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mußt immer Rekruten abrichten“, spottete Casalanza. „Hast du diesem entzückenden kleinen Engel vielleicht auch Gewehrgriffe beigebracht, du Kommisknopf?“ — „Sie kann auch anderes, du Zivilist.“ entgegnete Lambrecht, ohne Casalanza’s hochmütiges Achselzucken zu beachten. „Habt acht! Abtreten! Fiore! Wieviel ist dreimal drei?“

      Fiore war aber ins Gras gesprungen und sah zu, wie Falco den Hirschkäfer an den Stamm eines Rosenbäumchens fesselte.

      „Nein, nicht rechnen! Sie soll singen!“ rie Antonietta. „Singe uns das Fischerlied, mein Kind, oder den Carneval von Venedig!“

      „Bist du ein dressierter Pudel?“ frug Falco leise.

      „Ich bin kein dressierter Pudel“, sagte Fiore ganz laut.

      Antonietta schwieg verblüfft. Casalanza lachte. Doch der Rittmeister schrie zornig: „Marsch in dein Zimmer! Du hast Stubenarrest für heute!“

      „Das Kind weiß ja nicht, was es spricht“, legte sich Antonietta ins Mittel.

      „Vorwärts!“ kommandierte Lambrecht unberührt. „Du wirst das A B C abschreiben! und heute gibt’s kein Backwerk!“

      Schluchzend lief Fiore ins Haus.

      „Es wundert mich, daß du nicht Spangen anwendest“, sagte Casalanza ärgerlich.

      Es entstand eine ungemütliche Pause. Antonietta schenkte den Kaffee in die Tassen ein.

      „Mit viel Zucker“, bat Casalanza. Lambrecht trank ihn bitter.

      „Es gibt zwei bestimmte Männertypen“, wandte sich Casalanza an seine Nichte, „und ich glaube, daß dein Mann und ich diese beiden Charaktere vertreten: er schlägt mit dem Säbel und ich fechte mit dem Florett.“

      „Es gibt noch andere Unterschiede zwischen euch Italianissimi und uns Deutschen“, trumpfte Lambrecht auf. — „Ein Deutscher bist du gar nicht“, lachte Casalanza. „Darüber mußt du dir klar werden. Deine Vorfahren haben in Böhmen und Mähren gehaust. Von großmütterlicher Seite hast du bestimmt slawisches Blut in den Adern. So ähnlich, wie mein Sohn Slawenblut von Stasia mitbekommen hat. In unserer Familie häufen sich diese Ehen zwischen Angehörigen verschiedenster Nationen. Meine Schwester Teresa hat den Anfang gemacht, als sie einen Ungarn heiratete. Dann folgte ich mit Stasia und zuletzt nahm unsere Nichte Amelia den vergrämten Witwer, den Hauptmann der Kaiserjäger, Hohenlehen, zum Mann. Ich war aus bestimmten Gründen gegen diese Heirat. Seine erste Frau hat, wie man glaubt, durch Selbstmord geendet. Nun, ich werde meine Nichte jetzt auf der Rückreise in Bozen besuchen. Sie haben dort ein Haus auf dem Obstplatz. Amelia scheint übrigens zufrieden zu sein. Sie ist glückliche Mutter eines dreijährigen Buben. Ich bin neugierig auf das Ergebnis dieser Verbindung. Ich und unser guter Don Carlo werden die letzten, echten römischen Casalanza sein.“

      „Ich bin ein echter Casalanza“, brauste Falco auf. „Ich bin kein Slawe, ich bin Italiener!“

      „Vor allem bist du Österreicher“, rief Lambrecht.

      „Ich meine, daß unsere Kronländer eine große Völkerfamilie darstellen und sich gegenseitig ergänzen und stützen sollen, anstatt gegeneinander zu eifern“, sagte Antonietta besänftigend.

      „Falco ist Österreicher!“ wiederholte der Rittmeister, „und wenn er es bis heute nicht gewußt hat, so wird er es lernen, wenn ich ihn als Einjährig-Freiwilligen in die Hand bekomme, was ich recht sehnlich wünsche!“

      „Daran brauchen wir noch nicht zu denken“, sagte Claudio mit einer weit ausholenden Armbewegung. „Die Casalanza haben übrigens seit jeher weniger Sinn für Militarismus gehabt, als für Diplomatie oder Wissenschaft.“

      „Was die Diplomaten verpfuschen, müssen immer wir Soldaten in Ordnung bringen. Wir sind die Einzigen, die es ehrlich treiben. Der Soldat tut seine Pflicht nicht um Geld ...

