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den Bambino. Er ist gesund. Ich werde Ihr Bett an das Fenster rücken.“

      Maria schaut ... alle Sehnsucht ist in ihren Augen: dort unten in der Stalltüre steht Agnes mit Seppele auf dem Arm und winkt herüber. „Er ist ganz munter, nicht wahr?“ fährt Casalanza fort. „Aber der Arzt hat verboten, daß er hier im Hause bleibe, solange Sie krank sind.“

      „Und Sie haben keine Furcht vor der Krankheit?“ fragt Maria leise und zieht mit einer schamhaften Bewegung ein grünes Tüchlein um ihre Schultern, aber es gleitet wieder herab und ihre feuchte, zitternde Hand tastet in der Richtung der Kommode, auf welcher eine silberne Nadel liegt, mit der sie das Tuch befestigen will. Der junge Theologe errät ihren Wunsch und will ihr die Nadel reichen, doch plötzlich werden seine Augen größer, der ganze Mensch ist verändert, seine Stimme klingt rauh und brüchig. „Woher haben Sie das?“

      Maria erinnert sich schwer ..., war es wirklich erst gestern ..., oder vorgestern? Ja, eine wunderschöne Dame hat ihr die Nadel geschenkt.

      „Teresa Casalanza“, sagt der Student. „Es ist ihr Wappen.“ Er wendet die Nadel hin und her. „Teresa Casalanza ist ihr Mädchenname ... unsere Väter waren Brüder ...“

      „Wollen Sie die Nadel behalten?“ fragt Maria. „Ich werde ja doch sterben. Jetzt erinnere ich mich auch, daß Sie heute Nacht den Herrn Pfarrer zu mir geführt haben und daß ich gebeichtet habe ... Bitte, nehmen Sie nur die Nadel. Meine armen Kinder sind tot. Man hat sie mir fortgenommen. Man wird auch mich forttragen.“

      „Sie müssen leben, Frau. Sie haben noch ein Kind. Sehen Sie hinab! Es winkt Ihnen mit Blumen im Händchen.“

      Maria richtete sich mühsam auf. „Blumen ..., so schöne Blumen! Heilige Jungfrau ..., er kann sie mir nicht geben ..., ich werde ihn nie mehr küssen, meinen Buben, meinen Seppele! Er wird seine Mutter nicht kennen ...“

      Casalanza ist schon im Hofe unten. Er macht Agnes allerhand Zeichen. Sie versteht ihn endlich, legt den kleinen Blumenstrauß auf den Brunnenrand und tritt rasch zurück. Casalanza nimmt die Blumen — es sind Zyklamen mit einigen Büscheln Immergrün — und tritt mit dem stark duftenden Strauß an Marias Bett. Sie röchelt leise. Ihre Finger greifen unbewußt nach den Blumen und schließen sich über den Stielen krampfhaft fest zusammen. Eben kommt der Arzt, ein alter Mann mit dunklen Handschuhen, und verbreitet im Hause einen scharfen Medikamentengeruch. Er betrachtet Maria, deren Gesicht sich verfärbt hat und die jetzt ganz still daliegt, wie eingeschlafen. Der Arzt kennt diesen Schlaf und macht gegen den Theologen eine gewissermaßen auslöschende Bewegung. „Es ist heute schon der dritte Fall mit letalem Ausgang“, sagt er und nimmt schnell eine Prise. „Ich werde die Leichenträger schicken.“

      Um die Abenddämmerung kommen zwei Männer mit dem Karren. Zu dieser Zeit haucht der Föhrenwald seinen kühlen Atem ins Tal hinab. Die Rosenstöcke im Garten leuchten mit blaßroten und gelben Kelchen, wie sanfte Lichter am Rande eines dunklen Weges. Die Tote wird auf einer Bahre herabgetragen, die mit einem abgenützten, schwarzen Tuch notdürftig bedeckt ist. Marias rechte Hand ist sichtbar und hält das Sträußchen Alpenblumen noch fest. Sie nimmt es mit auf ihre Fahrt in die Kalkgrube.

      Casalanza begleitet die Bahre bis zum Karren, dann schwenkt er nach links ab. Ein unbestimmtes Gefühl zwingt ihn aber, noch einmal den Blick zu den zwei offenen Fenstern emporzuheben, die jetzt dunkel, leer und trostlos auf ihn niederschauen.

      In seiner jungen Seele aufgewühlt, schreitet er mächtig aus. Die Nacht bricht herein, als er an einen Teich gelangt, der völlig einsam hinter Binsengräsern verborgen liegt. Carlo Casalanza nimmt seinen Ranzen von den Schultern, trägt Zweige zusammen, macht mit Feuerstein und Zunder ein Feuer an und wirft seine Kleider in die Flammen. Es ist ihm dabei traurig und doch befreit zu Mute, als hätte er mit der Vergangenheit ein Ende gemacht. Er steht einen Augenblick nackt im hervorbrechenden Mondlicht. Dann springt er mit einem jubelnden Schrei in das Wasser, schwimmt kreuz und quer, schreckt die Ufervögel auf, wirft sich auf die Seite und jauchzt zum klaren Nachthimmel empor.

