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ingnaden ouch demúeteclich

       mit sant Elsbethun sprich

       in demuͦtiges hertzen gir:

       ‘wannan ist daz komen mir,

       vil lieber herre guͦtir,

       daz mich mines herren muͦter

      besehen hat in miner not?[] (Der Saelden Hort, V. 1089–1099)

      Die imaginierte Reise nach Bethlehem nimmt alle inneren Sinne in Anspruch:

       Bistu nit mit den hirten komen

       ze Bethelhem und hast vernomen

       red und och der engel schal,

       gang inden erlúhten stal,

       daz vih under die krippe stoss

      und sich daz wunder wunder gross [] (Der Saelden Hort, V. 1529–1534)

      Die Leser werden sogar angewiesen, das Kind auf dem eigenen Schoß zu wiegen: nit leg es in die krippe wider; / in ruͦwe setz mit im nider, / trút ez in diner schoss! (V. 1551–1553). Während die visuelle Wahrnehmung weiterhin von großer Wichtigkeit ist (du solt an es ergaffen / mit dinen ogen bede [V. 1562–1563]), werden die Leser auch dazu angehalten, sich körperlich mit Jesus zu befassen (du heb es uf und leg es nider, / dur kúss im ae llú sinú glider! [V. 1571–1572]) und bei der Kinderbetreuung mitzuhelfen, sei es beim Singen von „ninna, ninna, wægelin!“ (V. 1605) oder beim Wickeln des Kindes in seine windelin (V. 1691–1693), ehe es schließlich seiner Mutter zurückgegeben wird (V. 1702).15 Die Leser erhalten sogar die Möglichkeit, Marias Verhalten ihrem Kind gegenüber zu beeinflussen:

       in dirre zartun schowe

       soltu die maget bitten

       daz si mit irem titen

      es wa und wa besprenge. (Der Saelden Hort, 1590–1593)16

      Der Saelden Hort mag außergewöhnlich sein, wenn er die Leserschaft auf solche Weise an der Krippenszene teilhaben lässt, aber die Idee, dass biblische Ereignisse visuell wahrgenommen werden können, ist weit verbreitet. In Gottes Zukunft beteuert der Erzähler, die Passion so zu beschreiben, wie er sie gesehen habe (V. 3097–3100), und die Leser werden aufgefordert, den gemarterten Körper des Erlösers zu betrachten (V 3003–3017; 3059–3062).

      Die Prophezeiung stellt eine besondere Art von anachronistischem Diskurs dar, der mit großer Wirksamkeit in biblischen Erzählungen sowie in mittelalterlichen Weltgerichtspielen eingesetzt wird. Herberichs spricht von „heterogenen Zeitinterferenzen“ im Berliner Weltgerichtsspiel und betont, wie sehr „die visionäre Rede zwischen der Form eines Augenzeugenberichts und dem Gestus einer Zukunftprognose [changiert]“.17 Eine ähnliche chronologische Instabilität ist im Benediktbeurer Weihnachtsspiel zu beobachten, indem ein Streitgespräch über die Wahrscheinlichkeit der Jungfrauengeburt als zeitlich unbestimmt dargestellt wird.18 In diesem Streitgespräch wird eine Seite vom Synagogenvorsteher mit Unterstützung seiner jüdischen Gemeinde vertreten; die andere von Augustinus, unterstützt von Jesaja, Daniel, der Sibylle von Cumae, Aaron und Bileam. Die Mitgliedschaft dieses letzteren Gremiums ist offensichtlich anachronistisch und hebt die Figuren aus ihrem jeweiligen historischen Zeitrahmen heraus. Grundsätzlich ist nicht eindeutig zu klären, ob die Disputanten über ein vermeintlich vergangenes Ereignis streiten oder eines, das erst noch eintreten wird. Zahlreiche Aussagen werden direkt aus Prophezeiungen des Alten Testaments übernommen; aber Augustinus spricht auch mehrfach von der Geburt Christi als zukünftiges Ereignis.19 Erst gegen Ende des Streits geht er in die Vergangenheit über und hält die Zuhörer dazu an, das neugeborene Kind zu betrachten.20

