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Bahndamm und schüttelte Don Carlo die Hand. „Ich bin dir sehr dankbar, caro cugino, daß du meinen Sohn in deinen Schutz nimmst. Ich werde euch am nächsten Sonntag im Konvikt besuchen. Sei artig, Falco!“ Der Knabe hatte sich aber, weil er Bernhard den Platz nicht gönnte, der Länge nach auf den rotsamtenen Sitzen ausgestreckt und stellte sich schlafend. Einige Minuten später, als sich der Zug in Bewegung gesetzt hatte, schlief er wirklich.

      Bernhard saß am Fenster und spähte in die mondhelle Nacht hinaus. Links von der Bahnstraße schimmerten die Grabsteine des Friedhofes, auf welchen man seine Mutter bestattet hatte. Ach, wie kurz war der Blick, den er dorthin senden konnte! Pappelalleen glitten jetzt vorüber, weite Äcker und dazwischen ärmliche Dörfer, deren niedere Strohdächer sich um die Kirche kauerten. Hundegebell scholl aus einem Park. Zwischen alten Bäumen stand ein Kastell, breit, mächtig, mit gedrungenen Ecktürmen. Geigentöne ... Zigeunermusik.

      Die Räder des Zuges gingen langsamer. Eine Haltestelle. Dahinter Pferdegetrappel. Auf einem Jagdwagen saß ein junger Kutscher in Nationaltracht und wartete auf die Gäste seiner Gutsherrschaft. Weiter ... Von den Saatfeldern kam ein lauer Wind, durchtränkt von Duft der Akazienblüte. Heimat ... Mutter ... empfand Bernhard und jetzt rannen die lange verhaltenen Tränen über sein Gesicht.

      Don Carlo, der in der anderen Fensterecke scheinbar in ein Buch vertieft war, beobachtete ihn längst.

      „Strecke dich aus und schlafe jetzt“, befahl er ihm.

      „Ich küsse die Hand, ich will Euer Hochwürden nicht belästigen. Ich könnte auch nicht schlafen.“ „So bete. Wenn man nicht schlafen kann, tut Beten Not.“

      Als es über den östlichen Himmel zu dämmern begann, hielt der Zug in Ödenburg. Offiziere stiegen säbelklirrend in das Nebencoupé, das ihnen der Schaffner für das übliche Trinkgeld geöffnet hatte. Sie lachten und plauderten so übermütig laut, daß Don Carlo fast jedes Wort durch die Wand des Abteils hörte ... Sie kommen vom Wein und von den Frauen — dachte er — aber wenn sie vor dem Feinde stünden, wüßten sie so ritterlich zu sterben, wie für die Augen einer schönen Frau. Irdisch, allzu irdisch ... und doch mit einem hohen Flug der Seele, die das letzte, größte Opfer zu bringen bereit ist.

      Ob die Hingabe des körperlichen Daseins aber das größte Opfer bedeutet? Nur für jene, die kein anderes Leben kennen ...

      Wieder klang herzhaftes Gelächter herüber. Don Carlo schaute nach seinen beiden Schutzbefohlenen. Falco schlief mit offenem Munde. Auch Bernhard war eingeschlafen. Da der Morgen kalt war, breitete der Geistliche einen Reiseshawl über seinen Neffen und deckte Bernhard mit seinem Mantel zu. Wie friedlich sie schlummern, dachte er, aber werden sie in ihrem Erdenwallen auf jene Höhen gelangen, wo der wahre Friede wohnt, der jenen verheißen ist, die guten Willens sind?

      IV.

      Fiorenza Bálint war fünf Jahre alt, als sie sich zum ersten Mal einer unendlichen Seligkeit bewußt wurde. Sie war ihrer zeitweiligen Hüterin, der guten, aber sehr ängstlichen Agnes entlaufen. Den Flügelschlag eines Vogels mit den Armen nachahmend, war das Kind einen Gartenpfad hinaufgeeilt, durch die Gattertür geschlüpft und befand sich in einem abgesonderten Gemüsegärtchen, das von Bohnenranken umfriedet, ein sicheres Versteck bot. Hier wuchsen zwischen Salatbeeten und Krautköpfen braungoldene Levkojen, da duftete es nach Verbenen und Basilikum und da lag Fiorenza’s eigenes Blumenbeet, das sie mit Onkel Sepp’s Hilfe bepflanzt hatte. Eben auf diesem Beete war eine Geraniendolde aufgeblüht. Brennende Liebe heißt diese Pflanze im Volksmund. Das Kind kniete vor dem purpurroten Blütenwunder. Zwei Falter spielten um die Kelche, setzten sich für einen Augenblick mit bebenden Flügeln auf die Kinderhand und entschwebten dann in das Gezweig eines alten Apfelbaumes. Fiorenza kletterte mühelos den etwas schief gewachsenen Stamm empor bis zu einer Gabelung, die einen prächtigen Hochsitz bot.

      Ein Glücksgefühl ohnegleichen durchströmte sie. Den Kopf zurückbiegend, ließ sie sich die warme Sonne durch die geschlossenen Lider scheinen. Losgelöst von der Erde hing sie in den Ästen und hatte das Gefühl des Fliegenkönnens, wie es in Träumen vorkommt.

