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des Winzers niederprasselte, enthob sie dieser Sorge.

      „Jesus Maria!“ rief plötzlich die Winzerin, „Sie bluten ja, Fräulein! Ihre Nase blutet!“

      „Wahrhaftig, Falco hat mich beim Aussteigen ein wenig gestoßen.“

      „Sie sind auch im Gesicht zerkratzt. Kommen Sie, ich gebe Ihnen Wasser.“ Und sie führte die Bonne in die Küche, in der es nach saurem Rahm und frischem Brot roch. Das alte Fräulein tauchte ihr Taschentuch in einen irdenen Wasserkrug und seufzte: „Der kleine Baron ist so lebhaft! Er kratzt, wenn man ihm nicht gleich seinen Willen tut. Die Gräfin gestattet ihm alles. Und zu Hause, in Trento, sitzt er bei Tisch obenan, weil er einmal Minister werden soll.“

      Die Winzerin wiegte den Kopf staunend hin und her.

      „Ja“, prahlte die Bonne, „der junge Baron Falco wird einmal sehr reich sein, er erbt nicht bloß die schöne Villa Casalanza bei Trient, sondern auch die großen Weingüter, die sein Vater in Italien besitzt und von seinem Oheim Don Carlo einen Palast in Verona, ganz aus Marmor gebaut!“

      „Hörst du, Katicza? Aus Marmor!“ rief der alte Winzer, wie berauscht von dieser Vorstellung. „So reich ist wohl unsere hiesige Herrschaft nicht, aber eine gute, eine großartig gute Herrschaft haben wir. Wenn mir unsere gnädige Frau Baronin sagt: ‚Pista, du bist ein Esel!‘ so geht mir das Herz auf, denn ich weiß, daß sie es aufrichtig mit mir meint. Und trotzdem sie eine Italienerin ist und keine Ungarin, verehrt man sie wie eine Mutter. Ja, und die Bevölkerung verdankt ihr, daß wir ein ordentliches Spital und sogar einen Kindergarten gekriegt haben. Nun, und wie gefällt es dem Herrn Gast, dem kleinen Herrn Baron, drinnen in Kanizsa, in unserer schönen Stadt?“

      „Sie stinkt nach Stroh und Enten“, erwiderte der Knabe, eine Grimasse schneidend.

      „Na, na!“ fiel da eine Frauenstimme, gutmütig lachend, ein. „Schön braun gebratene Enten wird er aber doch gern schnabulieren, der Bub!“

      Die Bonne wendete sich um wie eine Windfahne, wenn plötzlich eine schärfere Luft weht. Wer hatte da ihren kleinen Baron einfach „Bub“ genannt? Mit einem unendlich geringschätzigen Achselzucken stellte sie fest, daß es die Bálint gewesen war, die Frau des Cymbalspielers der Zigeunerkapelle. Vier Kinder umringten das Weib und ein fünftes schien auf dem Wege zu sein.

      „Bei Ihnen ist es ja wieder einmal so weit?“ sagte die Bonne mit einem mißbilligenden Blick auf den schwangeren Leib der Bálint. „Wozu brauchen arme Leute so viele Kinder?“

      „Das können Sie nicht verstehen, Fräulein“, lächelte Eva Bálint, „denn Sie haben immer bloß für Lohn fremde Kinder gehütet und keine eigenen aufgezogen.“

      Die Bonne wurde rot vor Ärger. Der hohe weiße Kragen schien sie plötzlich zu würgen, aber sie richtete sich kerzengerade auf und zischte: „Es ist geradezu unanständig! Haben Sie an vier hungrigen Mäulern nicht genug?“

      „Gott hat immer gesorgt, daß sie satt wurden“, entgegnete die Frau des Cymbalspielers. „Mein Mann gibt auch Klavierstunden. Er ist ja der einzige von seiner Musikbande, der nach Noten spielen kann. Und ich hab jetzt die Ausstattung der jungen Baronin Amadé zu sticken bekommen. O, ihre Mutter, die Baronin Teresa ist so gut zu meinen Kindern! Sie hat uns heut zur Kirschenernte in ihren Weingarten eingeladen.“

      „Mutter! Komm heraus! Er bringt die Küchlein um!“ schrie einer der Knaben.

      Falco hatte draußen mit den Kücken gespielt. War es seine Schuld, daß das Spielzeug so wenig Bestand hatte? Ein Kücken lag tot auf der Erde. Ein zweites klemmte er zwischen seine kleinen, kräftigen Hände fest und beobachtete, wie es die Augen verdrehte und wie sich der Schnabel langsam öffnete. Das mißfiel ihm und er warf es gegen die Planke, daß es nur so klatschte. So wollte er es auch mit dem großen, gelben Kücken machen. Die Henne zeterte laut, aber er fing es schnell.

      „Nicht die Hühnchen töten, lieber, goldener, gnädiger Herr Baron!“ rief die Winzerin. Er hörte nicht auf sie.