      „Ich weiß, er stirbt für vier Kreuzer im Tag“, unterbrach Claudio seinen Neffen, „oder es werden ihm jetzt in Bosnien die Ohren abgeschnitten. Ihr kommt dort unten scheinbar nicht weiter.“

      „Warte nur, bis die Richtigen dort sind!“

      „Willst du damit sagen, daß du einrückst? Du bist doch in der Militärakademie unabkömmlich.“ Lambrecht legte einen Finger auf den Mund. Antonietta hatte aber die Bewegung gesehen und fuhr auf: „Franz! Du hast um Versetzung angesucht!“

      „Na ja. Soll ich’s leugnen? Jetzt weißt du’s. Schon längst habe ich es getan. Du bist doch mit keinem Zivilisten verheiratet. Aber sei ruhig. Ich habe kein Glück und bevor ich einrücken darf, wird der Krieg aus sein.“

      „Du hast mir nichts gesagt, Franz ...“ stammelte Antonietta fassungslos.

      „Willst du dir den Garten ansehen. Falco? fragte Lambrecht. Der Junge begriff. Sie hatten etwas zu reden und er störte. Er stand auf, behielt aber seinen Teller mit Fruchteis in der Hand.

      Er schlenderte zum Vorgarten hinab, wollte sich dort in die Laube setzen, aber plötzlich interessierte ihn das Haus. Komisch, wie es mit der Schmalseite gegen die Straße stand. Zwei Fenster oben, zwei unten im Erdgeschoß. Die beiden unteren waren vergittert und hinter dem einen saß Fiorenza mit verweinten Augen. Er wußte, daß sie durch seine Schuld hier wie eine Gefangene sitzen mußte. Er pfiff leise. Das Kind hatte ihn längst erblickt, zeichnete aber mit verbissener Geduld Buchstaben auf eine Schiefertafel.

      „Heda! Fiore!“ rief er.

      Fiore legte den Griffel weg, kam zum Fenster und faßte das Gitter mit beiden Händen: „Oh, du hast Eis?“

      „Willst du kosten?“

      „Onkel Franz hats verboten.“

      „Backwerk hat er verboten. Eis ist kein Backwerk.“

      Das war, im Ton gewichtiger Autorität gesprochen, für Fiorenza allerdings eine Entscheidung. Aber das enge Fenstergitter trennte sie von dem Teller mit den himbeerroten und aprikosenfarbenen Eisschnitten.

      Falco wußte Rat: „Ich werde dich mit dem Löffel durchs Gitter füttern“, und das tat er, aber bald sagte sie: „Ich kann allein essen, gib mir den Löffel.“ Er mußte bloß den Teller halten, damit er nicht vom Gesimse abglitt.

      „Hast du aber selbst genug gekriegt?“ fragte sie plötzlich.

      „Ich kann nicht weiter“, gestand er. „Ich habe eine halbe Punschtorte aufgegessen und zwei Schlagobersrollen und noch so Verschiedenes. Im Konvikt essen wir kein so süßes Zeug. Das ist nichts für Männer.“

      „Magst du keinen Lebkuchen? Morgen ist hier Kirchweihfest. Die Lebzeltenstandeln sind schon aufgestellt. Und ein Kasperltheater wird es geben und einen Baumkraxler. Der steigt auf eine hohe Stange, ganz hinauf bis zu den bunten Tücherln und Bändern und holt sich die Silbergulden, die dort eingebunden sind.“

      „Das ist nicht schwer. Uns solltest du turnen sehen, im Konvikt! Da würdest du Augen machen!“

      „Ich bitt’ gehorsamst, der junge Herr Baron möcht‘ sich bereit machen. Die Herrschaften wollen spazieren fahren“, meldete der Bursch des Rittmeisters.

      Sofort lief Falco ins Haus, um Kappe und Degen zu holen. Vor dem Gartentor stand der Kutschierwagen. Lambrecht hielt die Zügel. Falco durfte an seiner Seite Platz nehmen. Rückwärts saß Claudio mit Antonietta.

      Fiore, die auf das Fensterbrett geklettert war, sah den Wagen davonfahren. Niemand hatte ihr einen Blick geschenkt. Wenn Onkel Franz sie strafte, war sonst immer die schöne, liebevolle Tante Antonietta zu ihr gekommen und hatte sie gestreichelt und geküßt. Oder Onkel Sepp hatte ein Spielzeug für sie geschnitzt. Auch Agnes, die so rauhe Hände hatte, und einen so sanften Mund, wäre von Trost für das einsame Kind gewesen. Ihre Stimme klang jetzt aus dem Hofe herauf, sie sprach mit der Köchin, während sie am Brunnen Wasser schöpften.

      „Wenn der Baron nach Bosnien einrückt ...“ sagte Agnes. Die übrigen Worte verhallten im Garten. Das Brunnenwasser rieselte und tropfte immer leiser. Die Sonne sank und die Rosen verströmten

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