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zu. Seine dunklen Augen blitzten über dem dunklen Schnurrbart.

      „Wir wollen deutsche Geister und Leiber sein, Demoiselle — Mann und Weib — und ein neues starkes Geschlecht in die Zukunft fortpflanzen!“ Er schaute sich freimütig, die weissen Zähne zeigend, im Kreise um. „Dazu helfe uns Gott!“

      Die Damen schauten betreten zu Boden. Nur das Fräulein von Laubisch warf den tränenschweren braunen Ringelkopf in den Nacken.

      „Wir sind hier Weltbürger, mein Herr Studiosus aus Jena!“

      Der blaue Rundraumn hallte von einem heissblütigen Lachen des Zorns.

      „Dies teutsche Bunt hier, in dem ein Maikäfer in fünf Minuten auf der Landkarte fünf Fürstentümer bekleckert — das ist für Euch, auf zehn Postkutschenmeilen in der Runde, die Welt! . . . Fahnenflüchtlinge seid Ihr aus der deutschen Welt! Lieber will ich Jena in Asche verkehren, als mit Euch in Weimar hausen!“

      „Oh, welch ein Blauermontags-Ton“, wandte sich Friderique in bangem Kummer zu den Freundinnen.

      „Weltbürger!“ rief hochaufgerichtet, breitbeinig dastehend mit flammenden Augen der Student aus Jena. „Wir — der Bruder Helmich da und ich — wir sind Weltkrieger! Wir haben die Welt in Wahrheit gesehen — aber die Welt in Waffen! Und über ihr das apokalyptische Tier, das Korsica ausspie! Wir deutschen Jünglinge haben den Drachen vom güldenen Stuhl gestürzt! Soll ich meinen heiligen Schwarzrock aufreissen und Euch meine Narben zeigen?“

      Die Damen erschraken noch mehr. Das Fräulein von Helmich legte in einem leisen Schauer die Hand vor die Augen. Friderique, die Haustochter, lief auf einen alten Herrn zu, der durch die Seitentür eingetreten war. Er trug einen grauen Knebelbart in dem feinsinnigen, verwitterten Gesicht. Seine straffe Haltung verriet auch in dem bräunlichen, auf Pikeschenart mit Quasten verschnürten Oberrock den alten Husaren.

      „Vater! Er weiss nicht zu leben!“ wehklagte sie. Und drüben die heisse junge Stimme:

      „Aber zu sterben haben wir gewusst — bei Leipzig und Waterloo! Ihr habt’s nicht gehört, das Brausen in unseren Reihen, als drüben die Carré’s der Alten Garde wankten und wir unsere Gäule in den Bajonettwald warfen, Vater Blücher voraus!“

      „Bravo!“ schrie der alte Major George von Laubisch und sein künftiger Schwiegersohn, mit einem Blick auf Christian Ellerbrook:

      „Er war im Feld ein Gesell, vor dem der Teufel den Schwanz einkniff, ohne Fladduse zu melden!“

      „Und was habt Ihr inzwischen hier gemacht?“ sprach der schwarze Student plötzlich unheimlich ruhig. „Ihr habt, wie man uns heimgekehrten Burschen in Jena berichtet hat, Mummenschanz getrieben und Schäferspiele veranstaltet und Scherenbilder geschnitten . . .“

      „Vater! Er kränkt mich mit Bedacht!“

      „Christian: Die antikischen Silhouetten an den Wänden sind doch von dem Fräulein des Hauses!“

      „Die Demoiselle hätte besser Verwundete gepflegt! Aber Eure Ohren waren taub für den Sturm des Herrn! Die zweitausend Kanonen, die bei Leipzig um Deutschlands Freiheit zum Himmel brüllten, die habt Ihr nicht gehört. Doch für das Gegacker eines wälschen Sängers habt Ihr Euch im selben Jahr hier in der Komödie die Hände wund geklatscht!“

      „Vater! Er zerstört unsere ganze schöne Welt!“

      „Die Franzosen galten Euch wie Deutsche! Ihr habt mit ihnen scharmutziert und getafelt. Euch hat das Herz nicht geblutet, dass unser Vaterland von ihnen ausgesogen und geplündert war — dass Danzig und Hamburg französische Städte waren — dass sie in meiner Vaterstadt, dem heiligen Köln, die Marseillaise gespielt haben und den ganzen deutschen Strom hinauf die von ihnen verbrannten deutschen Burgen stehen. Bis zur Elbe herrschte über deutsche Fürsten der Antichrist. Ihr nahmt ihn für einen gnädigen Herrn! Aber wir deutschen Jünglinge sind ungnädig geworden. Wir wollten nicht länger das Gespött der Völker sein!“

      „Es ist nicht die Aufgabe des Frauenzimmers, sich mit Staatsaffairen und Kriegshändeln zu befassen!“ sprach das Fräulein von Laubisch blass und mit schwankender Stimme. Der Student von Jena nickte.

