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mea cithera’. (Die Erlösung, Z. 5192–5204)

      Durch den Gebrauch des Präsens (beschît / leget ûz) verleiht der Erzähler den Aussagen eine überzeitliche Dimension: Der längst verstorbene David spricht den Leser in der Gegenwart an.

      II. Zwischen Drama und Erzählung

      Oxford, Bodleian Library, MS e Musaeo 160, eine Sammlung religiöser Texte in der Volkssprache, ist wahrscheinlich das persönliche Andachtsprojekt eines einzelnen englischen Kartäusermönches. Die Handschrift wird auf etwa 1520 datiert, wobei offensichtlich ein langwieriger Herstellungsprozess zu berücksichtigen ist. Die Schreibsprache und mehrere Hinweise auf Lokalheilige lassen vermuten, dass sie in Yorkshire entstand.1

      Die Auswahl der Texte zeugt von einem starken Interesse für historisches Erzählen, vorwiegend aber nicht ausschließlich in heilsgeschichtlichem Zusammenhang. Der erste Teil der Handschrift besteht aus einer Verschronik, die die Weltgeschichte von der Schöpfung bis zur Gegenwart des Schreibers, mit Fokus auf heilige Männer und Frauen, erzählt.2 Es folgt ein Teil eines Gedichts über das Treffen auf dem Feld des Güldenen Tuches (der Gipfelkonferenz von 1520 zwischen dem englischen König Heinrich VIII. und König Franz I. von Frankreich). Dieser Teil der Handschrift ist jedoch unstrukturiert und wird durch eine Nacherzählung in Versform einer Episode aus Mandevilles Reisebericht unterbrochen, der selbst wiederum durch den Schlussteil des Feld des Güldenen Tuches unterbrochen wird. Dieser Text kann als eine Fortsetzung der Chronik gelesen werden, die er auf den neuesten Stand bringt. Nach dem Mandeville-Roman kommt eine englische Übersetzung der lateinischen Hundert Betrachtungen Heinrich Seuses. Es folgen drei Blätter mit den Fifteen Articles of the Passion. Die Handschrift wird durch zwei geistliche Spiele bzw. ein geistliches Spiel in zwei Teilen vervollständigt: Christ’s Burial und Resurrection. Mit Ausnahme der Fifteen Articles of the Passion sind alle Texte von der selben Hand geschrieben.

      Sowohl die Spiele wie auch die Versmeditationen heben sich von der narrativen Linearität der zusammengewürfelten Weltgeschichte (Verschronik, Güldenes Tuch, Mandeville) ab. Dennoch zeigt die Handschrift schon von Anfang an einen Hang zum Anachronismus und zu nicht-linearen Zeitmodellierungen. Die Verschronik zielt eindeutig darauf ab, die gesamte Menschheitsgeschichte zu christianisieren. Biblische Figuren, die Christus vorausgingen, werden anachronistisch als Heilige dargestellt, z.B. Sanctus Judas machabeus (Bl. 25r) und Sanctus Noe (Bl. 3r). Illustrationen und Versgebete, die an diese Figuren gerichtet sind, bewirken ebenfalls eine Zeitverschiebung, die sie in die meditative Gegenwart bringt. Im vorchristlichen Teil der Chronik wird fast die Hälfte jeder Seite von einem schwarz umrandeten, für eine Illustration vorgesehenen Feld eingenommen, obwohl diese Felder nur auf den ersten beiden Seiten mit Bildern von ‚Heiligen‘ ausgefüllt sind: Adam und Eva (Bl. 1v; Abb. 2) und Kain und Abel (Bl. 2r).3 In der ersten Illustration werden mehrere Zeitpunkte vergegenwärtigt: Adam und Eva sitzen nackt im Garten und – trotz ihrer strategisch platzierten Hände – unterstreicht die Abwesenheit von Feigenblättern die Tatsache, dass sie noch keine Scham kennen. Dennoch wartet links vom Rahmen ein Engel mit einem Schwert in der Hand. Hierauf folgt ein Versgebet, das sich sprunghaft von Paradies und Sündenfall zum Kalvarienberg bewegt, weiter zu oure dethe, unserem Tod, und dann zurück zu Adams Buße vor der Kreuzigung und Auferstehung:

       Adame prince of <all> mankind

       First indwellerre of paradise

       God gave the lordshipe ose we finde

       Of erthly creatures in euery wise

       By evis worde & the fendes vice

       Thou lost that lif & fande our dethe

       Unto Ihesu the prince of price

       Bought the & us on Calueryes hethe

       Holy Fader Adame when oure brethe

       Sall passe vs fro thou help vs thane

       Os thou was first finder of our dethe

       Wiss us to lyfe os thow well can

       Becawse thy fall was losse of man

       Holy fader thou did fell pennance

       To giff all man<kind> ensampill than

      To suffer payn for ther grevance (Bl. 1v)

