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V. 2484)12 und betont diese Brevitas noch, indem er sich ausdrücklich dafür entschuldigt, dass er dieß keyſerlich kint [] / Alſo kurtzlich alſo bar/ Zu geburtt [] geschriben habe (N 122 rb, V. 3417–3423).13 Es bleibt im Folgenden bei dieser Darstellungsform – in rascher Folge werden kleinere Einzelepisoden hintereinander gefügt. Lediglich den Herodes-Episoden sowie den neutestamentlichen Prophetien (des Zacharias, Johannes, Simeon, Jesus), den Cantica (Benedictus, Magnificat, Nunc dimittis, Sanctus) und der Bergpredigt wird etwas mehr Erzählzeit überlassen. Selbst Marias Klagen unter dem Kreuz sind abgebrochen:

       Alhie die rede blibe

      Doch weſte iz wol Her[re] ſymeon

       Da er geſprachen hat hie von

      […]

      Hie wart die rede zu der dat (N 135rb-va, V. 5238–5250)

      Dieses kurzliche der Erzählung, das das Geschehen immer wieder als Aktualisierung des Prophezeiten ausweist, inszeniert einen spezifischen Ereignischarakter in demjenigen Teil des Textes, der gerade das erzählen soll, was doch im Prolog selbst als größtes Wunder neben der Schöpfung selbst angekündigt ist.14 In anderen Kindheitserzählungen, etwa in der von Bruno Quast untersuchten Kindheit Jesu, ist die wunderbare Geburt als inkommensurables und letztlich undarstellbares Ereignis inszeniert, das lediglich als Leerstelle, durch das Fehlen jeder Spur am jungfräulichen Körper, bezeugt werden kann,15 und das entsprechend vom ganzen Wunderreihen umstellt ist.16 In der Erlösung hingegen erscheint sie reduziert und zum erwartbaren Geschehen nivelliert, auf das es lediglich noch zu verweisen gilt: Dieß iſt daz kint daz iſt die maget.17

      Quasts Untersuchung zur jungfräulichen Geburt in der Kindheit Jesu geht von einem Ereignis-Konzept aus, für das „eine Gegenwärtigkeit und eine Einzigartigkeit des Auftretens in Anschlag gebracht werden muss“, hinter der das Erzählen zurückbleibt.18 Abgegrenzt wird es einerseits gegenüber einem „funktional-analytische[n] Verständnis“, entsprechend dem etwa Karlheinz Stierle „das Ereignis als zwingende Voraussetzung für jedwedes Erzählen“ konzeptualisiert hat und das so Grundlage für einen narratologischen Ereignisbegriff ist,19 andererseits gegenüber einem Konzept medial konstituierter Ereignishaftigkeit.20 Für die Kindheit Jesu setzt Quast ein emphatisches, radikales Konzept von Ereignis an: das „als Bekundung erfahrene Einbrechen eines ganz Anderen, eines dissimile, der Augenblick, in dem die horizontale Zeit von einer vertikalen getroffen wird.“21 Dieses an Positionen des Poststrukturalismus orientierte Konzept von Ereignis ist unter anderem „am theologischen Modell der messianischen Ankunft orientiert“, am Augenblickhaften, am Kairos der Parusie (nicht am Kronos).22 Hierbei ist das Ereignis weder durch Sprache noch durch andere Medien zu erreichen, da das Sprechen von ihm notwendig „zu spät kommt“ und sich das Moment der „Singularität in der Generalität“ und Konventionalität sprachlicher Zeichen verliert.23 – In der Erlösung hingegen kündigen die Propheten-Boten die Ankunft (und Wiederkehr) immer schon an und entwerfen damit das Ereignis als Zu-kunft, die ihre Exzeptionalität gerade aus einem zeitkritischen Moment, aus einer Fristsetzung gewinnt. Als der Erzähler mit der Verkündigung an Zacharias die Geschichte der Menschwerdung tatsächlich zu erzählen beginnt, erörtert er in einem Exkurs, dass diese Zeitspanne von genau 5199 Jahren ganz und gar keine beliebige Fristsetzung sei. Ausgangspunkt ist dabei die Frage, warum denn Christus die Menschen nicht bereits deutlich früher (lange ê) erlöst habe, zumal doch Eva, Noa, Abel, Adam, Hiob, Jacob, Isaak, Abraham, David, Salomon, Moses, Aaron, Symeon, Ysâias, Johannes, Zacharias und manig ander Edelma[nn] immer wieder um Erlösung gebeten hätten. Die Begründung ist gleichsam psychologischer Natur:

       Es was alles vmb das

       Das die lute deſte baß

       Zu Got ſetzten jre begire

       Wann es iſt wißelich daz wir

       Die dinge wir mit lichtigkeit hant

       Daz nit gar schone empfahent

       Mit ſo gantzer wirdigkeit

      Als obe ein ma[nn] mit arbeit

       Daz ding erwunnen muſt hann

      Durch das die friſt wart gethan (N 116ra/b, V. 2329–2338)