      Da sah Fiorenza zwei Kinder zwischen den Gemüsebeeten langsam auf und abgehen. Ein Mädchen mit kleinen, festgeflochtenen Zöpfen, das einen jüngeren Knaben an der Hand führte. Fiorenza winkte ihnen näher zu treten und die Kinder blieben stehen. „Kommt zu mir!“ rief sie, „wir wollen spielen!“

      Hörten sie nicht? Wie hinter einer gläsernen Wand standen sie und schauten mit großen, scheuen Augen herüber.

      „Schön ist es hier oben!“ lockte Fiorenza. Da kam das kleine Mädchen zögernd heran, lächelte und schlang die Ärmchen um den Baum. Fiorenza beugte sich nieder: „Wie heißt du?“ Das Kind blieb aber stumm. Mit langgezogenem Heulen stieß ein Neufundländer die Gattertüre auf, kroch winselnd unter den Apfelbaum und beruhigte sich erst, als Fiorenza herabstieg und ihn am Halsband faßte. Er drängte sie aus dem Gemüsegarten hinaus. Am Pförtchen wendete sie sich aber nach den Kindern um. Hatte Tell, der Hund, sie verscheucht? Sie waren fort.

      Der Neufundländer zog und zerrte Fiorenza bis an das Landhaus hinab, legte sich dort in Hütstellung nieder und knurrte dumpf weiter. Fiorenza hatte sich auch ins Gras geworfen und begann, sich mit ihm zu balgen. Er stemmte die großen Pfoten gegen ihr weißes Kleid und fuhr mit der Zunge über ihr Gesicht. Da griff sie ihm ins Maul. Ganz zart hielt er ihr Händchen fest.

      „Tell!“ Der Hund sprang auf. Sepp Knöll, sein Herr, hatte ihn gerufen.

      „Fiore! Wenn Agnes die Grasflecke auf deinem Kleide sieht! Und zerrissen ist es auch!“

      „Vom Baumkraxeln“, gab Fiore zu. „Ich habe so schnell herunterspringen müssen. Tell hat die Kinder bös angebellt.“

      „Welche Kinder? Wo?“

      „Oben, bei den Stangenbohnen, Onkel Sepp. Ein Bub wars und ein Mädel.“

      „Ich bin die ganze Zeit hier im Garten gewesen und habe keine Kinder hereinkommen sehen. Sie hätten an mir vorbeigehen müssen.“

      „Onkel Sepp, mein Beet blüht schon. Das kleine Mädchen hat es auch gesehen.“

      Mit einigen Sätzen war Sepp im Gemüsegarten. Ebenso schnell kam er zurück. „Ja, es fängt zu blühen an. Aber Kinder sind keine oben. Du mußt dich getäuscht haben.“

      Fiore schloß den Mund, er wurde ganz schmal. Ihre dunklen Augen schauten Sepp vorwurfsvoll an.

      Agnes, die Haushälterin, kam aus der Plättkammer. „Da bist du ja endlich, Fiorerl! Komm, ich zieh’ dir ein reines Kleidl an!“ sagte sie gutmütig.

      „Nein, bitte nicht“, wehrte sich die Kleine.

      „Kleide sie nur um, Agnes“, befahl Sepp. Die Gäste werden bald kommen. Ich muß noch Rosen für den Tisch abschneiden. Hast du um einen weißen Wecken nach Mödling geschickt. Baron Claudio ißt kein Schwarzbrot.“

      ‚Hab selbst gebacken“, sagte Agnes.

      Fiore ließ sich von ihr ins Haus führen. Da wohnte sie bei Agnes und Sepp, im Erdgeschoß. Links vom Flur, im Eßzimmer standen hochgepolsterte, mit grünen Rips überzogene Stühle und ein ebensolches Sofa mit Fransen und weißen Porzellannägeln. Auf der Kommode, deren Laden immer nach Lavendel und Lebkuchen rochen, war zwischen Wachsstöcken und Blumenvasen eine schöne Weihnachtskrippe aufgestellt. Fiore verehrte diese holdselige Jungfrau Maria mit dem Jesuskindlein, vor dem sich die drei heiligen Könige neigten. Von Agnes hatte die Kleine das Vaterunser und das Ave beten gelernt. Jeden Abend, vor dem Schlafengehen, knieten sie hier andächtig beim Scheine eines Wachslichtes, und draußen rauschten die Ulmen wie in alter Zeit. Wenn es dann Fiore in ihrem Hemdchen fröstelte, trug Agnes sie zu sich in die Kammer und legte sie in das kleine weiße Bett, das die junge Baronin Lambrecht für ihr Patenkind mitgebracht hatte. Am besten gefiel es aber Fiore in Sepp’s Stube, bei seinen Vogelkäfigen, in welchen er Kanarien züchtete. An den Fenstern blühten Hängenelken, alte Epheustöcke füllten die tiefen Fensternischen mit ihrem freundlichen Grün. Werke über Pflanzenkunde und Gartenkunst lagen auf dem Tisch. Ansichten von Bozen mit dem Rosengarten, von den Burgen Siegmundskron und Runkelstein

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