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der du gestern ein Bein gestellt hast, um Verzeihung bitten! Eine arme, kranke Frau. Schäme dich!“

      Der junge Missetäter ballte die Fäuste, doch er wagte keine Erwiderung. Einige Minuten später saß er manierlich neben seiner Tante im Wagen, und nach kurzer Fahrt hielt derselbe in einer Seitengasse vor dem ärmlichen Hause des Cymbalspielers Bálint.

      Die Baronin hatte zwei lebende Hühner und einige Flaschen Wein mitgebracht. Falco mußte ein Glas mit eingemachten Früchten tragen. Er kniff die Lippen zusammen, als er den düsteren, mit Ziegeln gepflasterten Hausflur betrat.

      Der Zigeuner erhob sich beim Anblick der Besucher, schwer und langsam wie ein Mensch, der eine Last auf den Schultern trägt. Teresa ging gleich auf die Wiege zu, welche scheinbar eiligst herbeigeschafft, noch staubig und voller Spinnweben, das Neugeborene aufgenommen hatte. „Da kann ich ja schon Glück wünschen! Ist es ein Mädchen?“ fragte sie.

      Der Mann nickte schweigend.

      „Was haben Sie, Bálint?“

      „Meine Frau ist fast daran gestorben.“

      „Santa Madonna! Wie geht es ihr jetzt?“

      „Sie fiebert. Wenn ihr Gott nicht hilft ...“

      „Ich will zu ihr ... Falco, du bleibst dort stehen. Und rühre die Wiege nicht an! Wenn dieses Kind eine traurige Jugend hätte, so wäre es durch deine Schuld!“

      Falco war über den ungemein strengen Ton, den seine Tante anschlug, etwas verblüfft. Immerhin war er froh, daß er nicht zu der kranken Frau hineingehen und Abbitte leisten mußte.

      „Wie heißt das Kind?“ fragte er behutsam.

      „Es wird Rozsinka heißen“, antwortete Bálint. „Wir hatten es erst im Sommer erwartet. Nun blüht’s schon im Mai.“

      „Nicht Rozsinka“, widersprach der Knabe. „Nennt es lieber italienisch: Fiorenza!“

      Die Türe schloß sich hinter der Baronin und dem Zigeuner. Falco konnte der Versuchung nicht widerstehen, sich der Wiege zu nähern. Da war etwas Interessanteres als die Kücken, die man zerdrückte und wegwarf. Scheu tippte er an des Kindes winziger Faust, die sich wie ein Rosenkelch öffnete und über seinen Zeigefinger wieder schloß. Nun wagte er nicht, sich zu bewegen, „Fiorenza ..., Fiore ...“, sprach er in singendem Ton.

      Nach einer Weile kam die Baronin mit einem ernsten Gesicht zurück. „Ich werde gleich meinen Arzt schicken“, sprach sie, „und wenn es nötig ist, werde ich mich um eine Amme kümmern.“

      Da trat Bernhard, der älteste Sohn Bálints, in die Stube: „Vater, ich brauch’ eine Geige ...“, sagte er und stockte, als er Falcos ansichtig wurde. Dieser musterte den Zigeunerknaben mit feindlichen Blicken, und weil er ihm doch eigentlich nichts anhaben konnte, gab er wenigstens der Wiege einen Stoß, daß sie hoch hinauf schnellte. Die Baronin faßte ihn mit festem Zugriff am Arm. Bernhard zog sich eingeschüchtert in die dunkelste Ecke zurück.

      „Komm näher!“ ermunterte ihn die Baronin.

      „Seit wann spielst du Geige?“

      „Küß die Hand, Euer Gnaden. Bitte, ich hab immer gespielt. Aber die Malacz-Banda nimmt mich nicht auf, weil meine Violin’ zu schlecht ist.“

      „Malacz-Banda? Ein malacz ist doch ein Ferkel.“

      „Jawohl. Zu dienen. Die alten Zigeuner, die in den Herrschaftshäusern und im Hotel Krone spielen, haben die jungen Zigeuner ‚Ferkel-Banda‘ geschimpft.“

      „Ich wollte die Zigeuner heute zu mir bestellen, weil ich abends Gäste erwarte ...“, sagte die Baronin zögernd.

      „Bitte, die alte Banda ist heute nach Gelse gegangen, zu einer Bauernhochzeit. Soll man sie zurückrufen?“

      „Keinesfalls. Eine Hochzeit ist etwas Wichtiges“, lächelte Teresa, „und dein Vater ist nicht mitgegangen?“

      Der Cymbalist zuckte die Achseln. „Heut soll ein anderer spielen.“

      „Wenn Euer Gnaden sich einmal die jungen Zigeuner anhören wollten ...“, meinte Bernhard schüchtern.

