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Jena! Zu dienen, Excellenz!“

      „Hm! Hm!“

      Ein Schweigen. Dann rasch:

      „Hatten dort auf offenem Markt den Kotzebue brutalisiert?“

      „Leider nicht ihn selber! Nur seinen Mantel!“

      „So! So! Höre das ungern!“

      „Der Kerl hätte eine Tracht Prügel redlich verdient, Excellenz!“ rief der Student empört. „Schon um Eurer Excellenz willen! Macht sich der Kotzebue nicht zum besonderen Geschäft, Euer Excellenz hier in Weimar in jeder Weise entgegenzutreten und in der Öffentlichkeit mit gemeinem Neid und Hass zu verfolgen?“

      Der Schimmer eines seltsamen Lächelns drüben, mehr in den beiden schwarzen Sonnen von Augen als um den etwas eingefallenen Mund. Goethe winkte, Platz zu nehmen, und setzte sich selbst, steil aufrecht, ohne die mit langen schwarzen Tuchhosen bekleideten Beine zu kreuzen.

      „Man kann einer flüchtigen Regung gegen einen Widersacher in sich mit heiterer Seele genug tun, ohne unziemlich zu werden!“ sagte er. „Der Herr von Kotzebue hat ebenso das Recht, nach seiner eigentlichen Weise zu existieren, wie Ihr nach der Eurigen! Ja — wären wir fünfzig Jahre jünger, so wollte ich ihm zeigen, wie man deutsche Komödien schreibt!“

      „Excellenz . . .“

      „So aber betrachte ich seine Existenz als ein notwendiges und zwar günstiges Ingrediens zu der meinigen! Der Herr von Kotzebue, dem man Verdienst und Talent nicht absprechen kann, hat mir als Vorsteher eines Theaters durch zwei Jahrzehnte so viele Mittel in die Hand gegeben, dass ich sechsundachtzig seiner Stücke gespielt und sechshundert Abende damit besetzt habe. Noch im vorigen Jahre habe ich vier Wochen daran gesetzt, um seinen ‚Schutzgeist‘ für den Geschmack des hiesigen Publikums einzurichten! Das vergesst nicht, Ihr junges Volk! Was in Euch an grossen Ansichten lebt, damit tappt nicht auf dem Markt herum, sondern bildet es in Euch in würdiger Weise!“

      „Ich werde es mir gesagt sein lassen, Excellenz!“

      „Nun! . . . Nun . . . hm . . . Man ist ewig belagert . . .“ Etwas mehr Wärme in der Kehle. Ein ganz leichter Anklang von gemütlicher Frankfurter Mundart. „Wenn Euer Wartburgfest nicht wäre . . .“ Ein bedenkliches Schütteln des viel milder gewordenen Greisenhauptes. „Jeder wohlmeinende Weltkenner konnte die Folgen bei den deutschen Regierungen mit Schrecken und Bedauern voraussehen. Jetzt verwenden sie eine gewisse hypochondrische Sorgfalt darauf, Euch unartige Kinder zu überwachen. Und in diesem Betracht ist der Herr Kaiserlich Russische Staatsrat von Kotzebue trotz seiner Nullität eine Macht, gegen die ich nichts vermag!“

      „Also muss ich ungetröstet von Euer Excellenz gehen?“

      „Gemach! Gemach! mein junger Freund!“ Jetzt lief ein warmer Sonnenschein von Güte über Goethes Züge. „Da wäre denn mein Vorschlag eine heilsame Translocation: Sie beenden Ihre Studien in Berlin! Ich habe dort manchen hübschen Freund, dem ich Sie empfehlen werde! Sie machen dort Besuche, wo Sie es für schicklich und artig halten!“

      „Ich nenne Berlin und nicht eine näher und bequemer gelegene Akademie wie Halle oder Leipzig!“ fuhr Goethe fort. „Denn Sie gewinnen in Berlin einen deutlichen Begriff von der grossen Welt. Die grosse Stadt wird Sie zu einem emsigeren Gebrauch Ihrer Kräfte aufmuntern! Das ist ein Vorteil, der Ihnen von Andern so geschwind nicht abgenommen wird!“

      „Wenn es Euer Excellenz so dünkt . . .“

      „Ihre tüchtige Natur wird sich in Berlin bald zum Besten reinigen. Was an mir ist, will ich mit Freuden tun. Sie empfangen noch von mir Empfehlungsschreiben . . .“

      „Ich danke Euer Excellenz!“ stammelte der Student. Goethe reichte ihm die Hand. Jetzt ging ein väterliches Wohlwollen, ein Verstehen alles Menschlichen von ihm aus.

