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Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel. Pavel Kohout
Читать онлайн.Название Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel
Год выпуска 0
isbn 9788711449059
Автор произведения Pavel Kohout
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Im Herbst 1950, bald nach der Rückkehr aus Moskau und aus dem Sanatorium, wo man den Poeten wieder aufgepäppelt hatte, bot ihm der gewerkschaftliche Verlag Práce unversehens an, Chefredakteur der soeben verwaisten Wochenzeitung Dikobraz, also »Stachelschwein« zu werden. Er war zweiundzwanzig Jahre alt, und seine ganze Berufserfahrung bestand aus drei Jahren in der Jugendredaktion des Rundfunks, trotzdem nahm er die Stelle ohne langes Zögern an. Wieder einmal lockte ihn unwiderstehlich ein Sprung von einer großen Schanze, dieses Mal schon im Bewusstsein eines kalkulierten Risikos. Es sollte ein Sprung sein, der den reifenden Künstler endgültig von der Nabelschnur einer Gruppe losriss, die doch nur aus Amateuren bestand, und ihn zu höheren professionellen Zielen führte; und es sollte auch ein Sprung sein, der ihn vor den Augen jenes hinreißenden Mädchens emporträgt, das gerade einwilligte, seine Frau zu werden.
Das »Stachelschwein« war zuvor eine typische humoristische Zeitschrift gewesen, und ihre überwiegend nichtkommunistischen Redakteure hatten ihr sämtliche Zähne gezogen, aufgrund der berechtigten Angst, sie könnten irgendwo anecken, auch wenn der Übermut neuer Parteibonzen, welche die öffentliche Kontrolle vermissten, immer mehr nach Satire schrie. Was sich die Unparteiischen nicht erlauben konnten, das konnte sich nun der junge Parteibarde herausnehmen, und deswegen musste er es auch tun. Das Magazin kämpfte unaufhörlich gegen die westlichen ›Kriegshetzer‹, aber es fuhr auch – zur Überraschung des Herausgebers – die Stacheln aus gegen jene, die in der Heimat, um an Macht und Eigentum zu kommen, schamlos die Privilegien der neuen Klasse ausnutzten. Was aus heutiger Sicht als eine kaum vernehmbare seismische Erschütterung erscheint, war der Auftakt eines Erdbebens, das die Poeten von allen scheinbaren Sicherheiten befreien und sie dadurch ersetzen sollte, was ihn bis zum Lebensende begleiten wird: die permanente Verunsicherung, die jeden Morgen dazu provoziert, sie während des Tages durch die Taten so weit zu überwinden, dass man am Abend mit dem, was ihr übrig bleibt, einschlafen könnte.
Die Durchsetzung der kritischen Rubrik »Auf die Stacheln!«, in diesem Ausmaß der ersten in der totalitär gleichgeschalteten Presse, erschütterte die Selbstsicherheit der angegriffenen Apparatschiks, die sich für unantastbar hielten. Ihr Geschrei, sie seien Opfer des Klassenfeindes oder gar Agenten des Imperialismus, prallte jedoch an dem harten Panzer der Popularität des Poeten ab und vor allem an seinem Parteiausweis, dessen Hauptvorzug darin bestand, dass er der ganzen Redaktion Immunität brachte. Der zweite Gewinn, mit dem er selbst nicht gerechnet hatte und der deswegen alle Höflichkeit und Bescheidenheit mobilisierte, war der Sympathiegewinn von Seiten der Elite tschechischer Humoristen und Satiriker, und vor allem des Schriftstellers Zdeněk Jirotka, Autor des zum Kult avancierten Romans Saturnin, der höchsten Respekt genoss. Der erklärte Demokrat mit der Haltung eines englischen Lords war der Erste von jener ›anderen Seite der Barrikade‹, der erkannte, dass es für den jungen Mann möglich war, sich dem kritischen Denken zuzuwenden, und er begann diskret und geduldig daran zu arbeiten.
