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der ihm bekannten Moskauer neben Aufgeblasenheit, Intrigiersucht und Abgestumpftheit der tschechoslowakischen Karrieristen haben ihn in der Überzeugung bestärkt, dass der Kommunismus für sein Land wie das Salz in der Suppe nötig war, damit auch dessen Bewohner das gleiche menschliche und kulturelle Niveau erreichen konnten. Ein wahres Abbild dieser großen Illusion, gleichwie auch des damaligen menschlichen und künstlerischen Potenzials ihres Trägers, ist das dort verfasste Buch für Kinder Von Schwarz und Weiß.

      Einst ging der Genosse Gottwald durch die Lande,

      beginnt das Märchen über vier Buben, die aus einer Art romantischer Dummheit ihrer Bauernmutter weggelaufen sind und die ausgerechnet G. G. zum rechten Leben der Werktätigen eines volksdemokratischen Staates bringt. Wenn ihr Autor diese ideologischen Paraphrasierungen der tschechischen Volksmärchen schon nach einigen wenigen Jahren liest, wird er über und über erröten; und wenn man im Jahre 1970 alle Bücher der verbotenen Autoren einstampft, wird ihn erleichtern, dass unter ihnen auch seine Erstlingswerke sein werden. Gerechtermaßen werden sie vom gleichen Regime vernichtet, das sie im verblendeten Glauben besungen haben.

      Das Gefühl der Nutzlosigkeit, modern Frustration genannt, wurde in Moskau noch von der totalen Verlassenheit gesteigert. Der berühmte Schriftsteller Jilemnický, auf den sich der Poet freute, starb, bevor er ihn noch hatte treffen können. Ein junger Brünner Dichter, genauso langweilig wie arrogant, wurde zeitweilig sein Vorgesetzter. Der Novize reifte zu einem weiteren Sprung heran, der in dieser unsicheren Zeit doppelt riskant war: Er begann selbst an seiner eigenen Abberufung zu arbeiten. Gleich am Anfang des Frühlings 1950 ließ er sich in einer russischen Klinik attestieren, dass ihn das Moskauer Klima, der extreme Wechsel der Temperaturen, stark beeinträchtigt. Die gesundheitlichen Beschwerden übertrieb er nicht einmal; auch wenn der Verdruss am Arbeitsplatz und das Fernweh nach der weit entfernten Liebe sie nährten, waren sie die Nachbeben der Kinderkrankheiten, von denen ihn die Ärzte noch einige Male kurierten, bis ihn im Jahr 1969 ein mit nichts vergleichbarer Schlag trifft: das Generalverbot von fast allem, was das Leben lebenswert macht. Nur, dass er gerade ab diesem Zeitpunkt für die ganzen nächsten Jahrzehnte praktisch nie krank werden wird! Man sollte einmal erforschen, was ihn so kerngesund gemacht hatte. Etwa Trotz und Wut?

      Damals nahmen die Geschehnisse die rechte Richtung und ein schnelles Tempo. Die Untersuchung in Prag bestätigte erwartungsgemäß, was der sowjetische Arzt festgestellt hatte. Der junge Mann wurde sofort auf eine Intensivkur ins Sanatorium geschickt.

      Er wurde gesund, verzichtete mit Erfolg auf einen weiteren Verbleib in der Diplomatie, ohne die wirklichen Motive zu verraten, er nahm, wovon noch ausführlich die Rede sein wird, den Posten des Chefredakteurs der satirischen Wochenzeitung »Stachelschwein« an und heiratete endlich seine Liebe, um mit ihr die gemeinsamen sozialistischen Verpflichtungen zu erfüllen, die Kinder und ein glückliches Leben betrafen. Sie ließen sich auf dem Altstädter Rathaus am 21. 12. 1950 trauen, dem Geburtstag des Genossen Stalin.

      Im Jahre 2002, nach einer durch den Prager Frühling 1968 verschuldeten vierunddreißigjährigen Pause, wird das ehrwürdige Moskauer ›Tschechow-Theater‹ den einstigen Bräutigam zur Premiere seines Stücks Die Nullen einladen; als ihm in die Augen sticht, dass sie am 21. Dezember stattfinden soll, und er dort auf dem Sekretariat anrufen wird, wie er das verstehen solle, werden sie nicht begreifen, um was es ihm eigentlich geht. Ist seitdem so viel Wasser den Bach heruntergeflossen? Nicht ganz so viel; auf dem Grab des Generalissimus, zu dem ihn die Neugier führt, wird er im Schnee einen Berg roter Rosen finden, eine Ausflugsgruppe junger Männer in Jeans wird dort ihre Rosen ablegen! –

      Die Verlobten fünfzig Jahre davor trugen die blauen Hemden des Jugendverbandes, der Ehemann sogar eine russische Papachamütze. Nachdem das Julius-Fučík-Ensemble von ihm getextete Lieder für die Verheirateten gesungen hatte, fuhren sie mit dem Nachtzug zum Skifahren in die Tatra. Die Skier wurden ihnen dort gleich in der ersten Nacht gestohlen – schon damals, an der Schwelle zum Kommunismus! –, so konnten sie sich also ungestört ihren Flitterwochen widmen.