      „Wir wandeln alle in Geheimnissen! Jeder löst die Welt auf seine Weise! Probieren Sie’s auf die Ihre, mein Bester!“ sagte er. „Dem ich wohl zu leben wünsche!“

      Der Studiosus Ellerbrook lief durch die Ackerwand, am Haus der Frau von Stein vorbei, hinüber zum Gelben Schloss. Jawohl: der Assessor von Helmich war jetzt aus Ilmenau zurück. Er sass in seiner Amtsstube. Er hatte ein paar Dienstschreiben vor sich liegen, die er nachdenklich betrachtete. Er machte ein sehr ernstes Gesicht, während er aufstand und den Kriegsgefährten begrüsste.

      „Man hat mir gemeldet, dass Du da warst!“ sagte er. „Ich habe mir gleich Deine Akten geben lassen, von denen ich bisher nichts wusste! Bruder: das ist eine schöne Schweinerei! Sie haben Dich in Berlin gründlich von Petersburg aus verdächtigt! Sie sind in Berlin gleich bereit, wenn der Zar etwas wünscht . . .“

      „Ich komme von Excellenz von Goethe . . .“

      „Was kann der grosse Mann gegen Alexander und seine Kosacken? Klein ist unter den Fürsten Germaniens der meine — dichtet er selbst!“

      „Aber er hat mir versprochen, meine Studien in Berlin zu fördern . . .“

      „. . . . und ich habe hier einen vorläufigen Bericht unseres dortigen Vertreters, des Herrn von Müller“, sagte der Assessor von Helmich langsam, „wonach Du ein-für allemal von allen preussischen Hochaschulen ausgeschlossen bist!“

      „Was?“

      „Mehr! Ich möchte Dich warnen, preussisches Gebiet zu betreten. Ich habe da die Abschrift eines dortigen vertraulichen Rundschreibens. Du läufst Gefahr, als, wie es da heisst, ein für die Wissenschaft unbrauchbares Subjekt unter das Militär gesteckt zu werden, oder, wenn der p.p. Ellerbrook in aufrührerischer Gesinnung verharrt, sogar ins Gefängnis!“

      „Bruder — das hat sich dort Einer als Jocus in der Besoffenheit ausgedacht!“

      „Das ist unterzeichnet von dem Geheimen Oberkriegsrat und Direktor im Polizeiministerium Josias von Römhild in Berlin.“

      „Schon wieder der Kerl, der mich aus Jena vertrieben hat!“

      „Er gehört zu den härtesten unter den Berliner Geheimräten. Wir können von hier aus keine Vorstellungen erheben. Denn Du bist nicht Thüringer Landeskind. Du bist Ausländer. Du bist Preusse!“

      „Ich bin Deutscher!“ schrie Christian Ellerbrook, „und das werde ich dieser verknöcherten Geheimratsseele verdeutschen!“

      „Du willst doch nicht . . .?“

      „Ich will vor den alten Mann hintreten, der einen ehrlichen Burschen zum Hundsfott machen will, und ihm sagen: Römhild! Das ist ein furchtbares Missverständnis!“

      „Christian . . .“

      „. . . Römhild — schauen Sie mich an! . . .“

      „So höre doch . . .“

      „Römhild! Denken Sie nicht an die Baschkiren, sondern an die Burschen! Römhild! Sie sind gewiss schon ein alter Knabe. Bald stehen Sie vor dem ewigen Richter! Deutschland klagt Sie an!“

      „Du wirst mit den Gerichten zu tun bekommen!“

      „Wer Deutschland so liebt wie ich, dem kann Deutschland nichts tun!“ sagte Christian Ellerbrook. „Du leihst mir ein Ränzel und ein wenig Wäsche, Bruder!“

      „Aber die Post meldet, wenn du Dich auf dem Comptoir einschreiben lässt, Deinen Namen an die Polizei!“

      „Ich wandere zu Fuss nach Berlin!“

      „Es ist erst März, Christian! Du kommst in Sturm und Regen!“

      „Es soll stürmen!“ schrie der schwarze Student. „Der Sturm des Herrn soll über Deutschland fegen! Davon solle der Geheimrat Römhild einen Hauch verspüren, wenn ich bei ihm eintrete! Ich fürchte den alten Kerl nicht! Ich poche auf mein gutes Recht! Ich werde ihm sagen: Römhild — wie soll ich denn einmal die Apotheke ‚Zu den Heiligen Drei Königen‘ in Köln übernehmen, wenn ich nicht zu Ende studieren darf? Und ich werde ihm sagen, darüber hinaus: Römhild! Sie und ich: Wir beide sind Deutsche! Gott mehre die Deutschheit!“

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