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ist eine Hochschule nicht eben ein wahrer Leuchtturm für Wahrheit und Wissen?“ Der schöngeistige, selbst dichtende Weimarer Minister wandte sich an den alten Wiener Grafen: „Glauben Euer Excellenz wirklich, dass ein Fürst, der solch edle Principien verkündet, seine Landesuniversität Jena mit einem catilinarischen Geist sättigt, gegen den zu wüten, wie Seine Durchlaucht Fürst Metternich sich zu äussern beliebten, Pflicht aller Regierungen sei?“

      „Ja — wissen ’s: Ich kenn’ das Jena ja gar nicht!“ Der Cabinettsminister Zichy schüttelte den Graukopf.

      „So folgen Euer Excellenz dem Rat, den Ihnen mein Grossherzog gab: Fahren Sie hier von Weimar die paar Meilen hinüber in das winzige Musenstädtchen, das jetzt das Sorgenkind der europäischen Cabinette ist, und berichten Sie, was Sie gesehen haben, nach Wien. Ich hoffe, dass der Herr Staatskanzler dort dann ruhiger schlafen wird!“

      Hunderte von Burschen gingen an dem mondhellen, linden Dezemberabend auf dem Markt von Jena auf und nieder. Aus dem Gewimmel der schwarzen, deutschen Röcke wehten die Federn von den schwarzen Baretten. Die offenen Fenster der altertümlichen kleinen Bürgerhäuser umher waren hell und mit Menschen besetzt. Ein unbestimmtes Brausen lag über der Versammlung von Jünglingen und vereinzelt schon vollbärtigen Jungmännern mit langen Haaren und blossen Hälsen über weissem Schillerfragen. Vom Turm der Stadtkirche herunter läuteten dröhnend die Glocken.

      „Da haben wir’s: Ein abscheilid’s Bild der liberté und egalité!“ Der Weimarer Gesandte Graf Zichy wandte sich in seinem offenen, auf dem Platz inmitten der Schwarzröcke haltenden Reisemagen an seine beiden Weimarer Begleiter, den Grafen Edling zu seiner Linken und, ihm gegenüber, den Kammerjunker Karl von Helmich. „Die Zusammenrottung, mein Lieber, erinnert schon an die französische Revolution. Es fehlt nur noch die Guillotine mitten auf dem Platz. Gleich werden’s mit dem Barrikadenbau beginnen — die jungen Herrn!“

      Der junge von Helmich lächelte. Er winkte einem der Burschen zu, der mit verwegenem schnurrbärtigem Römerkopf und feurigen, rheinisch-dunklen Augen das Gewirr der Hüte überragte. Der Studiosus Christian Ellerbrook antwortete mit einem schallenden ‚Volunto! — Wolle! —‘, dem Mahnruf der Burschenschaft an der Ofenwand des Okenschen Auditoriums — dem Kriegskameraden. Dann erhob er die Rechte — mit ihm die andern Führer der Schwarzen Röcke und entblösste gleich ihnen mit der Linken das Haupt. Feierlich klang es aus Hunderten von jungen Männerkehlen über den Markt von Jena:

      „Wem soll der erste Dank erschallen?

      Dem Gott, der gross und wunderbar

      aus langer Schande Nacht uns Allen

      in Flammen aufgegangen war . . .“

      „Es ist ein Jahrhunderte altes Vorrecht der Studenten von Jena, auf den Strassen zu singen!“ sagte in den Wagen der Assessor von Helmich zu dem Abgesandten Metternichs. „Früher hörte man rauhe Saufgesänge. Schelmenliedlein. Unartige darunter. Selbst Zoten. Seit der Gründung der Burschenschaft sind sie ausser Schwang gekommen. Man hört nur noch ernste und vaterländische Weisen!“

      „. . . der unserer Feinde Trotz zerblitzte.“

      Es hallte andächtig von Hunderten von Lippen in das Glockengeläute aus der Höhe.

      „Der unsere Kraft uns schön erneut

      und auf den Sternen waltend sitzet

      von Ewigkeit zu Ewigkeit!“

      „Sie sehen, Excellenz: auf den Söllern des Rathauses stehen beifällig die Professoren und lauschen.“ Baltisch gefärbt das Deutsch des neuen Staatsdieners in Weimar, des geistreichen Grafen Edling. „Vor der Hofapotheke die Bürgermädchen — schmucke Kinder — unbehelligt von den ernsten jungen Männern!“

      „Noch weit drüben auf dem Burgkeller“, ergänzte der Assessor von Helmich, „sitzen die Philister bei ihrem Stübchen Rosenbier und ergötzen sich an den vaterländischen Gesängen! Dort im, Gasthof zur Sonne’ haben die durchreisenden Fremden die Fenster offen. Herren und Damen hören zu!“

      „Und über die aufrührerischen Vollbärte“, sprach nachdenklich Graf Zichy, „könnt’ man hinwegschauen, nachdem sich darunter das Eiserne Kreuz präsentiert.“

      Es waren ehemalige schwarze Reiter Lützoms, die da standen — Christian Ellerbrook mitten unter ihnen — in ihren schwarzen Röcken jetzt noch der Uniform der Totenkopfbusaren ähnlich, Theodor Körners Kampfgenossen. Über den Platz hin hallte sein Sang:

      „Vater — Dich preisen wir!

