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Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel. Pavel Kohout
Читать онлайн.Название Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel
Год выпуска 0
isbn 9788711449059
Автор произведения Pavel Kohout
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Im Sommer 1953 wurde die erste tschechoslowakische Kulturdelegation zusammengestellt, damit insgesamt zwanzig Künstler China besuchten, das gerade zu derselben strahlenden kommunistischen Zukunft aufbrach. Die Leiterin der Expedition wurde die berühmte Autorin Marie Majerová und ihre Vertreterin die zarte Dichterin Marie Pujmanová, beide längst zu Nationalkünstlerinnen erklärt, weitere Koryphäen waren bekannte Künstler aller Bereiche, vom Schriftsteller und bildenden Künstler Adolf Hoffmeister über den berühmten slowakischen Schauspieler Andrej Bagár bis zu der legendären Theaterdiva Marie Burešová. Die mächtige Armee sollte aus ihren Beständen je einen geeigneten Tschechen und Slowaken abordnen. Die Wahl fiel auf unseren Dichter und auf Vojtěch Mihálik, den Vlado Kašpar gerade ins Boot seiner Redaktion geholt hatte; beiden war die Leutnantswürde verliehen worden, damit sie ihre Funktion als Kranzträger würdevoller erfüllen konnten.
Die Reise ins Land, in dem die Sonne aufgeht, begann mit einer fast dreitägigen Marter, weil die kleine Iljuschinmaschine mit zweihundertfünfzig Stundenkilometern flog und jeweils in Moskau, Swerdlowsk, Nowosibirsk und in Ulan Bator tanken musste. Die harten Sitze ließen sich nicht kippen, deshalb ruhten sich die Reisenden abwechselnd auf Decken aus, die sie im Mittelgang ausbreiteten. In Peking stellte sich zudem noch heraus, dass die Uniformen beider Dichter allzu sehr denen der Amerikaner ähnelten. Da der Krieg mit der Kuomintang, die von den Amerikanern unterstützt wurde, erst kürzlich beendet worden war, musste der Reisebegleiter, den die Regierung gestellt hatte, das Paar des Öfteren vor echtem Volkszorn schützen. Bald begann es dann aber gegen die Vorschrift zumindest ohne Kappe auszugehen.
In Nanking unterzogen sich beide einer Feuerprobe, als die Gruppe nach dem üppigen Mittagessen mit zehn Gängen und ebenso vielen Trinksprüchen von den Gastgebern unerwartet informiert wurde, dass sie im Folgenden die Ehre erhalte, das Grab von Sun Yat-sen, dem Gründer der Chinesischen Republik, besuchen zu dürfen. Der Bus hielt am Fuß der Treppe, die hoch oben neben dem Kästchen des Mausoleums zu einem kleinen Strich verschwamm. Die beiden alten Damen bat man in die Sänften, an deren Seiten kräftige Männer bereitstanden, während die Dichter-Leutnants einen riesigen Kranz zu tragen hatten und zum Aufstieg an die Spitze des Zuges gerufen wurden. Zudem herrschte wolkenlose Schwüle, und Mihálik sagte nach einigen Dutzend Treppenstufen: »Pavel, ich will nicht mehr, ich lege mich jetzt hin und schlafe ...« »Dann schlaf doch!«, zischte ihm der Tscheche zu, »aber trage den Kranz dabei weiter, Herrgott nochmal!!« Er fauchte ihn ununterbrochen an und schleppte die Last mit dem dösenden Katholiken bis ganz nach oben, sorgte dafür, dass der Kranz vor der Gruft niedergelegt und der Ko-Dichter hinter ihr zum Schlafen gebettet wurde. Die Reiseführer mussten hinterher warten, bis er aufwachte, damit sie ihn zu den Übrigen bringen konnten.
Obwohl diese Pilgerfahrt schon nach sowjetischem Vorbild sorgfältig inszeniert worden war, damit die Gäste nicht von augenfälligen Problemen überschüttet wurden, brachte sie dennoch eine Reihe einzigartiger Erkenntnisse und Eindrücke, von den phänomenalen Leistungen der Sänger und Tänzer der Pekingoper oder der Schattentheater bis zur Aufklärungsarbeit chinesischer Soldaten, die während der Gefechte lesen und schreiben gelernt hatten, um nun Millionen von Bauern, immer noch Analphabeten, unterrichten zu können. Zu Ch’i Pai-shih, einem Klassiker zu Lebzeiten, wurde die Delegation ins Atelier geführt und dort aufgefordert, wie im Theater in Sesseln Platz zu nehmen. Erst dann wurde der Greis geweckt und von zwei Mädchen in traditionellen Gewändern zur gespannten Leinwand mehr getragen als geführt. Er streckte die zitternden Hände aus, ein weiteres Mädchen legte ihm einen Pinsel und ein Fläschchen mit Tusche hinein, dann vollführte er einige feste Pinselzüge und schuf mit nur wenigen Strichen ein einzigartiges Landschaftsbild. Dann lachte er wie abwesend seinem Publikum zu und wurde wieder zu seiner Lagerstätte gebracht, während zwei Männer im Mao-Look das Kunstwerk für die Nationalgalerie oder den Export verpackten.
