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beiden zeigen, wie sehr er ihnen fehlte. Er rechnete auch mit Eifersucht, denn gerade die Reihen der Sopran- und Altstimmen boten eine ständige Schönheitsschau. Das entsprechende Empfinden hatte leider nur die Mutter, der er immer fehlte. Der anderen reichten zwei Monate, um auf einen anderen Planeten zu kommen. Als er sie am Tag nach seiner Rückkehr bei Außenaufnahmen traf, um ihr glücklich mitzuteilen, dass der Wohnungstausch zwar nur eine Wohnung gebracht hatte, dafür aber eine große mit zwei Eingängen, so dass sie dort auch die Mutter nicht ewig antreffen müsste, war sie bereits fest in fremden Händen.

      Der erwachsene Akteur jenes privaten Dramas darf dank seiner Kontakte zu allen Generationen schon lange aus nächster Nähe das Entsetzen unreifer Liebhaber erleben, wenn ihnen ihre für immer und ewig Auserwählten erbarmungslos mit den Greisen von dannen gehen, die dreißig sind oder noch älter! Bei ihrer Erniedrigung sind sie nicht imstande zu glauben, dass alles, was man ihnen in der Kälberjugend geraubt hat, ihnen reichlich im Alter der alten Löwen dazugegeben wird. Der Filmkönig enthüllte der Prinzessin in einem langen Blitzlicht die Welt, von der jene bis dato keine Ahnung gehabt hatte, und umso weniger ihr frisch gebackener Gatte.

      Der hat schon längst offen zugegeben, dass ihn damals der letzte Rest an Selbstkontrolle verlassen hatte. Und auch die Selbstachtung, von der Achtung anderen gegenüber ganz zu schweigen. Seine Reaktion war umso radikaler, weil er in sein Problem das Theaterpublikum im ganzen Land mit einbezog. So entstand ein Werk, das bei allen persönlichen Peinlichkeiten die tschechischen Theater von den Kriegs- wie auch von Aufbaustücken befreite und den Verfasser zu jenen magischen Brettern führte, die er bei dem Zauberer Marion entdeckt hatte und die nächsten fünfzig Jahre nicht verlassen wird. Dieses unanständige Stück, jedoch in ziemlich anständigen Versen, hieß Gutes Lied, und er übertrug in ihm sein Leid in eine melodramatische Geschichte, wobei er sich nicht einmal bemühte, sie künstlerisch zu verfremden: Ein zynischer Schauspieler zerschlägt raffiniert eine unerfahrene, aber ›fortschrittliche‹ Ehe.

      Zum Glück greift rechtzeitig das Kollektiv des Jugendverbands ein, das die Sünderin zur Einsicht, zur Reue und auch zur Umkehr bewegt. Sie ist dann sogar dazu fähig, den Verführer bei seinem nächsten Versuch in seine Schranken zu weisen.

      Der Vater dieses Gedankens war ein heftiger Wunsch, der sich auch nicht erfüllte. Die treulose Prinzessin bereute gar nichts und der Schürzenjäger-König ließ sich in Zivil scheiden, um sie in Ehren heiraten zu können. Schon die ersten Premieren im Großen Theater in Pilsen und im Prager Theater in den Weinbergen, der damals neuen Bühne der tschechoslowakischen Armee, hatten riesigen Erfolg und nachhaltige Auswirkungen: Die Hauptdarsteller dieser Moralität hatten sich so sehr ineinander verliebt, dass sie sich von ihren bisherigen Partnern scheiden ließen. Derselbe Doppeleffekt brach dann bald wie eine Epidemie über alle tschechischen Bühnen herein. Wenn man die zahlreichen Reaktionen des Publikums mit einrechnet, kann man gar nicht abschätzen, wie viele Beziehungen dieses Stück zerstörte und wie viele Paare es von neuem in die Trauhallen brachte. Der Autor hat sich selbst dazugesellt, und als er sich am Hochzeitstag gegen Abend mit seiner neuen Frau Anna in die Proszeniumsloge setzte, wo ihn bald der wütende Verteidigungsminister wegen eines anderen Theaterstücks rügen sollte, stieß die ganze Truppe von der Bühne aus im Finale mit echtem sowjetischem Sekt auf das Paar an.

      Bald darauf erreichte ihn im Theater ein Brief, in dem ihm eine Zuschauerin mitteilte, dass er der glückliche Vater ihres Kindes sein wird, und sie verlangte ziemlich folgerichtig, dass er als ein Dichter der Moral daraus seine Schlüsse ziehen sollte. Das süße Bewusstsein seiner Unschuld zwang ihn, sofort zu handeln, und er schlug ihr ebenfalls brieflich ein Treffen vor. Als er pünktlich an der verabredeten Station aus der Straßenbahn stieg und dort ein einziges Mädchen stehen sah, fragte er, ob sie auf ihn warte. Nein, sagte sie stolz, und einen Mittelsmann möchte sie auch nicht, sondern nur Pavel Kohout persönlich! Irgendein Schlitzohr hatte seine Identität angenommen, indem er vor ihr seine Liebesgedichte fließend rezitierte.

