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Sturm des Herrn. Rudolf Stratz
Читать онлайн.Название Sturm des Herrn
Год выпуска 0
isbn 9788711507353
Автор произведения Rudolf Stratz
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Nur mich selber kann ich fragen: Friderique — lebst Du Dir selber zur Genüge, wie wir alle hier, oder bist Du Andern — Menschen ausserhalb Deines Standes — bist Du womöglich der Nation das schuldig, was Gott Dir vor Andern gab?
„Der Professor Kant, in Königsberg, dessen ‚Kritik der reinen Vernunft’ auch wir Frauenzimmer hier in schuldiger Ehrfurcht lesen, lehrt in seinem Kategorischen Imperativ: ‚Handle als Vorbild für alle!‘ Etwas von dieser Maxime strahlte mir, mein Herr, aus Ihrem Wesen, wenn Sie, dem die Natur ach so wenig Weichmut in die Wiege knüpfte, es verkündeten, dass der Mensch Pflichten gegen Volk und Vaterland habe.
„Der Docht des Lichts, das mir den Weg weisen soll, flackert unruhig im Wind! Sie haben ihn entzündet. Sie dürfen ihn nicht verlöschen lassen. Ach — ich begreife: So wie Ihre wilde schwarze Jenaer Burschentracht sich von dem dezenten Anzug unserer Weimarischen Herren abhebt, so auch Ihr stürmisches Wesen von der abgeklärten Besonnenheit hier. Trotzdem: dies ist meine Bitte: Reiten Sie einmal, in Ehrbarkeit, als Freund, den kurzen Weg nach Weimar herüber und weisen Sie nicht einer schönen Seele, sondern einer suchenden Seele, den Weg. Die ich bin, mein Herr, die Ihrige
Friderique von Laubisch.“
Der Studiosus Ellerbrook stieg an diesem blassblauen Märzmorgen des Jahres 1818 mitten in Alt-Jena die steile Treppe hernieder. Unten auf dem Eichplatz legte er das Schreiben wieder in die Falten, in denen es das Fräulein von Laubisch mit ihrem Petschaft — einem sinnenden Genius mit Säulenstumpf und Trauersweide — für die reitende Post gesiegelt hatte, und schob es in die Tasche seines nachtdunkeln Wamses.
„Was schreibt Dein Mädchen, Bruder?“ frug ein vorbeikommender Bursch und schloss sich ihm an.
„Es ist kein amouröser Brief!“ sagte der einstige Freischärler. „Und ich habe kein Mädchen! Ich habe drei Kriegsjahre für das Studium verloren. — Ich darf mich dazu halten, dass ich mir dieses Frühjahr endlich den Jenenser Doktorhut aufsesse.“
Er hatte es ganz nahe zu dem grauverwitterten Universitätsgebäude. Er stieg, im Gedränge der Studiosen, die ausgetretenen Steinstufen des uralten ehemaligen Paulinerklosters empor. Der Hörsaal des Professors Oken war wie immer überfüllt. Zwischen den einheimischen Burschen sassen die vielen studierenden Griechen — ganz vorn ein Prinz aus dem Fürstengeschlecht der Komnenen —, die zahlreichen Ungarn, die livländischen Barone. Die Gänsekiele kratzten in den Collegienheften. Der Kachelofen glühte. An die der Hisse wegen geöffneten Fenster waren Leitern gelehnt, auf deren obersten Sprossen Studenten standen und von aussen dem Professor Oken zuhörten.
Jetzt sprach da vom Katheder nicht der Herausgeber der ‚Isis’, der in ihr die zum Fusstritt erhobenen Beine vor die Namen seiner Gegner sessen liess. Ein ernster Gelehrter, schon nahe den Vierzig, erläuterte da in leicht österreichischem Sprachklang seinen Schülern das Wesen der Quallen und Knorpelfische und ermahnte sie, im Fussgetrampel des Abschieds, das jetzt eben durch die Munificenz des Herrn Ministers von Goethe neu gegründete Zoologische Cabinett fleissig zu besuchen.
Draussen vor der Türe des Hörsaales sah der Student Ellerbrook plötzlich zu seinem Missvergnügen den gefürchteten Pedellen Nitschke vor sich, dessen unheimlich listiges Augenrollen nie etwas Gutes im ewigen Kampf mit der Burschenschaft verhiess.
