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und sein Tritt war derb und fest wie bei einem, der über sein eigenes Land schreitet.

      Zwanzig Schritte hinter ihm gingen zwei Leibjäger, den Hirschfänger zur Seite. Am Eingangstor des Schlosses erstarrten die wachehaltenden Husaren zu grünen, goldverschnürten Statuen mit präsentiertem, blankem Säbel. Der Landesherr stieg die steinerne Treppe zum zweiten Stock in das Bernhardzimmer empor, wo von der Wand zwischen Waffen des Dreissigjährigen Kriegs das Bildnis seines grossen Vorfahren Bernhard von Weimar auf ihn niederschaute. Ein Hauch von Wald und Feld wehte mit ihm, von feuchten Herbstblättern und in ewiger Urkraft dampfender Erde. Er warf formlos seine preussische Generalsmüsse auf den Tisch.

      „Du bist doch ein närrischer Kerl!“ sprach Karl August von Weimar gemütlich zu der feierlichen Verbeugung seines Ministers von Goethe, setzte sich und griff, in der Gewohnheit rastloser Tätigkeit, nach einem Blatt Papier auf dem Tisch. Die kräftige, naturnahe Sinnlichkeit, die auf seinen derben Zügen spielte, verlor sich in das immer noch halb belustigte, halb bedenkliche Kopfschütteln des Landesvaters.

      „Eine neue Niederkunft Monsieurs Oken in Jena?“

      „Füglich wohl nur Einer der Paten!“ sprach Goethe gemessen. Auch er hatte Platz genommen. Aber er hielt sich kerzengrade, in der Strenge des Staatsdieners aufrecht. „Hier der erste Bericht von dem Wartburgfest gestern Abend!“ Ein leises Behagen. „Die unartigen jungen Leute haben unter anderem die Schriften des Herrn von Kotzebue öffentlich verbrannt!“

      „Das gönne ich Deinem Feind!“ Der Grossherzog lachte herzlich und wurde wieder ernst, während er den kurzen Bericht beiseite legte. „Aber die Folgen? Wenn uns nun der Metternich wegen dieser jungen Feuercensoren schnickt? Du hast immer vor diesem Burschenfest gewarnt!“

      „Aber nun ist es geschehen, und wir werden uns nun eben wunderlich durchdrücken müssen!“ Ein Lächeln um die Lippen des Olympiers, „Im Prinzip, Revolutionären vorzubeugen, stimme ich ganz mit den Metternichen überein, nur nicht in den Mitteln dazu; die nämlich rufen die Dummheit und die Finsternis zu Hilfe, ich den Verstand und das Licht!“

      „Recht, lieber Alter!“

      Und plötzlich verjüngten sich Goethes Züge in einer sonnigen Heiterkeit über das Wartburgfest.

      „Es ist ein allerliebstes Wesen“, sagte er, „wie die Jugend überhaupt mit allen ihren Fehlern, von denen sie sich zeitig genug verbessert! Aber wir müssen jetzt niederschlagende Pulver anrühren, damit unseren lieben Brauseköpfchen nichts geschieht!“

      Drittes Kapitel

      „Es ist verdriesslich, Kriegsbruder Christian, dass ich Dir nicht vor Deinem Gasthof Adieu bieten kann, wenn Du heute Morgen wieder nach Jena abreisest. Aber es ist eine Session im ersten Departement des Staatsministeriums anberaumt, und ich bin protokollierender Assessor. Kannst Dir schon denken, worum es geht. Eure Burschenfeuer ob Eisenach machen hier uns verantwortlichen Staatsdienern seit Tagen die Köpfe heiss und werden es noch Wochen und Monate lang tun!

      „Frei gesprochen, Bruder, ist es Zeit, dass Du wieder die Ilm mit der Saale vertauschst. Du hast in diesen drei Tagen hier genug Embarras in der Weimarer Geruhsamkeit angerichtet. Man fand mässigen Geschmack an Deinem wilden Wesen. Man gab zu, dass in Dir Verstand und Feuer wohnt, doch dass es sich in ungehobelter Weise, nach Eurer neuen Jenaer Art, äusserte.

      „Besonders hast Du die Frauenzimmer betrübt und verwirrt! Die guten Kinder bangen sich vor Deinen aufrührerischen Worten und werden sie doch nicht los! Gestern, bei einem Schälchen Tee bei meiner Schwester, stritt die schöne Welt stundenlang darüber, in wie weit ein heroischer Mann einem gesitteten vorzuziehen sei, und beklagte, dass bei Dir der Heroismus der Sitte entbehrt. Noch vorige Woche, vor Deinem Einbruch, hätte man den Heroismus zu den Tugenden der Barbaren gerechnet. So hast Du inzwischen die Geister umgemodelt!

      „Lass mich von Friderique sprechen! Noch bin ich nicht in schicklicher Form mit ihr verlobt. Aber es ist an dem, und um so mehr schmerzt es mich, dass Du sie vorgestern mit Deinem rauhen Ungestüm aus ihrem sanften Dasein gerissen hast. Seitdem ist mein Mädchen, wie sie mir gestern klagte, von Trauer und Unruhe erfüllt, dass es soviel Wildheit auf der Welt giebt. Sie ist Dir gram. Sie möchte alles — nur nicht Dir noch einmal begegnen.