      „Lass’ das arme Hendel los!“ mischte sich Frau Bálint ein und versuchte, das Tierchen zu befreien. Aber nach kurzem Streit, stellte ihr der Knabe ein Bein und sie stürzte auf der feuchten Lehmerde ausgleitend, vornüber gegen den Bretterzaun. Einigermaßen überrascht, ließ Falco das gelbe Kücken fahren. Es war gerettet.

      Doch Eva Bálint lag bleich und halb ohnmächtig auf dem Boden. Ihre Kinder weinten. Der Winzer stand hilflos daneben. Die Winzerin holte den Herrschaftskutscher Antal. Der war aus der Hauptstadt und verstand sich besser auf solche Dinge.

      „Halt’ mir die Pferde!“ befahl er dem Winzer. „Und du, Katicza, bring einen Schluck Sliwowitz, es kann auch Wein sein.“

      Doch Eva berührte den angebotenen Trunk nicht und stöhnte schwer. „Wir müssen sie nach Hause bringen“, sagte der Kutscher. „Helft mir, sie zum Wagen tragen.“

      „Das geht doch nicht!“ eiferte die Bonne.

      „Es geht schon, Fräulein. Der kleine Baron steigt zu mir auf den Kutschbock.“

      „Ja, auf den Bock!“ wiederholte Falco lustig. Ihm war der ganze Vorgang ein Zeitvertreib.

      Eva Bálint wurde sorgfältig im Fond des herrschaftlichen Wagens untergebracht. Zu ihrer Linken setzte Antal ihr Töchterchen Regine, gegenüber mußten ihr jüngster Bub Pali und die schmollende Bonne sitzen. Den beiden älteren Knaben, Bernhard und Jozsi, wurde aufgetragen, zu Fuß heimzuwandern.

      Antal fuhr im langsamen Trab. An seinen Pferden war alles gebändigte Kraft. Jetzt gab’s keinen Übermut, bitte! Kein Ohrenspitzen! Gleichmäßig schollen die Hufschläge über die Landstraße, einen feinen Staubschleier auf den Alleepappeln zurücklassend. Feuerrot sank die Sonne. Ein Ziehbrunnen hob sich dunkel gegen den flammenden Horizont ab. Der Pferdehirt, der dort einige Fohlen tränkte, stand noch lange ehrfürchtig grüßend, den Hut in der Hand.

      Als der Wagen am Friedhof vorbeirollte, ging über Frau Bálints Gesicht ein Zucken. Sie faßte das Händchen der kleinen Regine und zwang sich, von Schmerz zerrissen, von Angst gefoltert, zur Ruhe.

      Endlich schimmerten zwischen blühenden Akazienbäumen die ersten Häuser der Stadt, niedrige, demütige Bauernhäuser, die vor dem Vierergespann der Herrschaft Front machten wie ihre Bewohner. An einem solchen ebenerdigen Häuschen hielt Antal die Pferde an. „Wo ist der Zigeuner Bálint?“ rief er vom Kutschbock herab.

      Ein nicht mehr junger Mann von hagerem, dunklem Typus kam auf den Anruf heraus und wollte heiter grüßen. Da sah er die Totenblässe auf Evas Zügen. Mit unendlicher Zartheit nahm er die Frau in seine Arme, und trug sie ins Haus.

      „Es ist nichts, Bálint ...“, stammelte sie, „es ist wirklich gar nichts ..., du brauchst keine Sorg’ zu haben. Bernhard und Jozsi kommen gleich nach ...“

      „Soll ich nicht die Madame Gruber holen?“

      „Ja, bis die Kinder ihr Nachtmahl bekommen haben, kannst sie vielleicht rufen.“

      In der Nacht kam ein Mädchen zur Welt. Ein winziges, schwaches Acht-Monat-Kind, das von der Hebamme zuerst für tot gehalten wurde, aber plötzlich die Augen öffnete, bläulich dunkle, erschrockene Augen, die zu früh aus dem Traum des Werdens zur Qual des Seins erweckt worden waren.

      Am Morgen berichtete der Kutscher Antal seiner Herrschaft den vortägigen Unfall der Zigeunerfrau. Baronin Teresa Amadé, eine stattliche Dame von fünfundvierzig Jahren, stand in einen schwarzen Kaschmirschal gehüllt, auf dem Treppenabsatz vor der Gesindeküche und hörte mit wachsender Besorgnis von dem Unheil, das ihr Neffe Falco angerichtet hatte. „Warum wurde mir das alles nicht schon gestern gemeldet?“ fragte sie streng.

      „Ich hab’s nicht sagen dürfen“, seufzte Antal. „Die Baronin Casalanza hat das Kinderfräulein zu mir in den Stall geschickt ...“

      „Und hat dir ein Trinkgeld gegeben, damit du schweigst ...“

      „Geben wollen, Euer Gnaden, geben wollen, aber der Antal hat es nicht genommen.“

      „Das

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