      Der Begriff der Arbeit (als Not in waſſer unde fuer [N 116rb, V. 2340] ebenso wie als Mühe auf dem Feld umschrieben) wird erneut aufgegriffen und mit dem beständigen Flehen der Propheten, die so nicht nur als Boten, sondern auch als Bittende ausgewiesen sind, äquivalent gesetzt. Der Bericht über drängendes Begehren, die versprochene Erlösung doch noch in der Lebenszeit des jeweils bittenden Propheten zu senden, führt zur Umkehrung der Frage und es wird ergründet, warum es angesichts dieser Steigerungs-Logik nicht noch viel länger gedauert habe. Auch dies wird von der menschlichen Seele und ihren Anfeindungen her begründet: Das wir von der vberdroß / Iht wurden hoffn[un]g bloß (N 116va, V. 2385f.). Hoffnungslose Verzweiflung als (dann unumkehrbare) Wiederholung des Sündenfalls (So wern wir aber da[nn] verlorn / Were got noch eins durch vns geborn, ebd., V. 2387f.) wird durch die sorgfältige Wahl genau dieser Wartezeit also ebenso vermieden wie die Geringschätzung der Gabe, deren Exzeptionalität gerade durch das Moment der Erwartung konstituiert ist.24 Die Erlösung inszeniert das Ereignis der Menschwerdung damit zunächst weniger als ‚Einbrechen eines ganz Anderen‘, sondern als Ankunft des Ersehnten, dem im Zeitverlauf ein fester, nämlich genau der richtige Moment bereits zugewiesen worden ist. Dies schließt jedoch nicht notwendig aus, dass auch eine emphatische Dimension des Ereignishaften thematisiert wird. Vielmehr entwirft das Erzählen hier, so meine ich, unterschiedliche Ereigniskonzepte, die in den drei Hauptabschnitten des Textes – allegorischem Streitgespräch, Prophetenreihe und Geschichtserzählung – nebeneinander gestellt werden können, ohne eindeutig relationiert sein zu sein müssen.

      Kann man – mit Quast – an Leben-Jesu- und Marienleben-Erzählungen die grundsätzliche Frage stellen, wie unter der unhintergehbaren Voraussetzung der Unmöglichkeit, ein (emphatisch konzeptualisiertes) Ereignis medial zu fassen, Texte dennoch von der Ereignishaftigkeit der Menschwerdung zu erzählen versuchen, so lässt sich diese Frage auch im Hinblick auf die Erlösung stellen. Doch wäre sie hier zu erweitern: Es wäre zu fragen, wie Erzählungen, die Welt- und Erlösungsgeschichte als Realisierung eines der Vorsehung unterliegenden und damit narrativ voraussagbaren Plans inszenieren, zugleich noch die emphatischen Aspekte des Ereignishaften der Menschwerdung vermitteln können (also die Selbstopferung Gottes als Gabe, die mögliche Unmöglichkeit der Erlösung): Wie kann es erzähllogisch gelingen, gleichzeitig Erwartetheit und Unerwartbarkeit, vorhersehbare Horizontalität und vertikalen Einschlag zu kommunizieren? Im Rahmen vormoderner Geschichtsentwürfe wäre damit nach der Inszenierung von Ereignis nicht nur sehr grundsätzlich im Hinblick auf dessen mediale (Un-)Anschreibbarkeit zu fragen, sondern ebenso nach einer paradoxen Verschränkung unterschiedlicher Aspekte des Ereignishaften, die mitkommuniziert, überlagert oder gegeneinander abgeblendet werden. Die Erlösung zeigt geradezu exemplarisch, dass die Frage nach einsinnigen Zeitkonzeptionen – und damit eng verbunden auch diejenige noch einsinnigen Ereigniskonzeptionen – für den Bereich vormodernen Erzählens wenig zielführend ist, dass es vielmehr gilt, „heterogene Zeitkonzeptionen zu beleuchten, die Zeitschichtungen, Gleichzeitigkeit der Zeitdimensionen, Zeitfaltungen, parallelisierende und konkurrierende Zeitqualitäten, kollabierende, konzentrische, auslaufende sowie disruptive Zeitenverläufe“ zuzulassen.25 Ebenso überschichten sich in diesem Text verschiedene Aspekte des Ereignishaften:26 Die Reihe der Propheten inszeniert das Ereignishafte der Gottesgeburt aus dem Gestus der Erwartung, als Aufschub und Verzögerung.27 Hier allerdings geschieht dies im Sinne eines Aufschubs, auf den tatsächlich die Aktualisierung des Erwarteten folgt.28 Die Erzählabschnitte über die Lebenszeit Marias und Jesu akzentuieren dabei durchaus eine Ereignishaftigkeit, die als ‚Unterbrechung‘ struktureller Ordnungen verstanden wird insofern sie nicht vollständig aus diesen ableitbar ist. Ihr ‚Überschuss‘ und ‚Neuigkeitsgehalt‘ bleibt jedoch diesen Strukturen verbunden und darin eben

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