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und Zielpunkt axiologischer Besetzung ist entsprechend nicht Jason, sondern Peleus, und dies ändert sich ebenfalls nicht, nachdem Jason wenig später auch als handelnde Figur in das Erzählen eintritt. Die sich anschließende Intrige-Handlung bleibt nämlich von ausführlichen Innensichten und Redebeiträgen des Peleus dominiert, die das Auseinandertreten von außen und innen dokumentieren. Demgegenüber agiert Jason weniger als er reagiert, er antwortet eher als er spricht und was sein Inneres betrifft, bleibt dem Erzähler lediglich zu konstatieren, dass der Vorschlag des Peleus, sich auf die gefährliche Fahrt nach dem goldenen Vlies zu begeben, bei Jason keinerlei Misstrauen weckt. Jason reflektiert weder die Gefahren der Reise, noch die Absichten seines Onkels, und die bevorstehende Fahrt erfüllt ihn weder mit Schrecken noch mit besonderer Freude über eine Möglichkeit, sich zu beweisen und seinen Ruhm zu vervollkommnen.8 Entsprechend erstaunt es nicht weiter, dass Peleus und nicht Jason Antrieb des baldigen Aufbruchs ist.9 In der sprachlichen Inszenierung dieser Konstellation gerät ganz konsequent Peleus und nicht Jason zum grammatikalischen Subjekt der Aufbruchshandlung:

      der künic PÊLEUS, sîn veter,

       liez in niht langer beiten,

       wan er in dô bereiten

       begunde zuo der ferte sîn,

       er tete an im dô balde schîn,

       daz er sîn âne gerne wart:

       swes er bedorfte zuo der fart,

      vil drâte er im daz werden liez. (Trojanerkrieg, V. 6832–6839)

      Selbst an den wenigen Stellen, an denen Jason anders als hier zumindest zum grammatikalischen Subjekt der Handlung wird, bleibt das Erzählen auf Peleus fokussiert:

      JÂSON fuor sîne strâze alsus.

      des wart sîn veter PÊLEUS

       vil hôhes muotes bî der zît,

       daz er niht wider kaeme sît,

      des wart von im gewünschet vil. (Trojanerkrieg, V. 6891–6895)

      Mit all dem wird in der Handlungsexposition zur Argonautenfahrt ein Modus der Figurendarstellung etabliert, der in der Folge das gesamte weitere Erzählen von Jason prägt.10 Obwohl die Darstellung über weite Teile seiner Bewegung in der erzählten Welt folgt, wird Jason in den verschiedensten aufeinanderfolgenden räumlichen und sozialen Konstellationen, in die ihn sein Weg führt, jedes Mal erneut zum Objekt der Wahrnehmung, Deutung und der Handlungsaktivität anderer Figuren und zwar in weitaus stärkerem Maße, als er selbst handelnd auf seine Umwelt einwirkt. Bei der Zusammenstellung der Besatzung für die Argo etwa wählt nicht Jason Hercules als Begleiter aus, sondern dieser wirft sich seiner heldischen Identität gemäß Jason gleichsam in den Weg;11 bei der Landung vor Troja wird Jason mit den Argonauten zum Opfer der vom Alter bestimmten Mentalität Lamedons;12 im Gegensatz dazu profitiert er bei seiner Aufnahme in Kolkos von der dort herrschenden elaborierten höfischen Kultur, die den Status des gastgebenden Herrschers an den Glanz des Gastes bindet;13 ihre Liebe und damit die dringend benötigte Unterstützung bei der Gewinnung des Goldenen Vlieses trägt Medea Jason an, ohne dass er außer der Erwiderung verliebter Blicke etwas dafür getan hätte. Medea überhaupt eingehend zu betrachten, selbst dazu braucht es nicht nur eine aufwändige Inszenierung ihres Auftritts, sondern Jason muss von Lamedon zusätzlich noch einmal explizit dazu aufgefordert werden, genau hinzusehen.14 Bezeichnend ist, dass der Rezipient ganz anders als etwa bei Paris’ erster Begegnung mit Helena, gerade nicht die Wahrnehmung des Protagonisten teilt, sondern einen anderen, ganz eigenständigen Blick auf Medea gewährt bekommt,15 vielleicht den, den Jason haben sollte. So sind es letztlich der höfisch-merkantile Habitus des Oetas sowie die Liebesbereitsschaft und -fähigkeit Medeas, die Jasons weiteren Erfolg konstituieren.