      Und ein damals frischer Bräutigam wird ihm schließlich noch im Januar 1977 ›danken‹, wenn er nach seiner Verhaftung kommt, um ihn über die Charta zu verhören. Auch er, angeblich ein Major Svoboda, wird zum Auftakt den Trinkspruch aus dem Stück vortragen. »Nach diesen Versen habe ich meine Alte geheiratet!«, wirft er dem Autor mit saurer Miene vor, »und ich habe sie immer noch, und Sie haben schon die dritte!« Der Beschuldigte versucht, ihn dadurch zu trösten, dass seine Genossen heute auch sie festnahmen. Noch davor, in den hoffnungsvollen sechziger Jahren, wird ihn der Regisseur Jiří Weiss fragen, ob er die Hauptrolle des Films, der nach seinem Stück So eine Liebe gedreht werden soll, mit dem einstigen König besetzen dürfe. Natürlich wird er zustimmen, und erst bei der Premiere wird ihm klar, dass Vladimír Ráž ein weiteres Mal in die Rolle eines Ehebrechers geschlüpft ist, und zwar diesmal ganz von sich aus.

      Was er mit all dem nicht unterschlagen wollte: dass ihm das Gute Lied, sein erster großer Theatererfolg, summa summarum als Ausgeburt seiner verletzten Eitelkeit erscheint, die den beiden in der Grundebene des Dreiecks Schaden zufügt, in dessen Eckpunkt er sich selbst als Opfer stilisiert hatte. Über den Abstand der Jahre hinweg kann er nur mit den Worten Bergeracs sagen: »Jetzt bitte ich Gott um Vergebung ...!«

      16. Kapitel

      Der Dichter dient dem Volke

      Nennen wir ihn endlich so, wie er schon allgemein genannt wurde. Einige Tage nach der Scheidung heiratete er – darüber später – am 25. Oktober 1952 zum zweiten Mal; diesmal in einem eher unauffälligen Trauzimmer im Prager Stadtteil Smíchov, im engen Kreise der Familie, ohne seine russische Papachamütze, ohne Lieder und ohne Hochzeitsreise. Stattdessen trat er drei Tage später den Grundwehrdienst an.

      Die Bahn fuhr mit den kahlgeschorenen Wehrpflichtigen die ganze Nacht hindurch, so lange brauchte sie für die 120 Kilometer über Regionalstrecken von Prag bis nach Karlsbad, denn ihre Fahrt sollte aus Gründen militärischer Geheimhaltung unbemerkt bleiben; diese Reise wird ihm später wie ein Schlüsselerlebnis vorkommen, vergleichbar dem Sprung von der großen Schanze in Harrachov. Im Zugabteil, nur von glimmenden Zigaretten erleuchtet und von einem schneidend beißenden Geruch erfüllt, wurden ebenso selbstverständlich regimekritische Witze erzählt wie im Ensemble die Aufbau-Lieder gesungen. Er war umso verwirrter, je klarer ihm wurde, dass er nicht zwischen Feinden saß, gaben doch fast alle bei der Musterung ihre Mitgliedschaft beim Jugendverband an, weswegen sie in die Unteroffiziersschule eingeteilt wurden. Das Maß, mit dem sie schamlos das Fehlen ihres politischen Bewusstseins demonstrierten, kam ihm umso abstoßender vor.

      Nach diesem Sprung in eine Realität, die er nicht erwartet hatte, fühlte er sich wie vernichtet und aller Hoffnungen beraubt, mit denen er hierher gekommen war. Beinahe unmittelbar darauf musste in ihm jedoch ein ähnlich kinetischer Mechanismus eingesetzt haben, der auch einen Ball, einen Puck oder eine Billardkugel umso rasanter ins Spiel zurückkehren lässt, je heftiger sie auf ein Hindernis geprallt sind. Er beschloss, seine Mitkämpfer damit umzuerziehen, womit man einzig und allein bei ihnen etwas ausrichten konnte, und das war schlicht sein persönliches Vorbild. Wie einst beim sportlichen Wettbewerb um die Liebe nahm er all seine physischen Kräfte zusammen, in diesem Fall für ein Ideal. Sein Zug wurde bald für seine Musterhaftigkeit beim Frühsport ausgezeichnet, bei der Reinigung der Stuben, beim Stechschritt, beim Auseinandernehmen und Zusammensetzen des schweren Maschinengewehrs, beim Kriechen über schlammbedeckte Rennbahnen nahe Karlsbad und auch beim Singen, ja!, die einzige Truppe im ganzen Regiment sang durch sein Zutun beim Marsch zweistimmig!

      Es hagelte Lob, das genauso ansteckend war wie der Applaus im Theater. Er war nicht weit davon entfernt, ein Gesuch zu schreiben, damit seine voraussichtliche Abkommandierung in die Kulturabteilung der Armee bis zu den Regimentsübungen vertagt wurde, bei denen sein Zug klar triumphieren musste, als ihm sein Übereifer den guten Ruf zunichte machte. Er bekam das Versprechen des Bataillonskommandeurs, dass die Einheit, die zuerst in dem ihr zugeteilten Gebiet Gräben ausheben würde, zur Belohnung das Karlsbader Theater besuchen dürfe. Dass die Rivalen sich nicht besonders bemühten, hätte ihm eine Warnung sein sollen, aber das begriff er erst, als die verspätete Abendbrotausgabe den Zugführer Ferko nötigte, den Befehl zum Laufschritt zu erteilen. Obendrein begann es auch noch zu nieseln, zwar nur leicht, aber doch genug, um die langen Wintermäntel sowjetischer Machart für die paar Kilometer von

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