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(V. 1–104), andererseits der erzählerische Exkurs (V. 853–951), der am Ende der allegorischen Gerichtsszene inseriert wird.9 Beide Stellen werden dazu nicht primär auf das erzählte Heilsereignis, sondern auf das Erzählen selbst hin gedeutet: „Das eigentliche Wunder, dem in der Vorrede buchstäblich das Wort geredet wird, wären dann nicht etwa die von Maurer nachdrücklich als Hauptinteressen des Dichters hervorgehobenen Ereignisse um Inkarnation und Erlösung, sondern vielmehr das Ereignis der Werkgenese.“10 Diese Lektüre stellt sich – wenngleich aus anderem Blickwinkel – ebenso wie Hausteins Beitrag dem Diktum Haugs entgegen, die Erlösung rekurriere lediglich formal auf den höfischen Roman, ginge dabei jedoch hinter seine Errungenschaften zurück, indem sie „die Verbindlichkeit des epischen Geschehens […] letztlich jenseits der ästhetischen Sphäre und ihres spezifischen Risikos“ im Rückgang auf eine „Objektivität der Heilsgeschichte“ suche.11 Angeschlossen wird dazu an ein Konzept von Ereignis, das sich auf die Erscheinungsform des Mediums bezieht und es erlaubt, Ereignis „in Kategorien der Verwiesenheit und des Medialisiertseins zu begreifen“, um so den Ereignisbegriff für die Analyse von heilsgeschichtlichem Erzählen „von der Fixierung auf die Inkarnation“ und damit auf eine unerreichbare Einzigartigkeit zu entlasten.12 Die so ermöglichte Lektüre trägt den Text selbst als Zeugnis einer Wahrheit in die Heilsgeschichte ein, das den abwesenden Inkarnierten überdauert und „an seine Stelle“ tritt. Sie verschiebt damit das Moment der Ereignishaftigkeit auf den Text bzw. auf seine Überlieferung.13

      Vor dem Hintergrund des hier abgesteckten Themas (Erzählen von Geschichte) soll jedoch komplementär dazu nach Inszenierungen des exzeptionellen Geschehens, nach der Verhandlung von Ereignishaftigkeit im Blick auf das Erzählte gefragt werden. Es wird zu zeigen sein, inwiefern die drei Großabschnitte der Erzählung je eigene Modi finden, um das besondere Ereignis der Erlösung zu thematisieren und dabei unterschiedliche Aspekte des Ereignishaften in den Vordergrund zu rücken. In einem ersten Schritt werden dazu die Prophetenreihe und das Leben-Jesu/Marienleben in den Blick genommen (II), abschließend ist auf den diese beiden Teile einleitenden sog. ‚Streit der Töchter Gottes‘ einzugehen (III).

      II Voraussagbares Erzählen

      Die Erlösung liegt uns heute in acht Textzeugen (Handschriften bzw. Exzerpten und Fragmenten) vor.1 Diese variieren in Versbestand, Reihung und Ausstattung teilweise so stark, dass Fassungen von verschiedener Länge unterscheidbar sind. Ich beziehe mich im Folgenden auf die Erlösung in dem um 1465 und von einer Hand geschriebenen Manuskript der Stadtbibliothek Nürnberg (N).2 Die Papierhandschrift beginnt mit einer deutschen Adaptation von salomonischen Weisheitsbüchern des Alten Testaments (Bl. 1r–77v), dann folgt eine Übertragung von Martins von Braga (Martinus Dumiensis) Formula honestae vitae, einer Abhandlung über die vier Haupttugenden, die zu großen Teilen aus Seneca-Auszügen (teilweise verlorener Schriften) besteht und die hier Seneca selbst zugeschrieben wird (Bl. 79r–96v). Der Erlösung, die als einzig bebilderter und einzig zweispaltiger Text der Handschrift auf Bl. 97v–148v eingetragen ist, schließen sich eine lateinisch-deutsche Aufzählung von Sünden (Bl. 150r–156v) und eine heilsam ertzeny widder weltlich vnd tufelisch anfechtung (Bl. 157r–159v) an.3 Der Text fügt sich so in vor allem didaktisch-katechetisches Material, das seine Inhalte teilweise sogar verdoppelt, tritt jedoch durch seine Gestaltung zugleich daraus hervor.

