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der Familie Colloredo-Mansfeld und dann des Reichsprotektors, nach dem Krieg tschechischen Schriftstellern zur Verfügung gestellt, war in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre eine Prestigeangelegenheit, das Privileg anerkannter Meister der Feder; die Schreiberlinge der Plebs lernten seine erhabenen Räume nur über Konferenzen oder Seminare kennen. Seinen Glanz bekam das schöne und klassisch bemalte Gebäude, das sich inmitten eines ausgedehnten Parks befand, durch Schriftsteller von Weltrang, die dort zeitweilig Asyl fanden, als sie in ihren Ländern von den Junta-Regierungen verfolgt wurden. Jorge Amado, Nazim Hikmet, Pablo Neruda und andere verwandelten Dobříš in einen tschechischen Parnass. Unser junger Mann war zwar nach der vernichtenden Kritik aus Mähren als Dichter so gut wie tot, aber aus seinen Überresten entstand schon ein allmählich respektierter Bühnenautor; sein Antrag auf Arbeitsaufenthalt in Dobříš konnte umso weniger abgeschlagen werden, als er mit Frau und drei Kindern in einer Wohnung mit den ebenso berufstätigen Eltern auf engem Raum lebte. Bald wurden ihm also zu einem Spottpreis für einen längeren Zeitraum zwei Zimmer hinter dem Speisesaal zugeteilt, im größeren schlief er mit seiner Familie, im anderen schrieb er.

      Dann fiel ihm auch die Ehre zu, als Erster der jüngeren Autoren nach dem Abendessen am Tisch der ›Schlossherren‹ teilhaben zu dürfen, die hier zweifelsohne Jan Drda und Erik Saudek waren, beide mit fünf Kindern und dadurch auch quasi Oberhäupter zweier herrschender Geschlechter. Drda, der Autor des reizenden Romans Das Städtchen auf der Handfläche und vor allem von Märchen, mit denen er bestimmt am Himmel neben Andersen sitzt, und Saudek, der Hamlets To be or not to be, that is the question ... eine kongeniale tschechische Form gab: Žít či nežít, to je oč tu běží ...

      Sie waren wie zwei Gestalten aus der Renaissance, durch ihre grenzenlose Unterstützung der kommunistischen Macht tragisch gezeichnet. Dank ihnen hat sich Dobříš den Ruf eines der Orte erworben, von wo aus die heimische Kultur reglementiert wurde. Das wird genauso der Wahrheit entsprechen wie der Umstand, dass dort viele Jahre einige außergewöhnliche Geister lebten, Zwischenkriegsintellektuelle, die vom Trugbild des Kommunismus schon viel früher getäuscht worden waren als unser junger Mann, und deshalb Träger von Bazillen waren, die auch ihn ansteckten, aber gerade an diesem Tisch begannen sie, in endlosen Diskussionen die Blößen des Regimes aufzudecken.

      Der junge Mann, sonst so gesprächig, und seine ohnehin wortkarge Frau saßen dort schweigend unzählige Nächte, als vorsichtig die ersten Zweifel ausgesprochen, widerlegt und von neuem bestätigt und wieder zurückgewiesen wurden, womit sie sich im Kopf der Zuhörer nur noch mehr festigten. Am Morgen war der Speisesaal das Eldorado der Kinder, weil die Teilnehmer der Diskussion noch schliefen; die politische Paralyse bewirkte, dass letztlich keiner von ihnen auf Dobříš etwas von Bedeutung schreiben konnte. Ihr Lehrling, den echte Krisen erst erwarteten, sah in seiner fleißigen Tatkraft den einzigen Vorteil, den er ihnen gegenüber hatte. Also schrieb er, schrieb und schrieb, und dabei wartete er, wartete und wartete, bis sich aus der Schreibmaschine nach viel Unkraut die vielversprechende Knospe, die die Blume ankündigte, herausschob. Eine Herausforderung war auch der Urteilsspruch, den ausgerechnet Jan Drda über ihn fällte, als er bei irgendeiner Konferenz auf Dobříš eine Gruppe junger Literaten im Park Bäume bestimmen ließ. Weil es im Vorfrühling passierte, wo es keine Früchte gab, die ihm hätten helfen können, war unser Literat der Einzige, der so gut wie nichts erriet. »Ich weiß nicht«, sagte der kraushaarige, quicklebendige Richter, ein tadelloser Kenner der Natur, die auch in seinem Werk nur so wucherte und duftete, »aus wem von euch ein echter Schriftsteller wird, aber aus Pawlik jedenfalls nicht!« Das wirkte, und Pawlik beginnt, sich vor der Natur zu schämen und sie dann auch zu fürchten, von dieser Zeit an wird für ihn das einzige zuverlässige Gras der Asphalt sein und sein liebster Wald die Schornsteine. Die Stadtzentren ersetzen ihm die gesamte Natur der Welt, mit der Ausnahme eines Gartens im Mäander des mitteltschechischen Flusses, wohin ihn sein Weg erst noch führen wird ...

