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er Geschwister hätte ...“

      „Noch Geschwister? Horreur! Stasia hat ihre Musik und ihre Nerven. Aber noch Kinder? A quoi bon?“

      Unter solchen Gesprächen war Kwiecinski mit Teresa über einen nach dem Hofe offenen Gang geschritten, der zu den Fremdenzimmern führte. Aus einem dieser Zimmer scholl ihnen energisches Klavierspiel entgegen.

      Anastasia Baronin Casalanza, geborene Kwiecinska saß im Frisiermantel vor dem Pianino und spielte rauschende Passagen. Sie warf ihre schmalen Hände mit bewußter Grazie empor, kreuzte sie gelegentlich mit preziös hochgestelltem Gelenk und begleitete den Rhythmus der Musik durch leichtes Wiegen ihres Kopfes. Eine kaskadenartige Lockenfrisur unter einem neumodischen Spitzenschleier verlieh diesem kapriziösen Frauenkopf eine gewisse anmutige Würde. „Was sagen Sie zu meinem Walzer, liebste Schwägerin?“ fragte sie mit tiefer, sanfter Stimme.

      „Exquisit!“ krähte Kasimir.

      „Ja, Sie sind eine begabte Komponistin!“ lächelte Teresa gütig. „Ich selbst verstehe wenig von der Tonkunst. Meine Kinder Béla und Antonietta haben das Musiktalent nur von ihrem Vater. Ich komme eigentlich zu Ihnen, liebe Stasia, um Ihnen einige Worte über Falco zu sagen ...“

      „Ist ihm etwas zugestoßen?“ schrie Stasia hysterisch.

      „Nein, nein! Nicht das mindeste! Beruhigen Sie sich! ..., aber eben läutet es zu Tische ... und Sie sind noch nicht angekleidet ...“

      „Noch nicht einmal geschnürt“, sagte Stasia. „Aber ich kann auch im Négligé speisen. Ist mein Peignoir nicht hübsch genug?“

      „Sehr hübsch“, gab Teresa zu, „aber es sind drei Herren bei Tische.“

      „Bah! Kasimir und Béla zählen doch nicht ...“

      „Und Don Carlo?“

      „Unser Vetter zählt als Mann noch weniger; er ist Geistlicher und gegen Frauenschönheit gewappnet.“ Sie warf aber doch einen bunten Schal um die Schultern.

      Im Speisesaal wartete hochaufgerichtet, in seiner korrekten schwarzen Soutane, Don Carlo Casalanza. Sein feines Imperatorengesicht blieb unbewegt, als ihm Stasia mit ihrer schmeichelnden Altstimme auf Italienisch guten Tag wünschte. Er hatte sich bis dahin mit Falco unterhalten, hatte den Knaben in verschiedenen Lehrfächern geprüft und die Überzeugung gewonnen, daß viel Versäumtes nachzuholen sei.

      „Möchtest du mit mir ins Konvikt kommen?“ hatte er den Kleinen gefragt. „Dort findest du Knaben deines Alters, kannst endlich etwas Ordentliches lernen, wirst auch Fecht- und Reitunterricht erhalten ...“

      „Gibt es dort auch Gouvernanten?“ fragte Falco mißtrauisch. „Wirklich nicht? Dann gehe ich mit dir!“

      „Niemals trenne ich mich von Falco!“ sagte Stasia. „Sein Vater wollte ihn schon in Trient in die Schule schicken, aber ich gab es nicht zu.“

      Es entstand eine verlegene Pause, dann sagte Falco laut und bestimmt: „Zio Carlo, ich will bei dir bleiben.“ „Das werden wir sehen!“ schrie Stasia. „In eine Kutte lasse ich meinen Falco nicht stecken!“

      „O nein, ich bekomme eine schöne Uniform und einen Degen!“ jubelte der Knabe.

      „Ich glaube, Stasia, daß es ein Glück für Falco wäre, unter Don Carlos Obhut zu kommen“, warf Teresa ein.

      „Was hat Falco denn verbrochen?“ lachte Stasia gereizt. „Zwei jungen Hühnern den Kragen umgedreht. Soll er dafür in eine Erziehungsanstalt gesperrt werden? Ich will den Bauern ihre Hühner bezahlen und damit wird die Sache erledigt sein!“

      Teresa wollte etwas erwidern, da traf sie ein Blick Don Carlos, und sie schwieg.