Russisch war inzwischen das Esperanto des ganzen Friedenslagers geworden, aber ein Teil des chinesischen Geleits sprach damals sehr anständig Tschechisch, weil man sie noch vor Ende der Kämpfe zwischen den Armeen des Kommunistenführers Mao Tse-tung und den Truppen des Tschiang Kai-schek, Führer der Kuomintang, in weiser Voraussicht an die Prager Karlsuniversität geschickt hatte. Zu den vier Übersetzern gehörte ein junges Mädchen, das für eine weitere bizarre Szene sorgte. Bei einem der regelmäßigen wöchentlichen Treffen zur Bewertung der Rundfahrt entschuldigte sie sich im Hotel in Schanghai vor der ganzen Delegation dafür, dass sie den verehrten tschechoslowakischen Genossen und Dichter Mi Há-Lik durch ihr unpassendes Auftreten offensichtlich so provoziert habe, dass er sie zu vergewaltigen versucht hätte. Als sie ihn am Ende selbstkritisch bat, ihr dies ausdrücklich zu verzeihen – andernfalls müsste sie die Gruppe verlassen –, bekam er ganz rote Ohren. Von seiner Schürzenjägerei wurde er bis Prag kuriert. Leider nicht von seinem Alkoholkonsum!
Nach nahezu drei Monaten, in denen die Delegation China umkreist hatte, veranstaltete derselbe Protagonist bei der Rückkehr über die Mongolei einen unvergleichlichen Auftritt. In der Hauptstadt Ulan Bator stellte er kurz vor der Fahrt zu den Kamelhirten fest, dass es aus seiner Steingutflasche mit chinesischem Maotai-Schnaps, die einer großen Handgranate ähnelte, tropfte, so dass er ihn lieber austrank. Noch am Abend, nachdem die Ausflügler zurückgekehrt waren, war er zu nichts zu gebrauchen, er schlief fest und schnarchte laut. Die Leiterin der Delegation entschied deswegen, dass das abschließende Staatsbankett in der Festhalle in diesem besten, weil einzigen Hotel im ganzen Lande ohne ihn auskommen müsse. Er war also unglücklicherweise nicht dabei, als die Übrigen die Geschenke bewunderten, die sie auf ihren Betten vorfanden – eine dreiteilige mongolische Tracht – und sie sofort in ihre Koffer legten. Und leider wachte er noch auf, und angetrunken wie er war, verfiel er auf den Gedanken, dass seine Landsleute diese Bekleidung aus Höflichkeit für den Empfang angezogen hatten.
Die Nationalkünstlerin der Tschechoslowakischen Republik und der höchste Kommunist des mongolischen Volkes, Marschall Tschoibalsan, wollten nach ihren Ansprachen gerade mit zweihundert einheimischen Funktionären und den kostbaren Gästen aus der Tschechoslowakei auf die ewige Freundschaft trinken, als das Gläserklirren verstummte und die Anwesenden auf eine Erscheinung schauten, die sie nirgendwo einordnen konnten: einen dicken jungen Mann, der auf dem Kopf die Mütze eines tschechoslowakischen Offiziers hatte, aber auf dem Leib einen Reiterchalat trug. Die Frauenjoppe hatte er aus Unwissenheit wie eine schusssichere Weste von vorne übergestreift und das vier Meter lange Seidenband, verschränkt nach Art napoleonischer Grenadiere, über die Schultern gewickelt. Er sah aus wie die besonders schmachvolle Karikatur eines Mongolen. Sein Gehirn, immer noch vom Reisschnaps benebelt, verstand die lebhafte Reaktion der Gesellschaft so, dass man allein auf ihn gewartet habe. Wie in einem Stummfilm torkelte er halsbrecherisch zur Mitte der Tafel, kam dort sogar mit Erfolg an, gab der kreidebleichen Marie Majerová ein Küsschen, nahm ihr den Becher aus der Hand, stieß mit dem slowakischen Trinkspruch »Na zdravie!« mit dem versteinerten Marschall an, trank restlos aus bis auf den letzten Tropfen und legte sich dann wie in Zeitlupe auf den Marmorboden, wo er erneut sofort zu schnarchen begann. Die vier Wächter, die dieser Auftritt so verblüffte, dass sie nicht eingegriffen hatten, trugen den Dichter auf den Schultern im Laufschritt weg wie die vier Hauptleute Hamlet. Die Grabesstille deutete darauf hin, dass die Einheimischen die Gäste für die Beleidigung ihres Allerheiligsten gleich ausrotten würden, wie es die Přemysliden mit den Wrschowetzern gemacht hatten. Dann jedoch begann der Vorsitzende Tschoi zu lachen, lachte immer lauter, und im Handumdrehen dröhnte folgsam der ganze Saal vor Lachen. Nur die erste Dame der tschechischen Literatur weinte bitterlich. Am nächsten Tag flog Mihálik zur Strafe und sicherheitshalber nicht mit der Delegation mit, denn allein seine Physiognomie hätte genügt, die feierliche Abschiedszeremonie zu sabotieren. Der Postflieger brachte ihn dann auf Briefsäcken nach Moskau.
Vierzehn Jahre später, im August 1968, wird der inzwischen schon berühmte slowakische Poeta laureatus ein erschütterndes Requiem auf den Tod eines Mädchens aus Preßburg schreiben, das durch eine Kugel der sowjetischen Besatzer umgekommen ist. Obwohl es die damals freie Presse unmittelbar darauf veröffentlicht und es Tausende von Leuten bald auswendig können, kommt es zu der Orwell’schen Verkündigung der Zeitungen und des Dichters, dass nirgendwo jemals ein Mädchen auf diese Weise gestorben ist, weswegen er dieses