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wird ihr besser werden“, tröstete der Vater. Wenn man mit Kindern fuhr, gab es eben stets Scherereien. Aber nun war das Ziel nahe und als Mathias in den Hauptplatz von Mödling einbog, knallte er laut mit der Peitsche. Die Leute sollten aufpassen und sehen, wer da gefahren kam. Im gleichmäßigen Trab ging es durch die Felsenklause in das freundliche Waldtal der Brühl hinein, bis vor das neue Haus. Dieses hockte mit der Schmalseite gegen die Straße und schaute aus zwei Fenstern, wie aus tiefen Augen auf Maria. An der Gartenseite waren alle Fensterläden noch geschlossen.

      Eine Schar von Zuschauern hatte sich um den Wagen der Ankömmlinge versammelt. Der Knecht des Postgasthofes, die Botenfrau, der Müller, der Fleischerjunge — alle standen und gafften. Nur ein sehr junges Mädel mit weißblonden Zöpfen näherte sich und bat schüchtern: „Darf ich tragen helfen?“ Maria nahm die angebotene Hilfe an und das Mädchen schleppte bereitwillig alle kleinen Lasten, die den Männern zu geringfügig waren, vor die Haustüre. Mit einer gewissen Feierlichkeit zog Mathias Knöll den Hausschlüssel aus der Tasche, sperrte auf und ließ seine Frau mit den Kindern in die sehr geräumige erste Stube treten. Maria bekreuzigte sich, dann öffnete sie schnell alle Fensterläden, um ein Gefühl der Beklemmung loszuwerden.

      „Na also?“ frug der Mann. Er hatte einen Ausruf der Freude erwartet. Marias tiefes Atemholen hatte aber wie ein Seufzer geklungen.

      „Ich will dir gleich Kaffee kochen“, sagte sie, wie um sich zu entschuldigen. Dann faßte sie seine Hand: „Laß dir danken, Mathias. Vergelts Gott viel tausendmal im Himmel oben!“

      „Laß gut sein, Mariedl. Auf den Kaffee werd’ ich net warten können.“ Er half ihr aber noch beim Öffnen der Geschirrkiste. Indessen machte sich das fremde Mädchen ans Holzspalten und zündete im Küchenherd Feuer an. Als der Kaffee und die Milch in geblümten Kannen auf dem Gartentisch standen, kam Nazl mit dem Tränkeimer aus dem Stall.

      „Höchste Zeit! Satteln!“ schrie Mathias. Maria legte ihrem Mann die Hände auf die Schultern. In ihrem Gesicht zuckte es: „Grad am ersten Tag ...“, sagte sie stockend. „Ich laß dir den Nazl da“, begütigte Knöll, „er soll euch helfen. Aber halt‘ ihn kurz, den Haderlumpen! Morgen komm ich zurück.“

      Maria stand am Gartenzaun und schaute ihrem Manne nach. Er ritt die Stute und führte das andere Pferd an den Zügeln mit. Dieser wuchtige Mensch mit dem Stiernacken, war der Vater ihrer Kinder geworden, ohne ihre Liebe zu gewinnen. Heute empfand sie das erste Mal etwas wie Reue darüber, daß sie ihm keine zärtlichere Frau gewesen war. Sie ging ins Haus zurück zu Mena, die auf dem Bett der Mutter eingeschlafen war. Eine halbgeleerte Tasse mit Kamillenabsud verbreitete einen flauen Geruch. Maria beugte sich über das Kind und begann ihm das Kleid aufzuknöpfen. Da bäumte sich Menas kleiner Körper im Krampf und die Zähnchen schlugen aneinander.

      Ein jäher Schreck durchfuhr das Herz der jungen Mutter. Sie rief nach dem Fuhrknecht. Als keine Antwort aus dem Hofe kam, rannte Maria hinab, fand aber Stall und Schuppen leer. Das fremde Mädchen, das ihr mit Sepp auf dem Arme gefolgt war, sagte: „Ich möchte nachschauen, ob er vielleicht im Gasthaus sitzt“, und brachte nach einer Weile den Burschen, der ziemlich angeheitert war, in die Stube.

      „Lauf’ nach Mödling“, befahl Maria, „frag’, wo der Doktor wohnt und bring ihn schnell mit!“

      Bei dem Worte Doktor schien Nazl seine Besinnung wieder erlangt zu haben. Mißtrauisch betrachtete er das Kind, das fahl im Gesicht, sich in Krämpfen wand. „Hat’s am End’ die Cholera?“

      „Nein!“ schrie Maria, obwohl er das ausgesprochen hatte, was sie befürchtete. Der Knecht war mit einem Satz aus dem Zimmer. Unten im Hofe machte er plötzlich kehrt, holte sich seinen Rock aus der Futterkammer und rannte in tollen Sprüngen davon.