      Als im August 1968 sechshunderttausend Soldaten das Land überfallen werden, wird Jan Drda, Autor vieler Texte, in denen er die Rote Armee für die Befreiung desselben Landes im Mai 1945 rühmte, in die illegale Zeitung einen leidenschaftlichen Protest schreiben: Gebt ihnen kein Stück Brot und keinen Tropfen Wasser! Das wird sein Schwanengesang sein; der sich anschließende Hass ehemaliger Genossen aktiviert in ihm alle seine alten Gebrechen. Der junge Literat wird niemals die dramatischen Wolken vergessen, die an Drdas Begräbnis wie riesenhafte losgerissene Segel über dem kleinen Dobříšer Friedhof am Himmel hintreiben, und auch nicht die blutjunge Schlossgärtnerin, die ganz allein und heftig weinend hinter dem Trauerzug hergeht. In sie hatte sich der Gehetzte so schicksalhaft verliebt, dass er in seinen letzten Lebensmonaten von der prominenten Tischrunde und seiner Familie zu ihr ins Gartenhaus geflüchtet war.

      Der junge Mann führte von diesem Tisch seine eigene Familie fort, kurz nachdem er dort das erste ordentliche Stück vollendet hatte. Wie stolz er doch auf diesen Status war, er musste ja nur seine Frau anhören, die sich zu Recht fürchtete, dass sich die Kinder mühelos den Luxus mit dem Dienstpersonal angewöhnten, der weit vom alltäglichen Leben entfernt war. Zu Annas Wesen gehörte auch ihre natürliche Intelligenz, und die lange Mitgliedschaft im Ensemble hatte ihr im gesellschaftlichen Umgang Sicherheit gegeben; das Zusammenleben mit dem voreiligen und weiterhin euphorischen Krebs-Löwen stellte für sie lange Zeit kein großes Problem dar. Zudem war sie eine ausgezeichnete Tänzerin und ganz nach dem Vater, seit jeher ein Liebhaber zweirädriger Maschinen, auch eine wackere Motorradfahrerin; den Motorroller der Familie, der dem ersten Auto voranging, hatte ausschließlich sie ausgewählt, gelenkt und instand gehalten. Und wieder wird sie es sein, die ihm endgültig die Kraft gibt, den Flug aus dem Familiennest, der längst fällig ist, zu verwirklichen – es früher zu verlassen ist ihm hauptsächlich aus Dankbarkeit der Mutter gegenüber nicht eingefallen. Das erste eigene Heim wird er bald in einem Städtchen am Fluss Sázava finden.

      Wie schließlich kam, was gekommen ist, kann man nicht erklären, so mancher Leser weiß, wie rätselhaft chemische Prozesse beim Zusammenleben von Mann und Frau verlaufen können. Auch der erwachsene Mann streitet ab, dass er mit Anna jemals nach dem Modell des Vaters – jeder für sich! – gelebt hätte. Noch bevor der Bund der Ehe in der Tat zur Förmlichkeit verfällt, wird ihn gerade die Hochachtung ihr gegenüber zur Scheidung bewegen. Er fühlt, wie sein größter Seitensprung sie öffentlich erniedrigt, und versucht zumindest dadurch, sein Verschulden wiedergutzumachen. Zur Scheidung werden sie sich verabreden, auf den Termin gemeinsam vorbereiten. Beide Male werden sie sich gegeneinander so anständig verhalten, bis den Protokollführerinnen die Augen zu tränen beginnen und es ganze Arbeit ist, den Richter zu überzeugen, dass es um eine tiefe Zerrüttung geht, welche in diesen prüden Zeiten einzig und allein die Scheidung einer Ehe mit drei Kindern rechtfertigen kann. Am meisten steht ihm Anna durch ihre Zustimmung bei, und ihm wird schon bald ein Stein vom Herzen fallen, da es zwischen ihnen letztlich nicht zum Bruch kommt und sie ihr Leben als eine Frau verbringt, die begehrenswert bleibt. Aus ihrer Wohnung wird im Jahre 1979 ein wenig bekannter Dissident zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe abgeführt, ein gewisser Václav Havel.

      Nun schreibt man jedoch erst den Januar des Jahres 1957, und die fünf erwärmen sich immer noch gerne im Garten des Schriftstellerschlosses auf Dobříš, wo der Dichter definitiv zum Dramatiker wird und reuig von der verräterischen Erato zur verführerischen Thalia zurückkehrt.

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