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Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel. Pavel Kohout
Читать онлайн.Название Mein tolles Leben mit Hitler, Stalin und Havel
Год выпуска 0
isbn 9788711449059
Автор произведения Pavel Kohout
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Da ähnelte aber die sämtliche ideologische Abwehr der Führung der KPTsch schon einem behelfsmäßig aufgestockten Damm aus Sandsäcken, durch den aus vielen Löchern, immer beunruhigendere Zitate aus der Rede Chruschtschows sickerten. Um den völligen Durchbruch abzuwehren und den Druck der Kritik nachhaltig zu schwächen, gab man eilig die nicht mehr zu haltenden Schanzen auf. Als Erstes verschwand von den Bildschirmen des gerade neu eingeführten Mediums, dem Fernsehen, die Salonuniform des Verteidigungsministers Čepička, der nach Aussagen der Historiker von Stalin auserwählt worden war, um die erste Angriffswelle gegen den Westen zu führen.
Die politischen Mühlen drehten sich hartnäckig rückwärts und versuchten, aus dem Hackfleisch wieder ein Beefsteak zu machen. Das Parteibuch wurde dem Dramatiker sofort und mit einer Entschuldigung zurückgegeben, die Theaterleitung änderte erneut das Repertoire, die Septembernächte wurden als Dauerbrenner wieder aufgenommen, um die Nachfrage zu befriedigen, und im Foyer waren es die hohen Chargen, die den Unteroffizier als Erste grüßten. Mit der Unterstützung der obersten politischen Hauptverwaltung der Armee begann man Vorbereitungen für den gleichnamigen Film zu treffen. Als sich wieder erstmals der Vorhang für sein Stück hob, schlich sich der Autor heimlich in die Ministerloge, wo sein Malheur erst ein paar Wochen zuvor begonnen hatte. Von niemandem bemerkt blickte er auf die Bühne, fühlte sich um Jahre gereift und begann von neuem zu glauben, dass seine Partei bald wieder so sein würde, wie er sie sich immer gewünscht hatte. Summa summarum: Er war selbst immer noch ein ziemlich getreuer Abdruck seines Stücks, in dem ein Deus ex machina im Rang eines gerechten Obersts alle Probleme zu lösen wusste.
20. Kapitel
Die armen Teufel, zu allem fähig
Bereits am 12. Mai desselben Jahres machte es dem Autor eine andere Funktion möglich, eine weitere Front zu eröffnen. Das Zentralkomitee des tschechischen Jugendverbandes, das ihn im vorigen Jahr für die Künstler in sein Präsidium hinzugewählt hatte, traf sich in ungewohnter Umgebung: Die jungen Eisenbahner hatten für die außerplanmäßige Sitzung einen Saal auf dem Prager Hauptbahnhof zur Verfügung gestellt. Beim Lärm und Quietschen der bremsenden und anfahrenden Züge und im dichten Nebel des Zigarettenrauchs – damals qualmte fast jeder! – verlor man langsam die Geduld. Die ›gewöhnlichen‹ Mitglieder, Schlosser und Maurer, Melkerinnen und Weberinnen, die für ähnliche Gremien seit Jahren von oben als stumme Statisten eingesetzt worden waren, um bei kleinsten Andeutungen zu applaudieren und beim Abstimmen die Hand zu erheben, sprachen zum ersten Mal frisch von der Leber weg. An diesem Tag fanden sie zur Bestürzung der Apparatschiks ihre eigene Sprache und ihre Forderungen. Sie erinnerten mahnend an die erste französische Ständeversammlung, als diese die Agonie der Monarchie witterte. Die Vorschlagskommission, für die auch der Dramatiker von den Aufständischen nominiert und gewählt worden war, vermerkte für die Resolution gewagte Forderungen; sie versprachen, die abgestorbene Organisation in eine agile demokratische Gemeinschaft zu verwandeln, die ihr Programm und auch ihre Vertreter ohne die Vormundschaft der Partei selbst bestimmen sollte.
Die bisherigen Vorstände packte das blanke Entsetzen. Die überzüchteten Kaninchen schrumpften und verwandelten sich in Mäuse, die bereit waren, alles zu tun. Dann aber retteten sie sich mit einem Trick, der in seiner Einfachheit schon wieder genial war. Da man wie gewohnt von einem formalen Ablauf der Sitzung ausging, rechneten die regulär beschäftigten Delegierten nur mit dem Wochenende. Am Sonntagabend aber musste die Mehrheit schon wieder dringend nach Hause und zur Arbeit. Niemand protestierte, als das Präsidium vorschlug, das Treffen zu unterbrechen. Mit Blick auf die schon fortgeschrittene Stunde war es angeblich nicht möglich, Ort und Zeit der Folgesitzung unmittelbar festzulegen, wo man die Resolution zu Ende bringen würde. Die Rebellen verpflichteten blauäugig die Vorschlagskommission, dies im Sinne der Diskussion auszuführen.
