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weiten freien Platz vor dem üppigen Steingerank des Bastille-Tors, und ganz Weimar, das von ihm gemiedene und verachtete Weimar, dünkte ihm so menschenleer wie der gelbe, sonnenflimmernde Sand in der Runde.

      Es gab nur noch ein Menschengesicht — ein sanftes und schwärmerisches nach dazu, mit braunen Ringellocken, das er in Weimar kannte. Und in der Tasche knisterte ihm der Brief von heute morgen, mit dem antiken Genius und klassischen Säulenstumpf als Siegel. Der Studiosus Ellerbrook zuckte die Achseln und schritt darauf los. Er, der einstige Lützower aus dem Busch, fand auch ohne viel Fragens den einmal gemachten kurzen Weg nach dem Graben und vor das Haus des abgedankten Grossherzoglichen Husarenmajors George von Laubisch.

      Und zu allem Glück stand hinter dem öffnenden Diener wie durch Zufall das Fräulein Friderique von Laubisch selbst. Es war eine weiche, plastische Anmut in der Bewegung, mit der sie beglückt die Hände ineinander legte. Es war ein leiser, feuchter Schimmer in den seelenvollen braunen Augen. Die zarten Züge wurden ein wenig rot und blass. Ihr hochgegürteter, sittsam mit Spitzengefältel über der weissen Haut verbrämter Busenausschnitt hob und senkte sich schneller, als es die Gelegenheit erforderte.

      Der schwarze Jenaer sah das und ahnte, was das hiess. Er stand ernst und steif auf der Schwelle. Er hörte Frideriquens sanfte Stimme:

      „Steckte ein Zauber in meinem Brief, dass es Sie jetzt schon von Jena hierher getragen hat?“

      „Ich erhielt, mit schuldigem Dank, Ihr Schreiben, Demoiselle“, sagte der Student rauh, „als mich ein verdriessliches Geschäft in Eile hierher rief. Da präsentiere ich mich nun zu Ihren Diensten!“

      Das Licht auf Frideriquens schmalem, hübschem Antlitz erlosch. Sie neigte den braunen Ringelkopf.

      „Belieben Sie einzutreten! . . . Und was schafft Ihnen Ungemach?“

      „Der Zar sucht mit mir Händel!“ Der Student Ellerbrook setzte sich düster nieder. „Er ist in dem Skandal der Stärkere! Er verdrängt mich aus Jena. Ich muss von dort fort — just vor meinem Examen —, wenn ich nicht noch in Weimar gewichtige Fürsprecher finde. Ich kenne hier keine Christenseele, die mir nützen könnte, ausser dem Helmich! Aber der Kerl ist über Land!“

      „Was soll wohl ein Assessor gegen den Kaiser aller Reussen helfen! Da müssten andere Gewalten beschworen werden!“ Friderique lächelte wehmütig und erhob sich. „Verziehen Sie nur ein wenig! Ich lasse Ihnen ein Schälchen Tee servieren!“

      Als sie nach kurzem zurückkam, war es eine Weile ganz still im Gemach. Nur die Tässchen klapperten, mit denen ihre schlanken Finger hantierten. Ein beinahe banger Augenaufschlag darüber hin bat: ‚So rede doch! Sprich über meinen Brief!‘ Der wilde Jenaer gab sich einen Ruck.

      „Herrgott — ich bin kein Beichtvater!“ versetzte er rauh und unsicher zugleich. „Ich verstehe überhaupt nicht, mit Euch schönen Geistern umzugehen!“

      „Das hiesige Frauenzimmer ist empfindsam. Aber mich will es doch, wie mit unsichtbaren Geisterarmen, aus dieser Rührung herausheben! Weist mir nur, wie!“

      „Ich kann doch nicht reden und nichts erklären!“ Der Kandidat der Naturkunde schüttelte verzweifelt den verwegenen Kopf. „Ich kann mich nicht vor den Spiegel stellen und mich bespiegeln, wie Ihr’s hier tut! Ich bin mir nicht so interessant, wie Ihr es Euch hier seid! Ich bin ein ganz dummer Kerl . . .“

      „. . . und haben doch weiss Gott genug für Ihre bescheidene Zahl Jahre getan!“

      „Ja — getan!“ sagte der Bursch. „Das ist was Anderes, Demoiselle! Da braucht man nicht zu denken. Am wenigsten an sich. Aber an Deutschland! Als jetzt vor fünf Jahren die Post nach Münster kam, wo ich als grüner Jungbursch studierte, ‚Bonaparte mit dem Rest seiner Armee auf der Grossen Retirade aus Russland!‘ — da habe ich nicht lange den Finger an die Stirme gelegt und nachgedacht: Wie wirkt diese Nachricht auf mein Gemüt? sondern ich bin aufgesprungen, dass ich das Punschglas umschmiss, und hab den anderen Gesellen zugeschrien: ‚Jetzt oder nie! Leben oder sterben!‘“

      „Ja — das glaube ich!“ sprach das Fräulein von Laubisch leuchatenden Auges.

