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der Studiosus Ellerbrook inmitten der Mitglieder des „Staatsrechtlichen Vereins“, des Decknamens für die Führer-Auslese der Burschenschaft, und lachte trotzig und begeistert mit geschwungener Faust.

      „Wir haben der Metternichtigkeit den Weg gewiesen!“

      „Der Knechtschaffenheit!“

      „Heil die heilige Freiheit!“

      „Volunto! Volunto!“

      „Heil Karl August!“

      „Heil unsern Lehrburschen, den Professoren! Da drüben winken sie uns vom Rathaus! Der Oken, der Fries, der Luden! Heil, Ihr alten braven Kerle!“

      Daneben stand auf dem mondhellen Markt eine zweite, gedrängt und aufgeregt raunende Gruppe von Commilitonen. Das war die „Litterarische Bildungsgesellschaft“, der getarnte enge Ring der „Unbedingten“, der Allerschärfsten in der Burschenschaft. Aus ihrer Mitte trat ein junger Mann im schwarzen Rock rasch auf Christian Ellerbrook zu. Er war schlank und hochgewachsen. Lange schwarze Ringellocken hingen um das ernste, blasse, gegen das Kinn hin schmal zulaufende Antlitz mit den hellen Augen und dem seltsam kleinen, hartnäckigen Mund.

      „Furchtbarer Verrat!“ murmelte er dumpf mit einem Anklang an die bayrisch-fränkische Mundart.

      „Wieso, Bruder Sand?“ Der Andere lachte. „Im Gegenteil! Wir haben jetzt beim König in Berlin und beim Kaiser in Wien einen Stein im Brett!“

      „Aber der Tyrann an der Nema reckt über Deutschland die Knute!“ sprach kalt und verbissen Karl Ludwig Sand, der Theologe. „Wir haben es schwarz auf weiss!“

      „Horcht, was der Spukmeier meldet!“

      „Sprich, Sand!“

      „Wisst: der Weimarer Schandbube und Erzknecht Kotzebue hat jüngst ein Mémoire an seinen Brotherrn, den Zaren Alexander, verfasst . . .“

      „Wir haben dem Schuft schon einmal ein Bündel zerbrochener Gänsekiele zur Warnung durchs Fenster geschmissen!“

      „. . . ein Mémoire, in dem er erklärt, die deutsche Studentenjugend müsse durch Russland dem freiheitlichen Irrgarten entrissen werden, in dem sie jetzt herumstolpere!“

      „Hast Du den Dreck selbst gelesen, Bruder Sand?“

      „Er war von dem Elenden seinem Sekretär auf ekles Wälsch diktiert. Die Schreiberseele konnte einige Sätze nicht entziffern und bat einen wackeren Mann, den Litterator Lindner, der mit ihm im selben Hause in Weimar wohnt, um Hilfe. Hei! — unser Lindner wusste Bescheid, was tun? In einer Stunde schrieb er die wichtigsten Stellen ab und schickte sie hierher nach Jena an den Herrn Professor Oken! Unser Oken hat sie jetzt eben in der ‚Isis“ veröffentlicht! Man reisst sich drüben in der Druckerei um die ‚Isis’, ehe sie konfisziert wird! Man zahlt einen Dukaten und mehr für das Exemplar! Ich habe mir eines gerettet! Da seht!“

      Von Hand zu Hand ging, noch druckfeucht, die Nummer der „Encyklopädischen Zeitung“, die das halbe literarische Europa im Atem hielt. Sperber- und schakalköpfig bewachten auf dem Titel des gelblichen Quartblatts Osiris und Anubis die sitzende Isis. Hieroglyphen standen im Text geheimnisvoll neben den Namen des Missfälligen. Eine krumme Nase ergänzte das Bild des Saul Ascher, eine Knute das des Janke, ein Eselskopf das des Publizisten Reinhard. Eine Gans aber, die sich mit dem rückwärts gebogenen Schnabel hinten im Darm pickte — das war der Rotzebue . . .

      „Die Gans wollen wir rupfen!“ rief Christian Ellerbrook. Um ihn ein drohendes Geschrei:

      „Wir haben den Kotzebue gewarnt, als er neulich seinen Sohn hier besucht hat, er solle sich nicht wieder in der Umgegend von Jena blicken lassen!“

      „Der Schmalzgesell ist in solcher Hast nach Weimar abgereist, dass er seinen Mantel hier vergessen hat!“

      „Der Mantel hängt noch jetzt bei seinem Sohn auf der Bude!“

      „Wir holen ihn!“ schrie der Studiosus Ellerbrook leuchtenden Auges. „Burschen! Ich weiss einen göttlichen Skandal! Kommt!“

      Der mondklare Markt brauste in unruhiger Erwartung der Burschenschaft. Aus den lichthellen Fenstern der verschneiten alten Giebel guckten die Spiessbürger mit Kind und Kegel. Dann wuchs von der Ecke her ein im Fackelschein sich näherndes Triumphgeschrei. Ein stürmisches Halloh aus hundert Kehlen. Gellend wie in Lützows Tagen der Befehl des Studiosus Ellerbrook.