      „Was mich anlangt, ich stehe zwischen Euch beiden — dem Freund und der Geliebten. Ich verstehe Dich. Denn wir haben zusammen die Säbel wider den Erbfeind geschwungen, und ich verstehe Friderique. Denn ich nenne Weimar — wie Bethlehem in Juda so klein und so gross — meine Heimat.

      „Na — Kerl — aus Eurem Brausen wird sich schon der Wein keltern! Mit Dir muss man freiherzig reden! Also singe und raufe Du in Jena — dafür hat es Gott nach allgemeinem Urteil erschaffen —, aber halte dich künftig in politicis zurück, als sei es heisses Eisen. Im Vertrauen: der Rotzebue hat schon einen Bericht an den Zaren gesandt. Auch die Spitzel des Herrn Staatskanzlers von Metternich waren unter Euch arglosen Burschen am Werk. Gott weiss, was sich dort überall zusammenbraut. Nun — Du erhälst von mir nach Jena rechtzeitig geheimen Bescheid, wenn hier etwas gegen Dich in Gang kommt. Auf alle Fälle wird es bis dahin Monate währen. Denn der Weg der Briefe bis Petersburg und zurück ist lang, zumal jetzt bei einfallendem Winter! Gott befohlen! Karl Helmich, einst nicht so zahm, sondern im Heiligen Krieg ein Kerl wie Du!“

      Der Studiosus Christian Ellerbrook schob das Schreiben in die Tasche seines schwarzen Burschenrocks, holte statt dessen eine Pistole heraus und Feuerte einen blinden Schuss ins Leere, dass das Treppenhaus blauqualmend dröhnte.

      „Eure Hausknechte sind taub. Niemand kommt, wenn ein honoriger Bursch läutet!“ sprach er zu dem heranstürzenden Wirt und Gesinde, während sich rings die Türen entsetzter Gäste öffneten. „Man soll ungesäumt meinen Mantelsack auf meinen Gaul unten schnallen.“ Er lud schon wieder geübt mit Pulver ohne Pfropf und Blei. „Sonst mache ich das ganze Haus zur Schützenbude!“

      Unten vor dem Gasthof stand im Regengeriesel ein uralter Riese von einem Mietross, hängenden Haupts, knickenden Knies, aber mit knochiger Rippe beinahe den Hausknecht überragend, der ihn hielt. Christian Ellerbrook zählte dem Mann aus seinem Lederbeutel fünf thüringische Groschen als Trinkgeld auf die Hand. Er drückte sich das schwarze Burschenbarett fester auf den gebräunten Römerkopf. Über dem dunklen, kleinen Körnerschnurrbart funkelten die dunklen Augen.

      „Wehe über Weimar!“ sagte er zu den verblüfften Mägden, die vom Neptunbrunnen Wasser holten, „Weimar, wache auf!“ wandte er sich an den alten Polizeidiener auf dem Bürgersteig. „Weimar — werde deutsch!“ rief er mit schallender Stimme über den Marktplatz, dass es vom Cranach-Haus widerhallte. Er schob den bespornten linken Stiefel in den Steigbügel und zog ihn zögernd wieder zurück.

      Aus dem kleinen Modemagazin an der Ecke trat, von dem Kaufmann dienernd herauskomplimentiert, Friderique von Laubisch. Sie wandte ihr weiches und seelenvolles, von den braunen Locken sanft umschmeicheltes Gesicht zu dem tränenden Himmel und spannte einen kleinen bunten Parapluie auf. Er schützte kaum ihren rosenbesetzten Schutenhut vor dem Regen. Aber ihre schlanke Gestalt war eng bis zu den Knieen in einen bunten Kaschmirschal in jenem klassischen Faltenwurf gewickelt, wie ihn Madame Henriette Hendel-Schütz auf ihren mimischen Soiréen der Sozietät lehrte.

      Sie führte, um nicht durch Alleingehen auf der Strasse aufzufallen, als Chaperon ein zehnjähriges Mädchen an der Hand. Der trippelnden Kleinen reichten die mit Spitzenkanten besetzten weissen Höschen unter dem Knieröckchen bis zu den Knöcheln. Völlig in ein Gespräch über den Einkauf vertieft, den das Kind trug, kamen die Beiden auf den „Erbprinzen“ zu, und in den Augen des Schwarzrocks, der neben seinem Gaul stand, war ein Lachen über das merkwürdige Spiel des Zufalls, dass der Kammerjunker von Helmich nicht zum Abschied kommen konnte und das wahrscheinlich seiner Angebeteten erzählt hatte und der Wille Gottes das Fräulein Friderique gerade jetzt hier vorbeiführte . . .

      Beim Lüften seines Burschenbaretts schaute die Schöne erst auf. Sie war blass. Ihre blauen Augen ruhten mit dem Vorwurf eines leidenden Lammes auf dem verwegenen Jenaer Bursch im schwarzen Rock.

      „Es ist wohlfeiler Crèpe de Chine aus Hamburg in dem Laden drüben eingetroffen“, sagte sie

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