für ein Bier.«

      Major Bob Parker schaute ein wenig hilflos.

      »Es ist keins mehr da«, erklärte sie, »du mußt in die Kneipe gehen und welches holen. Das Leben ist hart.«

      Bob murrte und schlüpfte in einen Pullover.

      »Vorschlag«, sagte Betty. »Bring ein paar Sandwiches mit, und wir gehen heute nicht mehr raus. Ich mag mich nicht mehr anziehen.«

      »Great!« jubelte Bob.

      Er nahm eine Einkaufstasche und trollte sich. Sie war einfach großartig, seine Betty.

      Die großartige Betty horchte eine Weile, bis seine Schritte verklungen waren. Dann nahm sie aus ihrer Handtasche ein Stück Papier und notierte Herausgeber, Verlag und Autor des Zikadenbuches. Sie notierte auch die Seiten und Absätze, die Bob unterstrichen hatte. Den Zettel steckte sie in ihre Puderdose. Dann warf sie sich aufs Bett und zündete sich eine Zigarette an. Morgen würde Bob weg sein. Morgen würde sie Katja anrufen.

      Der 3. Dezember 1967 war ein Tag wie jeder andere im Polizeikommissariat Wien 12. Vielleicht noch ein wenig trüber und eintöniger als sonst, denn es regnete seit Tagen, und die tiefhängenden Wolken über der Stadt ließen keine andere Farbe aufkommen als jenes deprimierende Vorstadtgrau, daß die Menschen traurig und böse macht. Niemand kann es beweisen, aber wohl auch niemand bestreiten, daß dies speziell für beamtete Menschen in düsteren Amtsräumen zutrifft. In der Kriminalbeamten-Abteilung des Kommissariats brannten um acht Uhr noch die altmodischen Deckenbeleuchtungen, 15 Watt-Birnen, sie verbreiteten ein abscheuliches Licht, aber keine Helligkeit.

      Das kleine Zimmer des leitenden Kriminalbeamten war womöglich noch düsterer als die anderen. Das geschlossene Fenster zu einem finsteren Lichthof war von Tauben verdreckt, und es stank nach Kohlengas. Der amtliche Kohlenofen aus den Tagen Josefs II. rauchte mehr als er brannte. Das war schon immer so gewesen.

      Der leitende Kriminalbeamte saß an seinem Schreibtisch und füllte das Dienstbuch aus: »Inspektor Horeschovsky auf Urlaub, Inspektor Wachal krank, Meier und Grüner zur Zentralstreife abkommandiert. Dorotheumsüberwachung Inspektor Tillic, Hauptdienst Gruppe 2.«

      Der leitende Kriminalbeamte hörte das Knarren des hölzernen Fußbodens auf dem Gang, das gedämpfte Murmeln der Kriminalbeamten, die sich im Dienstzimmer zum Frührapport versammelten. Er wußte, es war punkt acht, Zeit für den Rapport.

      Der zweiundvierzigjährige Kriminalmajor Josef Heller war seit zweiundzwanzig Jahren Kriminalbeamter, aber erst seit zehn Monaten auf diesem Kommissariat. Er haßte es, wie er seit zehn Monaten sein ganzes Leben haßte. Und dieses Gefühl des Hasses war eigentlich das einzige, zu dem er überhaupt noch fähig war. Dabei hatte er dieses Gefühl bis vor zehn Monaten überhaupt nicht gekannt. Im Gegenteil, er war immer ein eher fröhlicher Mensch gewesen, oberflächlich, ein wenig leichtsinnig. Den Annehmlichkeiten des Lebens sehr zugetan. Und vielleicht war es gerade das, was ihn in seinem Beruf so erfolgreich werden ließ. Neunzehn Jahre lang war er der Sonny-Boy der Staatspolizei in der Nachrichtenabteilung gewesen. Liebkind seiner Vorgesetzten. Sicherlich auch sehr tüchtig. Wann immer ein kniffliges Problem zu lösen war, Joschi Heller schaffte es. Oh ja, er war sehr erfolgreich in seinem Beruf gewesen. Zu erfolgreich, wie er heute wußte.