      Noch etwas zum Genre dieser Zeit: Auch weiterhin in der Gefangenschaft von Cyrano schrieb der Novize aus Moskau seiner Liebe Briefe, wenn nicht täglich, so doch mehrmals in der Woche. Das Echo war weniger häufig, aber im Unterschied zu Roxana schrieb seine Liebe bei allen Trennungen regelmäßig zurück und natürlich auch im Geiste der Zeit. Ein vergilbter Umschlag mit dem Prägestempel 6. VIII. 1951 trägt die Adresse

      Genosse Pavel Kohout, Weltfestival der demokratischen Jugend, Tschechoslow. Delegation, Julius-Fučík-Ensemble, Berlin Fischerstraße 34.

      Der mit Bleistift geschriebene Brief schildert die ersten Erlebnisse der jungen Schauspielerin von den Dreharbeiten zum Film Die eitle Prinzessin, und vor dem zärtlichen Ende gipfelt er in einer besonders politischen Botschaft:

      ... Ich drücke Euch allen ganz fest die Daumen, in der Nacht träume ich immer von Berlin, verfolge sorgfältig alle Neuigkeiten in den Zeitungen. In Berlin müssen wir gewinnen. Und wenn nicht als Ensemble, dann als fröhliche Menschen unseres Landes über diese Ratten aus dem Westen. Wir zeigen unsere Stärke, und das wird der größte Schlag sein. Ich sage absichtlich »wir«, weil ich auch dort sein werde!

      Ich denke, dass diese Zeit kaum mit der Stimme des jungen Dichters spricht, eher spricht er mit der Stimme der Zeit. Auf dem Höhepunkt des Lebens werden ihn dafür die durch den Wortschatz veränderter Zeiten dümmlichen Texte tagtäglich strafen, die die nachfolgenden Teenagergenerationen als Ausdruck ihres Lebenscredos für sich beanspruchen. Die Frage ist nur, wie man dabei den Charakter der Mitteilung beurteilen soll. Ist die Absicht, die Welt zum Besseren hin zu verändern, die sich die abtretende Generation bei aller Selbstkritik unstrittig zuschreiben darf, im Vergleich mit der Botschaft der zeitgenössischen Medienstars, in ihrer programmatischen Inhaltslosigkeit, ein mildernder Umstand – oder ein belastender?

      14. Kapitel

      Nach Fučík das Stachelschwein

      Die fortschreitende Spaltung innerhalb der Gesellschaft in Folge der kommunistischen Kaderpolitik, die die ›bourgeoise Herkunft‹ zur Erbsünde erklärte und dafür auch den Nachwuchs strafte, dem sie das Studium verwehrte und die besten Chancen vorenthielt, dezimierte allmählich auch die Welt der Jugendensembles. In den ersten Nachkriegsjahren hatten sie Zehntausende von Mitgliedern, die in gegenseitigem Wettbewerb das kulturelle Leben erneuerten, das durch die Okkupation unterdrückt worden war. Daher verbreiteten sie enthusiastisch die sogenannte sozialistische Aufbau-Begeisterung.

      Wie aber der Anteil jener wuchs, die das Regime aus der Bahn warf und manchmal auch unter die Räder stieß, hörte man auf, unbefangen zu tanzen und zu singen. Menschen mit besseren Sinnesorganen, als sie der Dichter damals hatte, erblickten offenbar schon den Schatten der Galgen. Binnen kurzer Zeit überlebten nur einige große Gruppen, die in der Zwischenzeit für Amateure ein schier unglaubliches Niveau erreicht hatten. Die Tätigkeit war anspruchsvoll und wurde nach wie vor nicht honoriert, und dennoch hoben die ständigen Proben und zahlreichen Auftritte das Niveau des Julius-Fučík-Ensembles, das es ihm erlaubte, sogar mit professionellen Ensembles aus der ganzen Welt erfolgreich zu konkurrieren, wie auf dem gewaltigen Jugendfestival in Ostberlin im Sommer 1951 oder bei den Olympischen Spielen in Finnland im Juli 1952. Dort hielt das Ensemble gleich drei unvergessliche Eindrücke fest – die nördlichen weißen Nächte, die schockierende Konfrontation mit dem realen Kapitalismus und die drei ruhmvollen Siege des Läufers Emil Zátopek.

      Es stimmt, dass die Mitglieder eines solch elitären Ensembles in einem gewissen sozialen Vakuum lebten und sich somit zu einer Art Sekte entwickelten. Daraus resultierte logischerweise eine fortschreitende politische und poetische Pubertät des Dichters, die erst mit dem Beginn des Wehrdiensts ihr Ende fand. Die Mehrzahl der Heranwachsenden will sich beständig an der wechselseitigen Sympathie gleichgesinnter Freunde wärmen. Damals war das Ensemble für viele auch eine Wagenburg, aus der sie nach den Nazis und Kollaborateuren auch die sogenannten ›ewig Gestrigen‹ verstießen, die jene ›lichte Zukunft für alle‹ bedrohten. Das Ensemble wurde wie eine Art Ersatzfamilie, die auch jenen Mitgliedern Schutz gewährte, die eine ›für die Kader schlechte Herkunft‹ hatten. Aus heutiger Sicht, wo man alles aus dieser Zeit als entartet betrachtet, wird kaum geschätzt, dass von

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