      Maria und das fremde Mädchen warteten. Unerträgliche Schwüle lag über der Gegend und die Grillen zirpten im verbrannten Gras. Die beiden Fenster nach der Straße standen weit offen. Vor dem einen, in der schmalen Kammer, lag Sepp ruhig schlummernd in einem Wäschekorb, den ihm das fremde Mädchen mit Kissen zurecht gemacht hatte. Aber der ältere Bub jammerte über Kälte und warf sich in seinem Bettchen hin und her. Da holte ihn Maria, der eine bange Ahnung aufdämmerte, zu sich und Mena in die angrenzende Stube.

      Ein Talglicht schimmerte in der unbewegten Luft. Auf den Ehebetten lagen die beiden kranken Kinder. Maria hatte in einer Pfanne Räucherwerk angezündet. Sie wähnte, damit die Krankheit vertreiben zu können. Der leichte Qualm benahm ihr aber plötzlich den Atem und sie stürzte längsnach hin.

      Das fremde Mädchen kam erschrocken aus der Kammer hereingelaufen, holte Wasser und wusch das Gesicht der ohnmächtigen Frau. Endlich bewegte sie die Lippen.

      „Wer sind Sie?“ frug Maria benommen. Das Mädchen vermied es aufzublicken.

      „Ein Findelkind.“

      „Ich meine ... wie du heißt?“

      „Agnes.“

      „Agnes ... mir ist so bang ... möchtest du das Vaterunser beten?“

      „Freilich. Und auch den Glauben.“

      Das Mädchen kniete vor dem Licht nieder, das die dürftigen Schultern und mageren Arme der Betenden mit schmerzlicher Klarheit umgab.

      Maria richtete sich mühsam vom Boden auf. „Wie lange bin ich da gelegen?“ frug sie. „Ist der Knecht schon zurück?“

      „Vielleicht kommt er nimmer ...“ „Himmlischer Vater! ... Die Mena!“ rief Maria, hob das Kind aus dem Bette und trug es ans Fenster. Die Händchen, die sich ans Brusttuch der Mutter anklammerten, schimmerten bläulich.

      „Lauf zum Doktor, Agnes!“

      „Wollt Ihr denn ganz allein bleiben?“

      „Lauf, lauf!“

      Agnes sprang die Gartenstufen zur Straße hinab. Sie lief in ihrer blinden Angst einem Vorübergehenden in die Flanke. Er richtete sie auf: „Hast du dir weh getan, Kind?“ „Küß die Hand, Hochwürden“ ... stotterte Agnes, vor dem geistlichen Kleid in Ehrfurcht knixend.

      „Nicht Hochwürden ... nur Priesterstudent, Carlo Casalanza“, lächelte der junge Theologe und wehrte den Handkuß des Mädchens ab. „Wohin willst du so spät?“ „Zum Doktor. Dort oben ist eine kranke Frau allein mit zwei kranken Kindern und niemand hilft ...“ Agnes schwang die Arme hoch und rannte, rannte was sie konnte. Eine Weile klang das Aufschlagen ihrer nackten Füße auf der einsamen Landstraße zurück. Casalanza schaute zu den zwei Fenstern empor, die weit aufgerissen, einen schwachen Lichtschein aussandten, der wie ein Hilferuf zu ihm drang. Das Gartentor stand offen, die Haustüre leistete keinen Widerstand. Er trat ein und dämpfte seinen Schritt, so gut er konnte. Maria hörte ihn nicht. Sie lag neben der kleinen sterbenden Mena und erkannte, daß sie selbst von der Seuche ergriffen worden war. Aber mehr noch als die Angst, quälte sie das Heimweh, die Sehnsucht. Nur nicht hier sterben ... Wenn sie noch fort könnte! Fort aus diesem Hause! ... Sie denkt angestrengt nach, es ist so schwer ... die Gedanken fließen ineinander ... ja ... Extrapost bis Wiener Neustadt ... Dort wird sie mit Mathias zusammentreffen ... dann fährt sie mit den eigenen Pferden weiter ... durch Steiermark ... Kärnten ... über die Tiroler Grenze ... endlich!

      Sie sitzt mit Vater und Mutter auf der Hausbank. Der Vater raucht aus der alten, zerkauten Pfeife. Die Mutter hat Larchlinge aus dem Wald heimgebracht und reinigt die rötlich gelben Pilze von der Erde und den Tannennadeln. Kühler Moosduft entströmt ihnen. Maria atmet ihn tief ein. Daheim! ... Jetzt stellt der Vater eine Halbliterflasche roten Magdalener auf den Tisch. „Den trink, der macht dich gesund!“ sagt er. Die Mutter schüttelt ihre Schürze aus. „I geh jetzt Mues kochen“, spricht sie. „Wo hascht denn die Kinder?“ — „Jesus! Die Kinder!“ schreit Maria, aus tiefem Traum auffahrend. „Wo ist die Mena? Was ist mit dem Hansel geschehn?“

      Die Kinder sind fort. Sie liegt ganz allein in der Stube. Aber nein! ... dort steht jemand am Fenster ... wendet sich um ... Ein junger Student der Theologie tritt behutsam an ihr Bett. „Die Kinder ..., sagt er und seine Stimme klingt klar wie Glas, — eine unbewegte und doch wohltönende Stimme — „die beiden Kinder sind im

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