      »Gestern zwei Festnahmen wegen Geheimprostitution am Gaudenzdorfer Platz von der Gruppenstreife«, las der diensthabende Gruppeninspektor. Dann sah er den Major an. Eine Pause entstand.

      »Was ist?« fragte der Major.

      »Chef«, sagte der Gruppenleiter, »wenn wir nicht aufhören mit den Prostitutionsstreifen, werden wir Schwierigkeiten mit dem Koat 15 haben. Die Huren weichen aus in den 15. Bezirk, und die Kollegen dort sind schon sauer.«

      Die Prostitutionsstreifen waren Anordnung des Stadthauptmannes, jeder wußte das. Ein sehr ambitionierter Mann, der Herr Stadthauptmann. Es ging über die Kompetenz des Majors, die Streifen zu stoppen. Auch das wußten alle. Der alte Gruppeninspektor hatte aber natürlich recht. Die Huren wurden von den ständigen Streifen aufgescheucht und gingen zwei Straßen weiter in den Nachbarbezirk. Die Streifen waren keine Lösung. Und die Prostitution in Wien war so alt wie die Stadt selber, hatte ihre Tradition.

      Alle sahen ihn an. Er mußte irgendeine Entscheidung treffen. Teufel, was gingen ihn die blöden Huren an! Er müßte sagen: Die Streifen werden fortgesetzt, Anordnung des Stadthauptmannes.

      »Die Streifen werden fortgesetzt«, sagte er. Die Kriminalbeamten sahen ihn an. Sie hielten ihn nun für einen Duckmäuser, er wußte es. »Die nächsten Streifen sind negativ, klar?« sagte er. Nun murmelten die Kriminalbeamten zustimmend.

      »Eine Woche lang täglich Hurenstreifen ohne Festnahmen«, fügte er hinzu. »Ich hoffe, ich bin verstanden worden.« Alle brummten und nickten zustimmend. Zweiundvierzig Kriminalbeamte und eine weibliche Kriminalbeamtin. Eine Woche lang würde der Major die Prostitutionsstreifen im Dienstbuch austragen, eine Woche lang würden die eingeteilten Kriminalbeamten statt auf diese Streife anderswo hingehen, in ein Kaffeehaus, ins Dampfbad, oder einfach nach Hause zu ihren Familien. Der Major würde täglich dem Stadthauptmann berichten, daß alles in Ordnung sei. Die Strichmädchen würden wieder zu ihren Stammplätzen zurückkehren, die gewohnte Ordnung im Gaudenzdorfer Viertel wieder hergestellt werden. Alles würde wieder so sein, wie es immer gewesen war.

      Der Gruppeninspektor fuhr mit seinem Bericht fort: Automateneinbrüche in der Schönbrunnerstraße, Auslageneinbrüche am Matzleinsdorferplatz. Der Major hörte nicht hin. Er sah in die gelangweilten, ausdruckslosen Gesichter seiner Beamten.

      Ausdruckslose Gesichter.

      Jüngere Männer, ältere Männer, schäbige Anzüge, gelangweilte Atmosphäre. Regen klatschte ans Fenster.

      Die 15 Watt-Birne brannte traurig und flackerte ein wenig. Es roch nach nassen Kleidern, Zigarettenrauch, nach Dreck und Vorstadt.

      Was für ein Scheiß-Beruf, dachte der Kriminalmajor. Was für ein elender, trauriger, hoffnungsloser Beruf. Er dachte das oft in den letzten Monaten, wenn er überhaupt etwas dachte. Er zündete sich eine Zigarette an. Er rauchte zu viel in letzter Zeit.

      »Wieder Diebstähle im Theresienbad, Damensauna«, las der Gruppenleiter. Er machte eine Pause. Der Kriminalmajor sah seine weibliche Kriminalbeamtin an: Vierzig Jahre, fett, häßlich, eine tüchtige Kriminalbeamtin. Derselbe Gesichtsausdruck wie ihre männlichen Kollegen: gelangweilt, enttäuscht. Zwanzig Dienstjahre, seit zwanzig Jahren mit dem Häßlichen des Lebens konfrontiert.

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