      „Vielleicht. Aber glaubst du nicht, daß du noch zu jung bist, um nächtelang aufzuspielen?“

      „O nein, küß die Hände. Ich bin doch schon zwölf Jahre vorüber und wenn ich eine ordentliche Violin’ hätt’, könnt’ ich etwas verdienen.“

      Teresa betrachtete freundlich das ernste Knabengesicht mit der mächtig gewölbten Stirn und dem festen Kinn. „Auf deine Empfehlung hin will ich es mit den ‚Ferkel-Zigeunern‘ versuchen! Sie sollen heut Abend zu mir kommen. Und du auch. Vielleicht kann dir mein Sohn eine Geige leihen ...“

      Die Baronin reichte dem Vater Bálint die Hand zum Abschied. Falco stapfte ohne Gruß hinterdrein.

      Auf dem Heimweg wurde beim Arzt und beim Apotheker angehalten. Es war fast Mittag, als der gelbe Korbwagen in die Einfahrt des Amadé’schen Hauses rollte. Sepp Knöll, der Kellermeister, half Teresa beim Aussteigen. „Der Herr von Kwiecinski ist vor einer Stunde angekommen, Euer Gnaden. Unsere Weinfässer haben vor Schreck gezittert. Müssen wir heut grad den Neunundsechziger anzapfen? Schad’ wär’s um den Wein.“

      „Mache dir nichts draus, Sepp“, lächelte die Baronin, „Herr von Kwiecinski wird ihn nicht allein trinken. Heute Abend wird getanzt.“

      „Das ist gut. Den Herren Offizieren geben wir ihn ja gern.“

      „Du kannst auch ein paar Flaschen Champagner heraufschicken.“

      Ein schönes, hochgewachsenes Mädchen kam die Treppe herauf und umarmte die Baronin: „Du bist ein Engel, Mama! Ich weiß schon, daß du die Zigeuner für heute Abend bestellt hast. Ich habe es eben auf dem Korso erfahren. Die ganze Garnison weiß es schon!“

      „Ich kann nicht die ganze Garnison einladen, Antonietta, aber ich gestatte dir, eine würdige Auswahl zu treffen.“

      „Sei unbesorgt, Mama! Die schönsten Offiziere des Regimentes werden abends antreten.“

      „Du meinst wohl der Schönste?“ neckte Teresa und küßte die Errötende zärtlich.

      „Onkel Kasimir ist angekommen“, sagte Antonietta, verlegen ablenkend.

      „Jawohl, Knöll hat es mir gerade vorhin gemeldet.“

      „Serviteur! Serviteur!“ krähte die hohe Stimme des Mannes, von welchem eben die Rede war. „Meine charmante Nichte habe ich schon begrüßt. Kompliment! A la bonheur! Und meiner adorierten Schwägerin habe ich den Vorzug, jetzt endlich die Hände küssen zu dürfen. Sie sehen brillant aus, Teresa! Imposante Gestalt! Immer noch gefährlich schön! Ces yeux! Diese feurigen Augen! ... Ich komme heute à la fortune du pot, teuerste Teresa!“

      „Machen Sie mich nicht eitel und danken Sie dem Himmel, Kasimir, denn er meint es gut mit Ihnen: Wir haben gestern Schweine geschlachtet.“

      „Ich bin, ma foi, au ciel! Aber Ihre Backhühner, teuerste Schwägerin, Ihre Backhühner, auf die ich mich gefreut, von denen ich geträumt habe! Quel delice!“

      „Keine Sorge, Kasimir! Für Backhühner ist vorgesehen.“

      „Magnifique! Doch unter der Bedingung, teure Schwägerin, daß ich bei Tische neben Ihnen sitzen darf, denn Sie essen wenig. Die andern nehmen sich vor mir die besten Stücke aus der Schüssel. Besonders Ihr cher fils Béla. Eine delikate Fasanenbrust, auf die ich gespitzt hatte, schnappte er mir einmal vor der Nase weg, bevor ich: attention! sagen konnte.“

      „Sie werden diesesmal zu Ihrem Rechte kommen! Aber wollen wir nicht Stasia aufsuchen?“

      „Stasia? Ich habe meine chère soeur Stasia vorhin schon gesehen. Sie komponierte gerade eine Musikpièce und war nervös. Ha, da kommt ja mon cher neveu Falco! Warum grüßt er nicht seinen guten Onkel Kasimir? He? Ist er vielleicht auch schon nervös? He?“

      „Nein. Nur etwas

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