      ,Adam, Fürst aller Menschheit, erster Bewohner des Paradieses, Gott hat dir die Herrschaft gegeben, so finden wir, über jede Art von irdischem Geschöpf. Durch Evas Wort und des Teufels Bosheit hast du dieses Leben verloren und unseren Tod gefunden, bis Jesus, der lobenswerte Fürst, dich und uns auf dem Feld des Kalvarienbergs [frei]kaufte. Heiliger Vater Adam, wenn unser Atem uns verlässt, dann hilf uns. Da du als erster unseren Tod gefunden hast, führe uns zum Leben, wie du es wohl kannst. Weil dein Fall der Verlust der Menschheit war, Heiliger Vater, du hast schreckliche4 Buße getan, um der Menschheit dann ein Beispiel zu geben, Strafe für ihr Vergehen zu erleiden.‘

      Abb. 2:

      Oxford, Bodleian Library, MS e Musaeo 160, Bl. 1v: Adam und Eva

      Auch wenn man diese meditativen Ansätze im narrativen Teil der Handschrift mit in Betracht zieht, bleibt die Aufnahme der Spiele in die Sammlung auf den ersten Blick überraschend. Die dem Schweigegebot verpflichtete kartäusische Spriritualität ist normalerweise nicht mit der Abfassung oder Aufführung geistlicher Spiele vereinbar. Entsprechend selten kommen Spiele in Kartäuserhandschriften vor.5 Obwohl die zwei hier untersuchten Spiele nur in dieser einen Fassung überliefert worden sind, herrscht Konsens darüber, dass der Schreiber nicht mit dem Autor identisch ist.6 Die Handschrift enthält eine Notiz, die die Spiele liturgisch verankert, jedoch scheint es äußerst unwahrscheinlich, dass sie für eine tatsächliche Aufführung verwendet worden sind:

      This is a play to be played on part on gud frid[ay] afternone and þe other part opon Ester day after the resurrection (Bl. 140v).

      ,Dies ist ein Schauspiel, dessen einer Teil Karfreitag Nachmittag aufgeführt werden soll und der andere Teil Ostersonntag, nach der Auferstehung.‘

      Einen Anhaltspunkt zur Funktion der Spiele liefern die Korrekturen in der Handschrift. Hier finden sich Hinweise dafür, dass der Schreiber begonnen hat, ein Spiel zu revidieren, mit dem Ziel, es in die Form einer Meditation zu bringen. Die später durchgestrichenen Korrekturen (z.B. Abb. 3), müssen Ergänzungen sein, denn sie führen zu unregelmäßigen Strophen. Nach Bl. 147r scheint der Schreiber seine experimentelle Revision abgebrochen zu haben: er hat die verbleibenden Teile in ihrem ursprünglichen Format kopiert und die anfänglichen Revisionen (wenn auch nicht konsequent) gestrichen. Im Großen und Ganzen sind die Korrekturen des Schreibers der Art, dass Zeilen, oder Teile von Zeilen, in Rot ausgestrichen worden sind. Es handelt sich hier um Formulierungen, die in einem Schauspiel weniger typisch, in einer Erzählung aber eher zu erwarten wären, meistens in der Form von ‚X sagte Y‘. Gelegentlich werden diese versehentlich stehen gelassen, wie auf Bl. 141r: O gud mawdleyn said Joseph [‚‚O gute [Maria] Magdalena‘, sagte Joseph‘]. Sobald der Schreiber sich dafür entschieden hat, den Text in seiner ursprünglichen Form als Drama zu kopieren, ist er zum Anfang zurückgekehrt und hat versucht Platz für die Rubriken zu finden (oft durch den Eintrag des Sprechernamens in roter Farbe an freien Stellen). Im Kommentar zu Bl. 140v bezüglich geeigneter Tage für die Aufführung heißt es weiter, a[t the] begynnynge ar certen lynes whic[h shuld] not be said if it be plaied [,zu Beginn sind einige Zeilen, die nicht gesprochen werden sollten, wenn es aufgeführt wird‘]. Dies macht deutlich, dass der Schreiber seine früheren Ergänzungen als unvereinbar mit dem dramatischen Modus betrachtet hat. Laut Daniel Wakelin ist dies auch ein Indiz dafür, dass das Spiel nicht aufgeführt worden ist und einen anderen Zweck hatte.7

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