Gleich am folgenden Morgen begann die Massage. Ohne den Rückhalt des Plenums verwandelten sich die meisten Kater in Kätzchen, die von der Angst befreiten Mäuse wuchsen zu Ratten heran. Die gewohnte Abstimmungsmaschinerie überrollte die Minderheit in der Kommission, beraubte die Resolution jeglicher Schärfe und verwandelte sie in das übliche Blabla. Dieser Riss wird nie mehr gekittet, er wird allmählich zur Abberufung des Dramatikers vom Präsidium des Jugendverbands und dann auch zu seiner Entfernung von allen Kandidatenlisten führen. Das nächste Plenum des Zentralkomitees traut sich schon nicht mehr, etwas zu korrigieren, weil man wieder unter massiver Überwachung durch die Partei in einer veränderten politischen Landschaft zusammenkommt: im Herbst 1956, nach den blutigen Ereignissen in Ungarn.
Noch im Sommer des bewegten Jahres schien es, als würde der mächtige Druck der Entstalinisierung nicht nachlassen. Da begann man die ungekürzte geheime Rede schon in den Basisorganisationen der Partei zu verlesen, und die Wirkung glich einem massenhaften Katzengejaule. In diesem Zeitraum kam es zur Teilung der Kommunisten für die kommenden drei Jahrzehnte: Die Bruderschaft der Schuldigen schloss einen Pakt, der zwölf Jahre später in der Not die sowjetischen Panzer herbeirufen wird. Der Klub der Zyniker entschied, sich nach der Redewendung zu verhalten »Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert«. Und die schicksalhafte Gemeinschaft derer, die es begeistert gestatteten und sogar besangen, beriet sich verzweifelt und stritt, wie man aus dieser Blutlache herauskommt. Diese Fragen wurden in schlaflosen Nächten für manche so unerträglich, dass sie den Gashahn aufdrehten oder den Abzug einer Waffe drückten.
Immer wenn die Geschichte des Kommunismus in Böhmen an diesem Punkt angelangt ist, wird eine Unzahl an Zeitgenossen und Nachkommen die logische Frage stellen: Warum hat es uns, warum hat es mich konkret nicht dazu gebracht, dieser verhunzten Partei den Rücken zu kehren? Was haben wir in ihr gesucht, was habe ich in ihr weiterhin zu suchen gehabt? Damals antwortete mir der Instinkt darauf, und auch über den Abstand der Zeit hinweg finde ich, dass das richtig war. Wenn man die damalige Partei den Verbrechern und Zynikern überlassen hätte, wäre als Folge davon eine zehn Jahre länger andauernde Phase der ›Normalisierung‹ am wahrscheinlichsten gewesen, während jeden Aufstand eine totale Niederlage erwartet hätte. Schon drei Jahre zuvor hatte die Welt erfahren, wie schnell der Arbeiteraufstand in Ostberlin ausgeblutet war. Nun war sie machtloser Zeuge eines neuen Scheiterns geworden. Auf den Volkszorn, der während der Industriemesse in Posen durch den Unwillen der polnischen Regierung hervorgerufen wurde, aus den Enthüllungen in Moskau Konsequenzen zu ziehen, antwortete Polens Verteidigungsminister, den weiterhin der sowjetische Marschall Rokossowskij stellte, mit dem Einsatz der Armee; nachdem die sechzig Toten und dreihundert Verletzten beiseite geschafft worden waren, ging die Messe weiter, als wäre nichts geschehen.
In der Tschechoslowakei erschien es hingegen am effektivsten, die andauernde Lähmung der hauseigenen Dogmatiker auszunützen und den Gang der Dinge dort zu ändern, wo er unheilvoll war, also direkt im Herzen der Partei. Dieser Gedanke gab Kraft für den Kampf um die Reform. Den Dramatiker hatten dafür kurioserweise gerade die zwei Jahre beim »Stachelschwein« trainiert. Der wesentliche Unterschied lag darin, dass die kritisierten Leiter der Genossenschaftsläden oder die Direktoren staatlicher Betriebe von den höchsten Funktionären abgelöst wurden, die sich umso hartnäckiger verteidigten, weil es bei ihnen um alles ging: Sie hatten wirklich blutbeschmierte Hände. Sein Ringplatz sollte deswegen wieder die altbewährte Bühne auf den Weinbergen werden. Sieben Tage und Nächte lang schrieb er seine erste ›böse Komödie‹ mit dem Titel Der arme Teufel. Der anfangs harmlose Kleinganove Břetislav Chrt erregt das Mitleid seiner Umwelt so lange, bis er auf seiner Karriereleiter hoch genug geklettert ist, um seine naiven Gehilfen erbarmungslos zu vernichten.
Dieses Mal ging es um nichts weniger, als die Neuausgabe des gescheiterten stalinistischen Systems mit dem durchtriebenen Decknamen ›Kollektive Führung‹ unter die Lupe zu nehmen, und deshalb ist das Stück ein Text des Wandels, der den Dramatiker in künstlerischer Hinsicht weitaus früher befreite, als es sein politisches