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Auf der Landkarte rot markiert, waren diese roten Flecken über die ganze Insel verteilt, in ungleichmäßigen Abständen und verschiedenen Größen. Das ganze sah aus wie ein Hautausschlag, wie Scharlach oder Masern. Wie eine häßliche Krankheit, – und so war es auch.

      Als die Friedensbringer nun mit den Vertretern der streitenden Bevölkerungsgruppen zu verhandeln begannen, zeigte sich bald ein überraschendes, ein trauriges Resultat: Diese Menschen, ja, sie wollten Frieden, so sagten sie. Aber mitsammen leben – niemals.

      Wir sind die Mehrheit, wir sind die Ureinwohner, wir haben diese Insel von der britischen Kolonialherrschaft befreit, wir stehen auf einer höheren Kulturstufe, deshalb werden wir diese Insel regieren. So sagten die Griechen.

      Dreihundert Jahre wurde diese Insel von uns regiert. Sie ist nur fünfundsechzig Kilometer vom Mutterland Türkei entfernt, gehört geographisch zur Türkei. Wir sind Türken, wir lassen uns niemals von Griechen unterdrücken. Wir regieren uns hier selber; die Griechen haben uns nichts vorzuschreiben. So sagten die Türken.

      Die dort drüben, sagten die Griechen, sind Barbaren, mittelalterliche, primitive Untermenschen. Man sollte sie verjagen von der Insel. Diese Insel ist griechisch.

      Die dort drüben sind eine feige, heimtückische Rasse, sagten die Türken. Mit ihnen kann man nicht zusammenleben, diese Insel gehört zum Mutterland Türkei.

      Verwirrt hörten die Friedensbringer diese Standpunkte. Sie versuchten zu verstehen und verstanden nichts. Sie studierten die Vergangenheit, die Geschichte dieser Insel, wurden noch verwirrter. Dann gaben sie auf. Es war wieder Zeit, heimzufahren. Die Ablösenden kamen, neugierig und voll von Idealen. Die Alten wiesen die Neuen ein, erklärten ihnen die Situation, die Tatsachen, »Gut, was soll weiter geschehen?« fragten die Neuen. Die Alten zuckten die Schultern. »Warum ist dieses so, warum kann man nicht jenes so machen?« fragten die Neuen. Die Alten zuckten die Schultern. Zu Hause warteten Frauen, Kinder. Scheiß-Zypern, was geht mich die Insel an! Die Menschen hier wollen ja gar nicht in Frieden leben. Was geht mich das an. Meine Frau wartet …

      Der österreichische Major Josef Heller hatte die polizeilichen Aufgaben im Kyrenia Distrikt im Norden der Insel zu übernehmen, ein dänischer Polizeiinspektor war dort abzulösen. Sie trafen sich in der UNO-Polizeistation, ein wenig außerhalb der kleinen Hafenstadt.

      »Gut, daß du da bist«, sagte der dänische Inspektor. Er sprach besser Deutsch als Englisch. »Mensch Josef«, sagte er mit spürbar nordischem Akzent, »ich hab die Schnauze voll.«

      Vier Jahre war die UNO nun auf Zypern. Der Sommer begann zeitig in diesem Jahr 1968, die Tage waren heiß, und in den Mittagsstunden schlief jedes Leben ein, zogen sich die Menschen in den Schatten ihrer Häuser zurück.

      »Willst du ein Bier?« fragte Inspektor Jensen. Sein Hemd war offen und die Brust schweißnaß. Jo Heller wollte. Er trank aus der Flasche, gutes, dänisches Bier, es floß ihm kühl und köstlich durch die Kehle.

      Inspektor Jensen begann nun, den Distrikt zu erklären. Gerade enthusiastisch war er nicht.

      »Du hast 40 000 Einwohner im Distrikt, davon 5000 in der Stadt«, er deutete mit der Bierflasche in Richtung Kyrenia. »Du hast die große türkische Enklave drüben«, er deutete in Richtung der Berge, »ca. 10 000 mit den Flüchtlingen. Am westlichen Zipf«, er ging zur Wandkarte und tappte mit einem Finger darauf, »hast du Maroniten und Armenier, harmlose Leutchen.« Er stand auf, holte zwei weitere Bierflaschen, öffnete sie. »Finstere Gegend dort, keine Elektrizität, nur Brunnenwasser, Sandstraßen. Wir sagen, dort bellen die Hunde mit den Ärschen.« Er lachte, setzte sich wieder. »Was erzähl’ ich dir das ganze Zeug, du bist ja nicht brandneu hier auf der Insel.

      »Ich war fünf Monate in Nicosia«, meinte Jo.

      »Eben«, sagte Inspektor Jensen. »Der Distrikt geht bis zu den nördlichen Vororten der Hauptstadt.« Er deutete wieder auf die Karte. »Eingeschlossen Omorphita, das verlassene Viertel. Mußt du ja kennen.«

      Jo nickte.