„Nitschke!“ sprach er. „Euer illüstres Spitzelcorps von Pferdeund Gassenjungen in Jena ist an mir verloren. Mein Gewissen ist rein. Ich habe mich nicht an der neulichen grossen Gartenbataille mit den Handwerksburschen beteiligt. Ich war nicht dabei, als dem Kaufmann Voigt am Kranz sein Putzladen gestürmt worden ist, weil der Lümmel sich geäussert hat, wir Burschen sollten von den Leipziger Kaufmannsdienern Sitten lernen! Ich habe bei allen Schlägerskandalen in lesster Zeit nur testiert, weil ich in nächster Zeit mein Doktorexamen laudabiliter absolvieren möchte!“. Er stutzte: „Wie? Ich bin trotzdem vor Seine Magnificenz citiert? . . . Mein Gott . . . was soll das bedeuten?“
Der Prorektor der Hochschule thronte grämlich in einem Lehnstuhl hinter einem mächtigen Tisch. Dessen Eichenplatte war mit Akten bedeckt. Draussen im Vorzimmer standen wartend schuldberwusste Studenten, Philister mit unbezahlten Rechnungen, Polizeidiener als Zeugen. Die Magnificenz hob streng das Haupt.
„Sie sind der Studiosus Ellerbrook, preussischer Untertan, aus Köln am Rhein. Ich erteile Ihnen namens des Senats das Consilium abeundi — den Rat —, in den nächsten Tagen die Universität und Stadt Jena gelinde und unauffällig zu verlassen, andernfalls auf dem Amtsweg . . .“
„Was habe ich denn verbrochen, Magnificenz?“
„Es liegt eine, durch den langen Weg nach Petersburg und zurück verzögerte Beschwerde vor, dass Sie vor mehreren Monaten, wie auch diesseits festgestellt, durch öffentliches Verprügeln einer Strohpuppe auf dem Markt die Person des Kaiserlich russischen Staatsrats August von Kotzebue und in ihr die erhabene Gestalt Seiner Majestät des Zaren selber freventlich beleidigt haben!“
„Magnificenz — was gehen mich denn die Russen an?“
„Sie sind ein preussisches Subjekt. Die Petersburger Beschwerde ging infolgedessen über Berlin. Der preussische Geheime Oberkriegsrat und Direktor im Polizeiministerium“, der Prorektor blätterte in einem Amtsschreiben, „Seiner Königlichen Majestät Einberufener Staatsrat und Oberkammerherr Herr Josias von Römhild, hat auf höheren Befehl das Petersburger Rescript anher weitergegeben!“
„Uber ich stehe doch dicht vor dem Examen . . .“
„. . . mit dem der Herr von Kotzebue wahrlich nichts zu schaffen hat!“
„Euer Magnificenz können doch Gnade für Recht ergehen lassen!“
„Es ist nicht meines Amtes. Der Auftrag, Sie von der Hochschule zu verweisen, lief mir unmittelbar von der Regierung in Weimar zu, Sie können nur hoffen, durch einen Fürsprecher dortselbst noch eine Milderung zu erwirken!“
Christian Ellerbrook trat langsam, verstörten Gesichts, hinaus auf die Gasse in linde Frühlingsluft, unter den blassblauen Himmel über den alten Giebeln von Jena. Und wie er da dumpf in seinem schwarzen Burschenrock dahinwandelte, da war es, als sängen um ihn die Steine:
„Und in Jene lebt sich’s bene!
Und in Jene lebt sich’s gut!“
Und die Spatzen schirpten im Sonnenschein:
„. . . bin ja selbst darin gewesen
fünf Semester wohlgemut!“
Nein! Wartet nur! So rasch werdet Ihr auch auf Ukas des Zaren mit all seinen Kosacken und Baschkiren einen ehrlichen Kerl in Jena nicht los!
Auf dem Markt stand würdevoll der dicke Postmeister in blauem Frack mit gelben Litzen und breiten gelben Streifen an den blauen Hosen. Der Studiosus Ellerbrook warf am Einschreibeschalter seine zwei Taler und zwölf gute Groschen für eine Extrapost nach Weimar hin, und der Wagenmeister lief und liess ein Cabriolet anschirren, und zwei Stunden später entstieg vor dem Cranachhaus in Weimar ein grimmäugiger langer Schwarzrock, das Federbarett kampflustig im Nacken, die kurze Burschenpfeife verbissen im Mundwinkel, und stiefelte mit langen Schritten dem Gelben Schloss zu.
Der erste Verdruss: ein Korporal von der Wache der dunkelgrünen Weimarer Jäger drüben.
„Tu’ der Herr seine Pfeife weg! Das Rauchen is Sie in der Residenz bolizeilich verboten!“
„Ich habe doch selbst den Grossherzog mit einem Cigarro auf der Strasse gesehen!“
„Nu sähen Sie: das ist Sie was Anderes!“
Christian Ellerbrook lächelte zornig unter dem kleinen, dunklen Schnurrbart und schob die ausgeklopfte Pipe neben den Burschendolch mit dem Totenkopf in den Ledergürtel. Er betrat das Ministerium. Ein Schatten tiefer Enttäuschung verdüsterte seinen trotzigen gebräunten Römerkopf.
„Der Herr Assessor von Helmich ist zur Zeit nicht einheimisch! Der ist im Auftrag vom Herrn Minister von Goethe hinüber ins Ilmenauer Bergwerk gefahren, um dort über den neuen silberhaltigen Kupferschiefergang zu berichten. Wenn seine Kutsche