      In einer stark visuell angelegten Textstelle im Marienleben Priester Wernhers werden die Propheten mit einer dem geistlichen Spiel ähnelnden überzeitlichen Körperlichkeit ausgestattet: Mitten in der Verkündigungsszene eröffnet der Erzähler die Perspektive auf Maria als Himmelskönigin und beschreibt, wie die Propheten ihre Textrollen (briefe) in Händen halten, sich um sie scharen und auf sie verweisen:

       wi si alle zuo dringent,

      die lange briefe si [bringent]

       di si selbe tihten;

       nv ist chomen zvo der slihten

       daz si hie bevore schriben;

       nv sint si beliben

       an englischer schare

      vnde vingerzaigent dare. (Marienleben, Bearbeitung A, Z. 2257–2264)

      Gideon hält sein Vlies als Zeugnis ihrer Jungfräulichkeit in die Höhe (Z. 2255–2256), Aaron lobt sie mit seiner Gerte (Z. 2249–2250), und David freut sich, so er an ir fůzzen leit (Z. 2246). Der Zeitrahmen, in welchem die Prophezeiungen stattgefunden haben sollen, ist diffus. Im Fall Jesses kommt es zur einer völligen Verschmelzung vergangener und gegenwärtiger Aussagen: Nv giht der kvnik Jesse / der maget waiz alsam der sne [] (Bearbeitung A, Z. 2251–2254). Bei Jesaja dagegen scheint es eine Unterscheidung zu geben zwischen seiner ‚jetzigen‘ Freude im Himmel und seiner früheren, alttestamentlichen Prophezeiung: Nv frevt sich Esayas / daz er weilen chvundinde waz / der maget vnbesprochen (Bearbeitung A, Z. 2239–2241). Es bleibt aber unklar, ob das Nv sich auf den Zeitpunkt der Verkündigung bezieht, auf die mittelalterliche Gegenwart der Leser oder auf die Ebene der himmlischen Ewigkeit.

      In Die Erlösung spielen die Propheten ebenfalls eine zentrale Rolle.21 Die Zeitspanne zwischen dem Sündenfall und der Menschwerdung wird gänzlich durch ihre Aussagen abgedeckt, was zu einer bidirektionalen Erzählperspektive führt: Der mittelalterliche Leser blickt zurück auf diejenigen, die vorwärts blicken. Die Propheten treten dann wieder während des Descensus in die Unterwelt auf, und beim Jüngsten Gericht werden ihnen nochmals Sprecherrollen zuteil. Im ganzen Text ist es zuweilen schwierig zu differenzieren, ob sie in alttestamentlichen Zeiten, im Moment der Auferstehung oder einfach nur zeitlos sprechen. Wenn David Christus in der Hölle erkennt, deutet der Gebrauch des Praeteritums (sanc / erclanc / sprach) darauf hin, dass er auf die Höllenfahrt in Echtzeit reagiert:

       hêr Dâvît in den frouden sanc,

       sîn harpfe sûze dâ erclanc.

       er sprach ‘diz ist der herre,

       der wâren sonnen sterre,

       der sînen heimlîchen rât

      sô dicke mir verkundet hât.[] (Die Erlösung, Z. 5072–5077)

      Davids Schlüsselaussagen zur Auferstehung scheinen aber nicht während der Höllenfahrt gemacht zu werden, sondern schon in alttestamentlicher Zeit (sprach / jach):

       der lobelîche Dâvît

       von der ûferstende zît

       uns ûzer mâzen wol beschît.

       er sprach ‘terra tremuit.’

       alsô leget er ûz den rât

       ‘daz ertgeruste erbidemet hât:

       gerûet hât ez sâ zuhant,

       dô got der herre heilant

       ûf in dem gerihte erstûnt.’

       jâ der werde gottes frûnt

       in dem psalter aber sprach

      

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