      „Gut, Demoiselle! Aber um Deutschland soll sich das deutsche Frauenzimmer sorgen! Habt Ihr Euch je, ausserhalb Eurer schönen Geister, Eurer Brüder und Schwestern im Volk entsonnen? War Euch der Bauer nicht ein Rüpel und der Handwerker ein Tölpel und Ihr wart in Griechenland und im Mond? Das ist bei uns anders. Wir sind im Krieg Bügel an Bügel in der Schwarzen Schar getrabt und haben den Nebenmann nicht gefragt: Bist Du ein Schneidergeselle oder ein Fürstensohn? Uns ist im Frieden jeder Deutsche ein Bruder, wenn er nur ein rechter Deutscher ist. Bei uns in Jena sagt jeder Bursch vom Grafen ab zum andern ‚Du’!“

      „Eure Tempel stürzen zusammen!“ sagte der Kammerjunker von Helmich halblachend zu dem Hausherren. Der wandte den knebelbärtigen, durchgeistigten Kopf immer wieder besorgt nach dem offenen Seitenraum, aus dem ein dort neben aufgeblätterten Kupferstichen stehender Besucher ihm nicht über die Schwelle gefolgt war. Man hörte nur ein paarmal von dessen Lippen ein tiefes, unbestimmtes ‚Hm‘!

      „Wir haben ihm unser Haus so willfährig geöffnet!“ Friderique schüttelte ihre braunen Locken. Tränen standen in ihren seelenvollen Augen. „Aber der junge Herr hat Manieren an sich, wie sie auf der Hauptwache üblich sind!“

      Der Student von Jena sah sie freundlich, fast ermunternd an. „Das ist mein ständiges Missgeschick!“ sagte er. „Wo ich hinkomme, gebe ich den Gerechten und Selbstgerechten Anstoss und muss weiter. Ich kann meine Zunge nicht zähmen. Denn die Zeit spricht mit feurigen Zungen. Gestern Abend sind gegenüber der Wartburg die Feuer zum Himmel geschlagen, und wir Burschen taten Hand in Hand ein heiliges Gelübde zu Deutschlands Ehren!“

      „Man hat an hohem Ort schon Rapport von Eurer Ketzerverbrennung erhalten!“ Wieder blickte der Major von Laubisch besorgt nach dem Gast im Nebenzimmer. Jetzt trat jener zu den Herren und Demoisellen in das blaue Gemach. Seine mehr als mittelgrosse, steif aufgerichtete Gestalt war in einen dunkelbraunen zugeknöpften Schossrock gehüllt. Um den Hals schlang sich ein weisses, kreuzweise durch eine goldene Nadel zusammengehaltenes Seidentuch. Darüber ragte das von kurzem weissgrauem Gelöckel bedeckte majestätische Haupt eines angehenden Siebzigers mit schmalen, eingefallenen Lippen und gebieterischer Hakennase. Unter einer mächtigen Stirn brannten zwei schwarze Sonnen von Augen.

      Der Gast schritt in steiler Haltung, die Hände auf dem Rücken, durch das Zimmer nach der Flurtüre. Er nickte väterlich den schönen Kindern zu, die, wie ein farbiges Blumenbeet, in einem tiefen, stummen Knicks in sich zusammenblätterten. Im Vorbeigehen ein durchdringender Sonnenblick auf den Studenten von Jena. Noch einmal, in sich hinein, dies seltsame, halb wohlwollende „Hm‘. Dann draussen seine warm klingende, tiefe Stimme zu dem Hausherrn, der ihm ehrerbietig selbst die Türen öffnete.

      „Die Gelegenheit des Einblicks in die junge Torheit war nicht so übel! Wenn nur die Alten keine solchen Esel wären! Denn die verderben eigentlich das Spiel! . . . Nun — den Rest der Kupferstiche, mein Bester, durchschauen wir morgen. Die Equipage? Nein — ich gehe zu Fuss.“

      Es war, als wandelte der Landesherr selber, gemessen und bedächtig, die Hände immer auf dem Rüden, durch die Gassen von Weimar. Die Bürger dienerten ehrfurchtsvoll in ihren Ladentüren. Die Marktbauern rissen die Kappen vom Kopf. Die Stadtsoldaten standen stramm. Die Beamten nahmen von weitem den Dreispiss vom Kopf. Die Damen neigten zuerst zum Gruss die Blumenschuten. Fremde standen und starrten verklärt, wie im Mekka ihrer Pilgerfahrt angelangt, dem alten Herrn nach, bis Seine Excellenz der Grossherzogliche Staatsminister Freiherr Johann Wolfgang von Goethe auf dem Weg zum Schloss ihren Blicken entschwand.

      Aus dem herbstbunten Parklaub des Ilmgeländes wanderte zu gleicher Zeit ein stämmiger mittelgrosser Mann von sechzig Jahren dem hohen, mittelalterlichen Schlossturm zu. Er hatte ein gefurchtes, bartloses Antlitz mit starker Nase, hoher Stirne, eingefallenem, willensfestem Mund mit breiten Kiefern und wuchtigem Doppelkinn. Abgetragen sein kurzer grüner Rock mit der schmal geknüpften, schwarzen Halsbinde und die langen grauen Hosen. Verschossen die preussische Soldatenmüsse auf dem dichten grauen

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