      „Rollt mal ein leeres Fass aus dem ‚Stern’ herbei!“

      Dort fuhren die Damen entsetzt von den Fensterbrüstungen des Gasthofs zurück.

      „Um Gottes willen! Da schleifen sie ja einen Menschen über das Pflaster! Sie schlagen auf den Unglücklichen ein!“

      „Es ist nur sozusagen eine litterärische Vogelscheuche, Mesdames!“ beruhigte der Wirt. „Die durchreisenden Herrschaften müssen mit der frischen Art, in Jena zu leben, vorlieb nehmen. Jetzt steigt Einer der Verwegensten unter den jungen Herrn auf das Fass. Die Commilitonen beleuchten mit Pechbränden sein Gesicht! Sehen Sie nur, wie seine Augen über die Köpfe hin funkeln!“

      „Ihr Burschen!“ schrie Christian Ellerbrook. „Ihr seht hier den Bluthund von Galgenbach, genannt Kotzebue! Wir müssen ihm einen Denkzettel geben! Er selber ist leider nicht da! Also haben wir seinen Mantel mit Stroh ausgestopft. Nun wollen wir seinem Stellvertreter mit unsern Ziegenhainern unsere Meinung sagen!“

      Die Knüttel aus Hagedorn klatschten auf den still liegenden und stäubenden und knisternden Radmantel. Die Fackeln lohten. Erhitzte Gesichter lachten.

      „Achtung: die Pedelle!“

      Ein Massenschrei des Zorns.

      „Licht weg!“

      „Pereat!“

      „Bursche raus!“

      Jena, das alte, wilde Jena, schäumte auf. Jena war nicht gewillt, vor zwei Pudeln oder ein paar Stadtsoldaten zu weichen. Die letzte Husarenabteilung hatte der Grossherzog, der ewigen Krawalle müde, schon im Vorjahr für immer aus dem Städtchen weggenommen. Das Städtchen war der Burschenschaft selbstherrliches Reich.

      „Lachst Du nicht, dass Kotzebue verprügelt wird?“ schrie begeistert im Feuerschein Christian Ellerbrook von seiner Tonne. „Hei! Bruder Sand! — Du hast keinen Sinn für Humor!“

      In dem von schwarzen Haarsträhnen umwallten Antlitz des Theologen Sand regte sich keine Miene. Er sagte nur kalt:

      „Für Kotzebue ist es zu wenig!“

      „Es ist genug!“ Der Studiosus Ellerbrook sprang mit einem Turnersatz von dem Bierfass. „Gebt den Mantel dem Commilitonen Kotzebue zurück! Er soll ihn seinem Vater schicken! Sauber ausgeklopft sei er!“ Er brach ab. Es klangen Rufe von den Häusern her. Wilde Rufe. Studenten liefen mit langflatternden Haaren über blossen Hälsen und schrien:

      „Die ‚Isis’ ist confisziert!“

      „Rast nur, Ihr Büttel der Gewalt, zu der der Druck der Grossen selbst unsern Fürsten zwingt!“ Christian Ellerbrook breitete stürmisch die Arme gen Himmel. „Aber unsere Oriflamme: die deutsche Freiheit und Volksehre — die confisziert Ihr nicht!“

      Fünftes Kapitel

      „Als wir in Weimar uns begegneten, Herr Ellerbrook, im blauen Wohnzimmer und auf dem Markt — da riss der Herbst die Blätter von den Bäumen. Jetzt will es Frühjahr werden. Wir schreiben den März. In unserem Garten blühen die Schneeglöckchen.

      „Der Winter liegt hinter mir. Wir haben ihn in alter Art mit Maskeraden und Lesekränzchen und guten Vorstellungen im Komödienhaus und Redouten der Schönen Welt im Stadthaus verbracht. Aber alle diese brausenden Belustigungen haben eine innere Wehmut nicht zu bannen vermocht, die seit dem vorigen Oktober meine Begleiterin ist.

      „Ich mag mich nicht mit anzüglichen Worten blossstellen. Und doch: Es ist mir unmöglich, ohne Betrübnis an unsere, ach so flüchtigen Gespräche zurückzudenken. Ihre rauhen und strengen

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