      Leben! Leben! ... Teresa Casalanza! Deinethalben wollte ich der Welt entsagen. Aber du lebst ja, du lebst in der Welt und die sollte ich fliehen? Teresa, wir sind beide jung und ich werde dich wiedersehen! Das Schicksal hat mir die Nadel in die Hände gespielt, die Nadel, die du an deinem Kleide getragen hast, Teresa Casalanza, du Traum, du Sehnsucht!

      Er steht im Schilf und streift reine Wäsche über, die er aus dem Ranzen genommen hat. Da ist auch der alte Zivilanzug. Schon ein wenig eng geworden. Er trug ihn zum erstenmal auf einem Weinlesefest in den Vignen seines Oheims, im Trentino. Seine Kusine Teresa feierte ihren fünfzehnten Geburtstag und er liebte sie ... Teresa Casalanza!

      Die Bäume rauschen auf. Der Wind hat sich gedreht und die Grillen sind verstummt, weil ein kühler Hauch über die Gräser streicht. Casalanza fröstelt es mit einemmal. Wohin hat er gewollt?... Wie lange hat er sich hier verspätet? Mechanisch geht er den Weg zurück, den er gekommen ist. Er geht, wie unter einem Joch.

      Um nicht wieder an dem einsamen Hause vorbei zu müssen, macht er einen Bogen um die Wiesen zum Gasthof. Er hat aber schon den Postwagen versäumt und muß zu Fuß weiter wandern. Viele Herbergen stehen an der Landstraße, doch er wandert die ganze Nacht.

      Die Sonne geht über einer Gegend auf, die ihm fremd ist. Im nüchternen Lichte des Morgens schwinden alle Träume und nichts bleibt in seiner Seele zurück, als eine bittere, schamvolle Selbstanklage.

      Er steht am Ziel und pocht an das Tor des adeligen Knabenkonviktes, in welchem ihm durch die Vermittlung eines hohen Gönners, die Stelle eines Magisters der italienischen Sprache anvertraut werden soll. Er atmet tief ein. Sein Herz schlägt hart, schwer, fast schmerzhaft in seiner Brust. Das Tor geht langsam auf und schließt sich hinter ihm ...

      An jenem Morgen kehrte Matthias Knöll aus dem westlichen Ungarn, wohin er die Reisenden gefahren hatte, nach Mödling heim und fand Agnes mit Seppele im Stalle schlafend vor. Nachdem er das Mädchen am Arme wachgerüttelt hatte, gab ihm dasselbe noch ganz benommen und unverständliche Worte stotternd, den Schlüssel zu seinem Hause. Er kam aber gleich wieder aus demselben zurück und schrie Agnes wütend an: was da vorgegangen sei und wo sich seine Frau befände?

      ‚Die Frau ist gestern begraben worden.“

      „Und die Kinder?“

      „Auch die Kinder.“

      Matthias schob Agnes zur Seite, band das Sattelpferd los und trabte davon. Weit draußen, zwischen Gaaden und Heiligenkreuz machte er vor einem Wirtshause halt, verlangte zu trinken und trank so lange, bis ihm der Wirt den Wein verweigerte. Sodann stieg er wieder zu Pferd und jagte im Galopp über die Straßen, Hecken und Wiesen zurück. Wüste Reden murmelnd, führte er den Eisenschimmel zum Handpferd in den Stall und fiel dort zwischen den beiden Gäulen wie ein Klotz zu Boden. Erst am Mittag kam er wieder zu sich, lud das Kind und Agnes auf seinen Wagen auf und fuhr mit ihnen nach Wien.

      Das verlassene Haus — das Haus der Sehnsucht — ist sodann viele Jahre leer gestanden.

      II.

      Vor dem Winzerhause von Szent Györgyvár wimmelte eine Schar junger Küchlein um die alte Glucke. Kleinen Bällchen gleich überkugelten sie sich, stießen aneinander und plusterten sich auf, als hätten sie das lange geübt und waren doch erst vorige Woche aus dem Ei gekrochen. Alle hatten braun gesprenkelte Federn, bis auf ein einziges, das über und über goldgelb, in der Sonne förmlich leuchtete. Plötzlich gackerte die Henne laut warnend. Das Vierergespann der Gutsherrschaft kam drüben auf der Landstraße vorgefahren.

      Eine ältliche Bonne stieg aus, die mit unendlicher Vorsicht — die jungen Pferde standen ja niemals völlig ruhig — einen etwa neunjährigen Knaben aus dem Wagen heben wollte. Er stieß ihr aber den Ellbogen ins Gesicht und sprang mit einem Satz auf den Boden.

      „Er ist couragiert, der kleine, gnädige Herr Baron“, sagte der hagere Winzer mit einem verlegenen, meckernden Lachen. Die Winzerin trat hinzu, barfuß, breithüftig, einen schweren Obstkorb tragend. „Ich küsse die Hände, Euere Gnaden, Herr Baron! Schöne reife Kirschen gefällig? Belieben zu kosten, bitte!“

      Der

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