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Geschwister. Im Hintergrund des Bildes schimmerten in bleichem Purpurlicht die Vajoletttürme.

      „Der Vater ließ die Mutter in Wien malen“, hatte Onkel Sepp erzählt, „aber sie saß dem Künstler nur unter der Bedingung, daß er eine Tiroler Landschaft dazu male. Und das tat er. Wenn du größer bist, Fiore, nehme ich dich einmal nach Tirol mit.

      Wenn sie größer sein würde! Die Großen haben es so gut! Sie machen sich keine Grasflecke in die Kleider, haben immer reine Hände und müssen sich nicht das Haar in Rädchen aus Draht eindrehen lassen, auf denen man recht schlecht liegt in der Nacht — dachte Fiore, während ihr Agnes mit einem runden Lockenholz und einer Bürste die dunkelblonden Strähne so lange bearbeitete, bis sie wieder in gleichmäßigen Ringeln um ihr Gesicht lagen.

      „Wie schön ist das Kind!“ sagten oft auf der Straße fremde Menschen.

      Das hörte Fiore wohl gern, jedoch das Fragen und Flüstern um sie war ihr lästig. Ebenso lästig empfand sie es, wenn sie den Gästen der Baronin vorsingen oder französische Verse deklamieren mußte. Die Leute nannten sie dann scherzend: „Die kleine Adelina Patti“ oder „die Wolter“. Nur vor ihrem Bruder Bernhard sang sie gern. Er griff ein paar Akkorde auf dem Klavier und sie schwebte auf einem Strom von Wohlklang sicher und geborgen mit ihm dahin. Manchmal brachte er seine Geige und spielte dann für sie ganz allein. Er war ihr Vorbild, dieser große Bruder. Wenn er ihr bloß gestattet hätte, auf seiner Geige zu spielen! Aber stets sagte er: „Du bist noch zu klein“. — Was tut man, um schnell zu wachsen?

      „Ein schwaches, zartes Kind“, hörte sie immer die Erwachsenen sagen, und dann tuschelten sie wieder Geheimes.

      Damit sie sich kräftige, hatte Baron Lambrecht einen Turnplatz im Garten errichten lassen. Das Hängen in den Ringen oder auf dem Trapez machte ihr aber keine Freude. Zum Klettern waren doch die Bäume da. Manchmal kam der Arzt, Doktor Schwarz, ein kleiner Mann mit einem langen, weißen Bart. Der nannte Fiore zärtlich sein „Blümchen“ verordnete ihr Lebertran und ein Eisenpräparat, das sie durch ein Glasröhrchen trinken sollte. Der Arzt ahnte nicht, daß Agnes die von ihm vorgeschriebene „Medizin“ wegschüttete. Die alte Jungfer schwor nur auf Kamillentee, warme Biersuppe oder einen Ölfleck. Mit diesen Mitteln war sie immer gut ausgekommen. Sie hatte ja Sepp aufgezogen und was war das für ein Kerl geworden! Nach ihrer Ansicht plagte man auch Fiore viel zu früh mit dem französisch Parlieren. Alle Leute sagten doch ohnehin, daß das kleine Mädchen ungewöhnlich klug sei, ein wahres Wunderkind! Wozu also wollte Baron Lambrecht einem armen Ding von fünf Jahren schon das Einmaleins und das A B C eintrichtern? Was verstand er überhaupt von Kindern? Er hatte doch keine. Agnes wußte, was es bedeutete, wenn Baronin Antonietta das Gesicht so leidenschaftlich in Fiore’s Locken drückte. Eine Sehnsucht, die stärker war als jedes andere Gefühl, brannte in der Seele der jungen Frau. Doktor Schwarz hatte ihr kürzlich eine Badereise angeraten. Die Baronin war gestern aus dem böhmischen Kurort zurückgekommen und saß mit ihrer Handarbeit im Gartenrondell unter den gelbblühenden Gloire de Dijon-Rosen. Wann würde sich ihr Wunsch erfüllen? ...

      Der Baron empfand die Kinderlosigkeit seiner Ehe nicht so tief. Er hatte viele Interessen: die Rennen, den Dienst, das Avancement und die ihn freudig erregende Aussicht, bald nach Bosnien einzurücken. Seine starke Vitalität verlangte immer nach Bewegung, nach Abwechslung und Antonietta war gezwungen, Gäste einzuladen, um ihn bei guter Laune zu erhalten.

      Jetzt zu den Pfingstfeiertagen, erwartete sie den Besuch ihres Oheims, Baron Claudio Casalanza, der in regelmäßigen Abständen von Trient nach Wien reiste, um seinen Sohn Falco im Konvikt zu besuchen.

      Er war schon am Samstag vor Pfingsten in der Anstalt erschienen, hatte Falco’s vorzeitigen Ausgang erwirkt und die Ankunft mit dem Jungen in der Brühl für Nachmittag gemeldet.