      „Zwei Hühner!“ quietschte Kasimir. „C’est incroyable! Unsere teure Teresa mit ihrem weichen Gemüt hat gewiß die armen Tierchen bedauert. Aber wieviele Hühner haben wir schon gefühllos verspeist! Sie auch, venerandissimo Don Carlo! Sie auch!“

      „Ganz recht, denn es wäre Unsinn, wenn wir das Geflügel, welches meine Mutter eigens züchtet, verschmähen würden!“ rief Béla, der junge Sohn des Hauses. „Und ich stelle den Antrag, diesen gespickten Plattenseefisch in Sardellensauce, mit andächtigem Schweigen zu genießen.“

      „Falco! Lassen Sie sich Zeit! Sie werden eine Gräte schlucken!“ jammerte die Bonne dazwischen. „Warum legen Sie ihm nicht vor, Mademoiselle?“ schalt Stasia. „Er hat ein schlechtes Stück genommen!“

      „Sie irren, liebe Stasia“, lächelte Don Carlo nachsichtig, „etwas Schlechtes kommt nicht auf diese Tafel. Hier wird alles in Güte und in Fülle geboten. In diesem Hause der Wohlfahrt, wie ich es nennen möchte, will uns Teresa jedes Gastmahl zum Feste machen.“

      „Haus der Wohlfahrt?“ wiederholte Baronin Teresa lachend. „Ich soll wohl darin mit meinem Schwergewicht die Göttin Abondanza vorstellen?“ — „Nein, die edle Gastfreundschaft“, antwortete der Geistliche, „denn sonst wäre das Haus der Wohlfahrt ein ganz und gar materialistisches Haus. Herr Kwiecinski hat betont, daß ich kein Genußverächter wäre. Er hat recht. Ich erwarte von dieser Tafel mehr, als daß ich mit allen Primeurs und Leckerbissen gefüllt, vom Speisen aufstehe. Ein Wein wie dieser —“ er hielt das Glas gegen die Sonne, „ein edler Tropfen wie dieser volle, blumige Eigenbau, kann manchen sinnlos berauschen, kann aber auch wundervoll begeistern. Drei Gastmähler in der Geschichte der Menschheit will ich euch als Beispiel anführen, um euch meinen Gedanken klar zu machen. Ein Gastmahl, das nur dem Körper schwelgerische Genüsse bot, war das Gelage des Belsazar. Eine ungeheure Kluft trennt diese Orgie vom Gastmahl des Plato. Und eine Welt liegt zwischen jenen heidnischne Symposien und dem letzten Abendmahl unseres Erlösers.“

      „Zio Carlo“, flüsterte Antonietta nach einer Pause, „ist nicht das Tischgebet wie eine Anrufung des Heiligen Geistes? Warum hat es sich fast nur bei den Bauern und bei den Juden erhalten?“

      „Ne parlez pas des Juifs!“ zankte Kasimir. „Juden und Zigeuner sind mir horribel!“

      „Ich werde mich aber um die Familie des Zigeuners Balint kümmern müssen“, erklärte Teresa. „Seinem Weib geht es schlecht.“

      „Voilà!“ rief Kasimir. „Zuerst die Hühner, dann die Zigeuner! Unsere mitleidige Teresa wird uns jene sympatische Zigeunerfamilie noch zu Tische laden!“

      Teresa lächelte. „Sie haben es fast erraten, Kasimir, denn Sie werden einen Sohn des Cymbalisten Bálint heut Abend mit seiner Zigeunerbande bei mir spielen hören.“

      „Ich kann den Vater Bálint gut leiden“, warf Béla ein. „Er war unser erster Klavierlehrer. Er unterrichtet für 25 Kreuzer pro Stunde. Wie haben wir ihn als Kinder gequält! Nicht wahr, Antonietta? Er ist durch und durch Musiker und spielt fast alle Instrumente. Vielleicht wäre er in einer großen Stadt berühmt geworden. Aber er hat kein rechtes Glück gehabt, bis er seine Frau gefunden hat, die in sein armseliges Zigeunerleben ein bißchen Ordnung bringt.“

      „Ich will später nach ihr sehen“, sagte Antonietta hilfsbereit.

      Stasia, die sich bei diesen Gesprächen langweilte, hatte sich mit einem Glas Eispunsch auf den Diwan zurückgezogen und löffelte, nachlässig in den Kissen liegend, die süße Zwischenspeise, bis die Schüsseln mit den Backhühnern aufgetragen wurden.

      Am nachmittag fuhren die Gäste in der Amadéschen Galakarosse auf ein Nachbargut zum Croquetspiel, das als letzte Modeneuheit auf vornehmen Landsitzen eingeführt worden war. Teresa setzte indessen mit Hilfe ihrer Dienerschaft, einen selten benützten Saal instand. Niemand betrieb derlei Vorbereitungen besser als Sepp Knöll, der junge Kellermeister, der sich nebenbei mit Blumenzucht beschäftigte und seine schönsten blühenden Kamelien- und Rhododendronstöcke herbei trug. Er baute auch eine Art von Verschlag für die Musiker auf, nagelte pompösen Samt darüber, kletterte auf Leitern, fuhr respektvoll zart mit dem Staubwedel über die Familienbilder und stand schließlich eine Zeitlang nachdenklich vor dem lebensgroßen Porträt des vor zehn Jahren verstorbenen Barons Joseph Amadé, der im grünen, verschnürten Rock der achtundvierziger Jahre,

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