      Durch das Bildprogramm der Handschrift, 53 kolorierte und gerahmte Federzeichnungen, setzen sich in der Erlösung selbst allegorischer Disput, Prophetenreihe und heilsgeschichtlicher Bericht sichtbar gegeneinander ab: Während der ‚Töchterstreit‘ gar nicht bebildert ist, begleiten die Geschichtserzählung rund 30 szenische Darstellungen, wie etwa zum Sündenfall (Bl. 100ra), dem Kindermord (Bl. 126ra), der Kreuzigung (Bl. 135ra) oder der Geburt des Antichrists (Bl. 143ra). Der rund 1200 Verse und 24 Stationen langen Prophetenreihe sind 22 Figuren beigestellt, die mit ihren „lebhaften Gesten und tänzerischen Bewegung[en]“ an Morisken erinnern und die geschwungene Spruchbänder tragen.4 Dieser Abschnitt unterscheidet sich nicht nur durch den Bildtyp, sondern auch durch die Dichte der Bebilderung, sodass auf Bl. 106–116 fast jede Seite ein oder zwei Bilder aufweist.5 Der zugehörige Text betont das Moment göttlicher Planung, Vorsehung und Verheißung, wobei nicht Real- sondern fast immer Wortprophetien präsentiert werden, die oft über eine deutsche Version der lateinischen Zitate der Spruchbänder eingeleitet sind. Selten wird in der Prophetenreihe, die die Verse 1143–2272 (N 106ra–115vb)6 umfasst, von den zugehörigen Offenbarungsereignissen selbst berichtet. Lediglich bei Abraham (N 106va/b, V. 1238–1215), Moses (N 107ra/b, V. 1261–1303), Jonas (N 109vb-110ra, V. 1543–1594), Nebukadnezar (N 112rb-112va, V. 1847–1902) und Simeon (N 115va/b, V. 2235–2272) werden wenige Aspekte ihrer (Offenbarungs-)Geschichten erzählt. Meistens werden die Prophetien jedoch formelhaft mit der Bemerkung eingeleitet: die biblischen Propheten wüssten, hätten lange vorher erkannt, vernommen, geiſteliche gesehen (N 111ra, V. 1699) oder Geprediget vnd vor geſeÿt / Vnd gar mit truwen vßgeleÿt (N 107vb, V. 1330f.), sprächen und schrieben Als vß des vatters munde (N 106vb, V. 1224). Auch die heidnischen Propheten, Sibylla, Nebukadnezar und Vergil, werden vom Erzähler für ihr umfassendes Wissen nicht nur um die Menschwerdung, sondern auch bezüglich des Jüngsten Gerichts gepriesen. Die weiteren alttestamentlichen Propheten, die sich ihnen anschließen (Jesaias, Jeremias, Daniel, Ezechiel), sind besonders ausführlich teilweise in lateinischen Versen zitiert. Sie alle jedoch gelten in der Erlösung als von Gott selbst eingesetzte Boten, die den Menschen den Erlösungsplan, der im vorausgehenden ‚Töchterstreit‘ verhandelt wurde, bis zum Weltende bekannt machen:

      Botten ſant er i[nn] die lant

       Vnd hieß dem volck thun bekant

       Hoffenliche mere

       Das ein erloſere

      Schier ko[mm]en ſolde

      Der vns erloſen wolde (N, Bl. 106ra/b, V. 1147–1152)7

      Die Prophetenreihe inszeniert somit, wie zahlreiche andere vormoderne Geschichtserzählungen,8 die Finalität der Welt-Geschichte als gesichertes und verkündetes Wissen. Doch wird dieser Aspekt hier in besonderer Weise akzentuiert, denn auch die auf sie folgende Erzählung über Menschwerdung und Passion weist beständig auf dieses verkündete Wissen zurück: Reht als die p[rop]hetten / Hant in den decreten / Der heilig[en] ſchrifft vor geſaget (N 118vb, V. 2833–2835) geschieht die Empfängnis und gerade so, wie her[re] Ysaÿas / Hie vor i[nn] ſiner ſchrifft laß (N 120rb, V. 3189f.), beten die Stall-Tiere den Heiland an. Gemäß den alttestamentlichen Vorhersagen von Balaam, Yesaia, Michêas und Jeremias vollziehen sich die Anbetung der Könige und Hirten und die Verfolgung durch Herodes; entsprechend Hoseas Prophetie erfolgt die Rückkehr aus Ägypten, entsprechend Davids Voraussage die Befragung im Tempel. Die Propheten des Neuen Testaments setzen diese Logik fort: Simeon kündet vom kommenden Leid Marias, der tote Johannes vermeldet die baldige Ankunft des Erlösers in der Hölle,9 die Kinder Jerusalems preisen Christus bereits als Heiland und weisen dabei zugleich zurück auf Zacharias, der dies auch schon wusste (N 131vb, V. 4678–4682) und mit gleicher Sicherheit weisen Prophetien auf das Jüngste Gericht voraus. Weltgeschichte wird in der Erlösung als Aktualisierung des immer schon Geplanten, Verkündeten, Gewussten und Erwarteten erzählt.10 Entsprechend lautet etwa der Kommentar anlässlich der Verkündigung:

      Rehte als die p[rop]hetten

       Hant in den decreten

      Der heilig[en] ſchrifft vor geſaget

       Dieß iſt daz kint daz iſt die maget

      Von dem uch iſt kunt getha[nn]

      Ob irs verno[mm]en wollent ha[nn] (N 118vb, V. 2836–2838)

      Das Zugesicherte, Erwartbare wird in diesem Erzählen ausgestellt und gerade dies erscheint damit als das Wunder, auf das der Prolog verweist.11 Die Wunderketten, die andere Leben-Jesu-Erzählungen oder Marienleben immer wieder einflechten, sind demgegenüber hier auffällig reduziert, und dies gilt nicht nur für die astronomischen und meteorologischen

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