Natürlich konnte er nicht vermeiden, dass in der Zeitschrift weiterhin blindgläubiger Blödsinn erschien, aber er stachelte seinen Chef, einen Grünschnabel, beharrlich an, in den sich verschärfenden Konflikten mit den Kritisierten unnachgiebig zu bleiben. Namentlich vor ihm hätte sich der junge Mann niemals erlaubt, die Klinken zu putzen und zu Kreuze zu kriechen. Im Nachhinein erfährt er, dass im Sommer 1952 eine Absprache der Gewerkschaftszentrale mit seiner Partei getroffen wurde, dass für ihn, obschon frisch verheiratet und werdender Vater und noch immer an der Hochschule studierend, entgegen der Praxis der Eintritt in den Grundwehrdienst nicht verschoben werde. Den erfahrenen Funktionären entging nicht, dass das enfant terrible gerade ordentlich scharfe Zähne bekam. Dies war der Vorbote des ersten ernsten Konflikts, der drei Jahre später ausbrechen sollte. Es blieb natürlich noch die Möglichkeit, mit der Philosophischen Fakultät, wo er die Mehrzahl der Prüfungen zwischenzeitlich schon abgelegt hatte, die übriggebliebenen Termine zu vereinbaren, aber da richtete zum ersten Mal das Alter das Wort an den jungen Mann: Er wäre dann an der Seite von Achtzehnjährigen als ein sechsundzwanzigjähriger Methusalem eingerückt. Er verpasste also auch die letzte Abzweigung, um das Studium abzuschließen. Dafür entschädigte ihn aber, dass diejenigen, die ihn beim Eintritt doch als einen skrupellosen Kommunisten gefürchtet hatten, sich wie von einem Sohn verabschiedeten. Zdeněk Jirotka wird es noch nach zwanzig Jahren bestätigen, wenn er ihm eine Petition für die Freilassung politischer Häftlinge unterschreibt und damit bei der neuen Macht selbst abgeschrieben wird.
15. Kapitel
Das schlechte Lied von der eitlen Prinzessin
Die Mutter des jungen Mannes, die er verdächtigte, auf seine ernsthaften Liebschaften eifersüchtig zu sein, als stünde sie mit ihnen in Konkurrenz, und sie habe sie ihm nur deswegen ausgeredet, irrte sich im entscheidenden Fall leider nicht. Sie ahnte richtig, dass der knappe Altersvorsprung vor der attraktiven Auserwählten ihrem Sohn mit seinem Charakter und Erfahrungshorizont recht wenig Chancen gab. Die Mädchen haben beim Start ins Leben einen Vorsprung, die Männer gleichen ihn durch einen längeren Endspurt aus.
Die junge Frau Alena hatte kaum angefangen, die Theaterakademie der musischen Künste zu besuchen, als sie die Hauptrolle in dem Märchenfilm Die eitle Prinzessin bekam. Niemand konnte ahnen, dass hier ein Werk entstand, das noch im nächsten Jahrtausend jedes Jahr mindestens an Weihnachten ausgestrahlt werden würde, wenn sie schon lange mit dem höchsten tschechischen Schauspielpreis, der Thalia, gekrönt sein wird. Zu ihrem Glück und zum Pech ihres kaum aus dem warmen Nest gekrochenen Ehemanns war die Rolle des jungen Königs mit einem der besten und bestaussehenden Schauspieler des Nationaltheaters besetzt, dem tschechischen Gérard Philipe. Zwischen einem zweiundzwanzigjährigen Jungen und einem siebenundzwanzigjährigen Mann liegen Welten – das weiß der inzwischen erwachsen gewordene junge Mann heute. Auch wenn er Puschkin gewesen wäre, hätte er es nicht geschafft, seiner Geliebten mehr zu sagen, als es sein damaliger neuer Gegner auch ohne Worte fertiggebracht hatte. Jedes Mal, wenn er den Film sieht, kann er sich von neuem überzeugen, dass das ja auch nicht anders ausgehen konnte, sie hätte blind und taub sein müssen, um nicht allein schon von diesem Aussehen und von dieser Stimme entzückt zu sein. Alle beide sind in diesem Märchen so schön und zart anzusehen, dass man fast ihr Edelknappe sein möchte.
Für den jungen Mann war es ein umso heftigerer Schlag, weil er bis zu dieser Zeit – das Protektorat war schon gänzlich in Vergessenheit geraten! – wie in Watte gepackt gelebt hatte, von Zuschauern und Lesern bewundert, bei allen Mitarbeitern und Freunden anerkannt und ausgerechnet mit diesem Mädchen beehrt wurde, das ihn seine privaten Misserfolge vergessen ließ, als sie sogar für das ganze Leben seine Frau wurde. Auch der erste Knacks schien banal zu sein. Das Zusammenleben zweier so unterschiedlich temperamentvoller Wesen, wie es seine Frau und seine Mutter waren, rief in der kleinen Wohnung der Eltern Unstimmigkeiten hervor, die ihm lange eher wie ein Lustspiel vorkamen, bis seine Frau einmal nicht nach Hause kam und ihn wieder in ihr Studentenzimmer rief, wo sie zur Untermiete wohnte. Als sein Charme nach beiden Richtungen endgültig versagt hatte, wurde er von Trotz abgelöst. Er pendelte von der einen zu der anderen und gab mit Heftigkeit zu verstehen, dass er sich nirgends gerne aufhalte. Indessen überzeugte er den Vater, dass es dringend notwendig sei, ihre Wohnung gegen zwei separate einzutauschen.
Als er sich im Sommer von den weiblichen Polen seines Lebens verabschieden musste, weil er beauftragt wurde, das