      „Und wie wir eben noch mit heiler Haut aus dem Königreich Westfalen echappierten und ich glücklich in Breslau in der Vorstadt vor der Wirtschaft ‚Zum Zepter‘ gestanden bin — da hab ich nicht bei mir spintisiert: Wie ist den jungen Grafen und Bauernburschen zumute, die da heranströmen und sich beim Lützow zur Campagne melden, sondern ich hab sie beiseite gestossen und gerufen: ‚Ich will mit!‘ . . . Warum, Fräulein von Laubisch — das weiss ich nicht . . .“

      „. . . weil Sie ein ganzer Mann sind!“ sagte die schöne Friderique. Sie atmete schwer.

      „Darum kann ich hier in der Weimarer Luft keinem sagen, wie er leben soll! Denn Ihr lebt anders. Ihr lebt vornehm abseits. Ihr sitzt wie im Komödienhaus im Parkett und lasst die Andern agieren. Ihr lest und Ihr denkt und Ihr redet und Ihr empfindet auf eine so schöne Art, wie wir gewöhnlichen Deutschen es gar nicht können. Aber davon rücken die Dinge keinen Zoll weiter!“

      „Vielleicht geschieht mir heute unrecht!“ Ein lindes Lächeln drüben. Wunderlich, in dem schwärmerischen Antlitz, plötzlich der Schalk.

      „Kurz und gut — so wie mir’s einmal Einer in Jena ins Stammbuch geschrieben hat: Wer ein Deutscher ist, der sagt nicht, was er tun will, sondern tut’s!“

      „Was könnte wahrer sein!“ sprach Fräulein von Laubisch. „Entsagen wir also diesem Gespräch! Oh — brechen Sie nicht auf! Wo wollen Sie jetzt hin? Sie Fremdling in Athen? Lassen Sie sich von mir eine Composition vorspielen, die Zelter jüngst aus Berlin gesandt hat! Das kürzt die Zeit!“

      Christian Ellerbrook blieb verwundert sitzen. Die dünnen Töne des Spinetts zitterten durch das Zimmer. Er begriff nicht, warum plötzlich die Lust zum Musizieren diesen zarten Geist im weissen Hauskleid und weissen Häubchen anwandelte. Dabei war es ihm immer, als ob Friderique, während ihre Finger über die Tasten glitten, mit hellem Ohr auf etwas draussen horchte. Plötzlich sprang sie auf, glitt flüchtig in dem langwallenden duftigdünnen Musselin zur Türe und führte ihren Vater heran. Der alte kunstsinnige Weimarer Husar lachte befriedigt über das grauknebelbärtige, verwitterte Gesicht und drückte dem Besucher die Hand.

      „Ein Glück, dass mein Wagen gerade angespannt war! So ging’s rasch hin und zurück!“ sagte er zu ihm und weiter zu Friderique: „Ich traf den Alten gerade bei Tisch — da ist er am umgänglichsten! Er lässt sein Töchterchen grüssen und will sich denn schicklicherweise ihres Schützlings annehmen!“

      „Ich habe ihn durch meinen Vater bitten lassen!“ rief Friderique beglückt. „Er sieht mich gern!“

      „. . . und einem artigen Kind schlägt er nicht leicht etwas ab!“

      „Ja — wer denn?“ frug hilflos der Kandidat.

      „Ach so!“ Der alte Herr legte dem Andern die Hand auf die Schulter. „Tummeln Sie sich, Herr Studiosus! Excellenz von Goethe erwartet Sie!“

      Dem einstigen freiwilligen Jäger Ellerbrook, der oft genug im heiligen Krieg das Weisse im Auge des Wälschen geschaut, klopfte doch das Herz in der Brust, als er die breiten Treppenstufen in Goethes Stadthaus an dem Frauenplan emporstieg. Oben stand unter der Dioskurengruppe links von der Türe der Diener Stadelmann und ordnete mit dem Kutscher Berth ein versteinertes Ammonshorn, dessen Bruchstücke sie von der Löbstädter Strasse draussen für den Geheimrat mitgebracht hatten.

      Der gelehrte Kammerdiener führte den Studenten durch einen Saal in einen Besuchsraum und ging, ihn anzumelden. Christian Ellerbrook harrte und sah sich beklommen in den vier blaubemalten Wänden um. An der einen stand ein rundgeschweifter Flügel. Drüben, von der Türe her, starrte ihm das Haupt einer marmornen Riesin aus toten Geisteraugen beinahe umheimlich ins Gesicht. Dann fuhr er zusammen und verbeugte sich tief.

      „Kommen also aus Jena?“ sagte Goethe kurz mit einer dunklen, wohlklingenden Stimme. Er hatte Gäste zu Tisch gehabt. Er trug ihnen zu Ehren noch den Frack aus schwarzem Tuch mit breitem Kragenaufschlag und dem Stern des Falkenordens auf der Herzgegend. Das bunte Band

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