      Vater — Dir danken wir,

      dass wir zur Freiheit erwachten!“

      „In dem Bericht unseres Staatsdepartements, Excellenz“, sagte der Assessor von Helmich, „heisst es ausdrücklich: ‚Die Jünglinge geloben sich Brudersinn und Eintracht’, und als unmittelbare Folge dieser Eintracht zeigt sich unter den Studierenden in Jena eine grosse Sittlichkeit und strenge Beobachtung landesherrlicher Gesetze . . .“

      „Wie auch die Hölle braust,

      Gott, Deine starke Faust,

      stürzt das Gebäude der Lüge!

      Führ’ uns, Herr Zebaoth!

      Führ’ uns, dreieiniger Gott . . .“

      „Sie hören die Begeisterung, Excellenz!“ Wärmer als sonst die Stimme des jungen Weimarer Weltmanns. „Sie kommt aus einer grossen Zeit, die nahe erst hinter uns liegt, und aus reinen Seelen. Alles Fluchen, Schuldenmachen und Hasardieren ist in der Burschenschaft verpönt, der Besuch übler Häuser, das unmässige Kommerchieren. Wehe, wer einen Philister betrügt oder sein Kegelgeld in der ‚Tanne’ nicht zahlt. Selbst das Raufen versucht man — lachen Sie nicht! — hier— hier in Jena — einzudämmen! Der Studiosus Ellerbrook, mein Blutbruder von Ligny, den ich hier Eurer Excellenz präsentiere, ist, nach dem Grafen Bocholtz, der Wildeste aller Jenenser, was immerhin etwas bedeuten mag. Er wird Ihnen Bescheid sagen, welcher Geist — ob ein böser oder guter — auf unser Jena herniedergestiegen ist!“

      „Diesen Geist, alter Herr!“ Christian Ellerbrook drückte ungezwungen der Wiener Excellenz im Wagen die Rechte, „haben uns schon im Vorjahr, am zweiten Jahrestag der Einnahme von Paris, die guten Jenaer Mädchen in unser Panier gestickt. Das Panier bedeutet für uns Burschen: ‚deutsche Einheit und Volksehre!“

      Der greise Staatsmann rieb sich die von dem Händedruck des Jenaer Burschen gerötete Rechte.

      „Volksehre! . . . Aber freilich!“ sagte er. „Nur: wie schaut’s da nachher bei Euch jungen Herren mit dem schuldigen Respekt vor den angestammten Fürsten aus?“

      „. . . die über Deutschland Rat halten, wie unser Karl August — die wollen wir recht lieben, wie wir’s schon bei jedem Kommersch singen: ‚Stosst an, Landesfürst lebe!“ Und die über Deutschland Unrat halten, die mögen sich hier in Jena an die Stiefelwichser und Billardeurs halten, aber nicht an uns freie Burschen.“

      „Ja — ja — die liebe Freiheit!“ erkundigte sich neugierig der alte Graf. „Wie steht Ihr denn da zu den Gesetzen, wann Ihr so frei seid, frei zu sein?“

      „Gerade weil wir frei sind, alter Herr, gehorchen wir freiwillig der Obrigkeit! Nur darf man uns nicht in dumme Geistlosigkeit hinstrecken wie die toten Klötze — wie Vater Jahn sagt! Wir wollen nicht von hochwohlgeborenen französischen Affen regiert und wir wollen nicht von wohlgeborenen lateinischen Affen belehrt werden!“

      „So — so! . . . In Würzburg und den Main runter fangen’s schon überall die Juden zusammen! In Frankfurt nehmen die Tumulte kein End’! Wie haltet Ihr’s denn da mit der bürgerlichen Ruhe und Ordnung?“

      „Wir sind deutsch! Weh dem, der unser Deutschtum antastet! Sonst lassen wir jedermann in Frieden!“

      „No — ich dank’ schön, mein Lieber! Zerknackens mir nur nicht die Finger! Hab’ die Ehre! Ja: ich weiss nicht.“ — Der K. K. Cabinettsminister Graf Zichy wandte sich im Wagen an den Grafen Edling. „Ich kann nix Auffälliges in

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