      Das beste Zimmer war bereit gestellt worden. Agnes hatte noch in letzter Stunde die Mullgardinen gewaschen und geplättet. Ein Strauß Dotterblumen und Vergißmeinnicht, Fiore’s Willkommengruß für Falco, stand in einem grünen Glase. Schon öfter war von Falco Casalanza die Rede gewesen. Sie stellte sich ihn als Knaben mit kurzen Höschen vor, als Spielkameraden, und nachdem Agnes mit dem Lockendrehen fertig war, lief das Kind zum Gartentor, um nach dem erwarteten kleinen Freund auszuspähen. Noch niemals war Fiore so ungeduldig gewesen. Endlich hielt ein Fiakerkutscher unten auf der Straße die Pferde an und zog mit einem laut vernehmlichen „Küß die Hand, Herr Graf!‘ vor dem aussteigenden Fahrgast den Hut. Diesem Herrn folgte zu Fiore’s grenzenloser Verwunderung ein großer Junge in blauer Uniform, mit einem Degen an der Seite. Er würdigte aber Fiore keines Blickes.

      Baronin Antonietta lief den Ankömmlingen entgegen. „Du bist ja wieder gewachsen, Falco!“ rief sie und wollte den Jungen umarmen, doch er zog die Schultern hoch und sie frug bloß: „Wie alt bist du eigentlich?“ „Vierzehn Jahre.“

      „Dreizehn“, korrigierte ihn sein Vater. „Er wird erst im August vierzehn.“ — „In sechs Wochen. Das ist ein und dasselbe“, versteifte sich der Knabe. „Falco ist ein Pedant“, erklärte Claudio Casalanza lachend.

      „Ei! Ein Pedant?“ wiederholte Baron Lambrecht, nachdem er Casalanza die Hand geschüttelt hatte. „Ein Pedant? Wieso trägt er aber ganz vorschriftswidrig den Kragen offen?“ Falco’s Wimpern zuckten zweimal sehr rasch in seinem maskenhaften, unbewegten Gesicht. Und mit einer Höflichkeit, die gezwungen schien, sagte er: „Ich bitte um Entschuldigung. Es war sehr heiß in der Bahn“ und schloß eilig die Bluse.

      „Kommt doch in den Schatten“, bat Antonietta und legte ihren weißen, runden Arm um Falco’s Nacken. Dieses Mal widerstrebte er nicht. Das bißchen Zärtlichkeit, sowie der wunderbare Duft, der dem weißen Spitzenärmel entströmte, taten ihm wohl. Mit der jungen Frau Schritt haltend, ließ er sich von ihr vor das Haus, zum gedeckten Tisch führen. Lambrecht geleitete Casalanza in das Fremdenzimmer.

      Fiore hatte sich von der entgegengesetzten Seite des Hauses zu den Rosenbüschen herangeschlichen und bewunderte Falco, dem Antonietta Torte, Krapfen und Mandelgebäck auf den Teller häufte. Schade, daß er schon so groß ist, dachte das Kind. Aber wie schön ist seine Uniform!

      In diesem Augenblick surrte etwas im Busch und Fiore griff schnell zu, denn es war ein Hirschkäfer mit einem mächtigen Geweih.

      Zuerst wollte sie ihn wieder fliegen lassen, weil Sepp ihr geboten hatte, kein Tier seiner Freieheit zu berauben. Aber dann besann sie sich eines anderen. Wenigstens zeigen wollte sie ihren Fang, um den fremden Gast zu beweisen, daß er auch hier etwas zu bewundern gab.

      Antonietta sah den Schimmer von Fiore’s Kleid zwischen den Rosensträuchern und rief: „Komm her, Fiore und gib Falco die Hand!“ Der Junge blickte sehr geringschätzig auf das kleine Mädchen, er wollte aber vor Antonietta seine gute Konvikterziehung zeigen, sprang vom Stuhle auf und bot Fiore die Rechte. Das Kind setzte mit stolzer Freude den Hirschkäfer in seine Hand.

      „Au“, rief Falco und schüttelte sich heftig. „Der kneift!“ — „Tut es weh?“ frug Fiore ganz verzweifelt. Falco schleuderte den Käfer von sich. Dieser kam wieder auf die Beine und kroch langsam über den Gartenkies weiter.

      „Bist du jetzt bös’?“ fragte das Kind traurig. Falco lachte kurz. Fiore bückte sich und hielt dem Käfer einen Finger zwischen die Zangen: „Wenn er dir weh getan hat, soll er mich auch zwicken, damit du nicht bös bist“, und das Kerbtier hing schon an ihrem Händchen.

      Mit einem kleinen Schrei stürzte Antonietta auf ihr Pflegetöchterchen zu und befreite es von dem Käfer. „Was dieses Kind immer für extreme Einfälle hat!“ klagte sie. „Schnell den Finger ins Wasserglas stecken!“ Der Finger blutete ein wenig. Fiore schaute auf Falco und verzog keine Miene.

      „Du bist aber dumm“, sagte Falco, doch der Ton klang nicht unfreundlich. „Jetzt wollen wir den Kerl zur Strafe anbinden.“ Er holte aus seiner Hosentasche Bindfaden, ein Messer, eine Signalpfeife, Nägel und eine Schachtel mit der Aufschrift „Juckpulver“ und weidete sich an Fiore’s Staunen. Da kam Rittmeister Lambrecht mit Casalanza aus dem Hause.

      „Also das ist die Kleine?“ fragte Claudio Casalanza mit einem ernsten Blick auf Fiore.

      „Ja,

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