      »Mit der lokalen Polizei kommen wir ganz gut aus«, fuhr Jensen fort. »Die Griechen haben ihre Station gleich beim Hafen. Morgen führ’ ich dich hin und stell’ dich vor. Achtung, der Chef ist ein Radikaler, ein Grivas-Mann. Aber er ist freundlich, weil er von mir Zigaretten kriegt.« Jensen grinste. »Ich komm’ ganz gut mit ihm aus. Wenn er schwierig wird, hat er nichts zu rauchen.« Jensen grinste wieder. »Ich empfehle dir, so weiterzumachen. Zwei Stangen Rothmann im Monat. Die kosten dich ja fast nichts, und du ersparst dir viel Ärger.«

      Jo nickte.

      »Drüben in Boghaz«, der Inspektor deutete wieder zu den Kyrenia-Bergen, »drüben haben die Türken ihre Station. Der Chef heißt Hakki, er ist der Onkel des türkischen Militärkommandanten. Man kommt soweit gut aus mit ihm. Er kriegt auch seine Zigaretten von mir.«

      »Zwei Stangen im Monat«, sagte Jo.

      »Richtig«, nickte Jensen, »man muß schließlich unparteilich sein. Aber keine Rothmanns, sie sind ihm zu stark. Picadilli sind ihm lieber.«

      »Ich werde es nicht verwechseln«, sagte Jo.

      »In ein paar Wochen«, sagte Jensen, »kommen die Touristen. Es ist dann nicht mehr so langweilig. Meist Engländerinnen. Romantische Gänse, leicht zu haben.«

      Jo nickte.

      »Ich hab’ da noch einen Akt für dich.« Jensen war ein wenig schuldbewußt. »Ein Grieche ist erstochen worden, in Omorphita. Die griechische Polizei behauptet, von einem Türken.« Jensen ging zum Tisch, kramte in einem Stoß von Papieren und fischte dann einen zerknitterten Akt heraus. Jo schaute auf das Datum, der Bericht war drei Wochen alt. »Sei nicht böse«, sagte Jensen. »Das ist eine Übersetzung des griechischen Polizeiberichtes. Ich hab’ noch gar nichts gemacht damit, aber das Hauptquartier drängt schon. Versteh mich bitte, ich hatte keine Lust mehr.«

      Jo verstand. »O.k. Jensen«, sagte er.

      Jensen grinste erleichtert. Er klopfte Jo auf die Schulter. »Fein. Morgen führ’ ich dich herum und stelle dich ein paar Leuten vor. Du hast einen guten Sergeanten hier auf der Station, der macht den Dienstplan. Er kümmert sich um alles. Übrigens, komm mal mit nach nebenan.« Er stieß eine Tür auf. Jensen deutete in den Raum. »Hier ist dein Bett, ich schlafe heute auswärts. Den Schrank räume ich morgen aus. Bist du böse, wenn ich jetzt abhaue, ich hab’ noch was privat zu erledigen. Wir sehen uns morgen.«

      Major Heller hatte nichts dagegen.

      Der Sergeant brachte seine Koffer herein, stellte sie in eine Ecke.

      »Abendessen ist um 19 Uhr«, sagte er. Und dann saß Jo Heller allein in diesem Zimmer, allein mit ein paar leeren und ein paar vollen Bierflaschen und einem unerledigten Akt. Und weil ihm nichts besseres einfiel, begann er, den Akt zu lesen.

      Während der nächsten Tage hatte er genug zu tun, um sich in seiner neuen Umgebung einzurichten. Schließlich würde er die nächsten Monate, vielleicht sogar Jahre hier verbringen. Wer konnte wissen, wie lange die UNO im Land bleiben würde! Und Zeit bedeutete anscheinend nichts auf dieser Insel. Sie hatten viel Zeit, die Griechen und die Türken, sie ließen sich zu nichts drängen. »Avrio«, sagten sie, oder »yarin«, je nachdem. Es hieß »morgen«. Aber »morgen« bedeutete nicht wirklich morgen, es kam immer noch ein anderer Tag. Es bedeutete: Irgendwann einmal. Es bedeutete: Ja, ja, ich werde es schon tun! Morgen oder übermorgen. Ich werde es schon einmal tun. Avrio.

      Nun, Major Heller hatte es auch nicht gerade eilig. Die orientalische Lethargie tat ihm gut, er paßte sich an. Seine dienstzugeteilten Polizeibeamten mochten ihn gern, er war ein angenehmer Chef. Nie nervös, nicht sehr akkurat. Wenn etwas schief ging, avrio, morgen, wir versuchen es morgen wieder.

      Die erste Anmahnung im Mordfall Costas Costakis kam nach zwei Wochen. Wann mit einem Bericht zu rechnen wäre, fragte das Hauptquartier höflich an. Avrio, dachte Jo Heller. Er schrieb einen kurzen Vermerk, daß der Fall derzeit noch immer erhoben würde. Ein abschließender Bericht würde »demnächst« vorgelegt werden. Avrio.

      Die Tage wurden zusehends heißer, die Nächte

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