      Insgesamt lässt sich zeigen, dass die Frage, ob Jason zum emporkommenden Rivalen, zum prädestinierten Anführer eines heldischen Kollektivs, zum landfremden Aggressor ohne politische Umsicht, zum ruhmumwobenen Gast oder zum Gegenstand weiblichen Begehrens wird, kaum je aus seinem eigenen Verhalten, seinen Absichten und Motiven resultiert, sondern maßgeblich von den je verschiedenen prästabilen politischen, sozialen und mentalen Bedingungen, unter denen die anderen Figuren der Handlung ihm begegnen, abhängt. Diesen Bedingungen kommt im Erzählen weitaus größere Aufmerksamkeit zu als Jason selbst, der so in jeder einzelnen Episode seiner Geschichte von anderen Figuren überdeckt wird, bevor er mit dem Eintritt Medeas in die Handlung sukzessive auch endgültig als Raumfilter und damit als Protagonist abgelöst wird. Noch sein Treuebruch gegenüber Medea wird nicht etwa über die Attraktivität Greusas motiviert oder, wie in der Erzähltradition, über Jasons Streben nach gesellschaftlichem Aufstieg begründet, sondern allem voran durch Medeas Abwesenheit erklärt. Nachdem diese eigenmächtig Peleus’ Verrat an Jason gerächt hat, überkommt sie die Lust, durch kurzwîle (V. 11195) die Orte ihrer früheren Ausbildung zu besuchen, statt unverzüglich zu Jason zurückzukehren. In einem vierfachen temporalen Anschluss wird diese Verzögerung zur Ursache seines fatalen Betrugs erklärt.16

      Wie gesehen variieren zwar die Rollen, in denen Jason im Verlauf der Handlung erscheint, doch ist das Erzählen wie schon in der Kaiserchronik deswegen nicht situativ, sondern ganz im Gegenteil von einem übergreifenden Darstellungskonzept getragen. Wie bereits der Autor der Kaiserchronik setzt dabei auch Konrad am Kernpunkt der antiken Figurenkonzeption an. Die Schwäche Jasons, die dort eine Folge äußerer Umstände ist, wird aber zu einem Effekt der Darstellung. Radikal künstlich und als solches markiert, sind nicht nur – wie Gert Hübner gezeigt hat – einzelne Handlungskonstellationen, sondern die Figur insgesamt. Die Wirkung, die durch die Verlagerung der Schwäche von außen gleichsam ins (konzeptionelle) Innere der Figur erzielt wird, ist die einer habituellen Schwäche. Das hat Konsequenzen für die Axiologie des Geschehens. Wenn Jason für seinen Treuebruch am Ende nicht nur von Medea grausam hingerichtet wird, sondern der Erzähler sich weigert, die Trauer um ihn und die darin ausgedrückte Anerkennung wiederzugeben,17 dürfte das den Rezipienten wenig rühren. Doch treten hier erzählerische Gerechtigkeit und Moral weit auseinander. Greifbar wird das spätestens im paradigmatischen Vergleich mit anderen Rachehandlungen, die den Opfern – anders als es bei Jason der Fall ist – eine Stimme und ein Inneres geben. Ein wichtiges Beispiel wäre die sich im Handlungsverlauf des Trojanerkriegs unmittelbar an die Jason-Geschichte anschließende erste Zerstörung Trojas, bei der der Schrecken der heimtückisch überfallenen Bewohner umliegender Dörfer und der von Vergewaltigung bedrohten Frauen in der Stadt großen Raum im Erzählen einnimmt. Beide Rachehandlungen zeichnen sich durch die gleiche Unverhältnismäßigkeit von Vergehen und Strafe aus, Darstellung und Rezeptionsteuerung dagegen unterscheiden sich gravierend voneinander. All dies lenkt den Blick des aufmerksamen Rezipienten auf die zum Teil trügerische Wirkung, in jedem Fall aber strategische Konstruktion von Geschichte.

      IV. Fazit

      In beiden betrachteten Beispielen volkssprachiger Geschichtsdichtung erweist sich Bedeutung nicht nur als Dimension erzählter Handlung, sondern auch als Effekt elaborierter Darstellungsverfahren. So wird in beiden Fällen die konzeptionelle erzählerische Marginalisierung einer zentralen Figur in je eigener Weise zum Medium der kritischen Auseinandersetzung mit Geschichte und ihrer poetischen Kommunikation. Indem Lucretia in der Kaiserchronik genau die immersive Dynamik genommen wird, die im antiken Erzählen überhaupt erst ihr Potential begründet, einen politischen Umbruch auslösen zu können, widerspricht der Text Grundüberzeugungen der lateinischen Geschichtsteleologie. Indem Medeas unverhältnismäßige Rache an Jason durch die Habitualisierung seiner eigentlich politisch begründeten Schwäche vordergründig entproblematisiert erscheint, wird der Blick letztlich auf die Perspektivität der Darstellung und Bewertung von Geschichte gerichtet. In diesem Sinne geht der Trojanerkrieg insofern über den Entwurf der Kaiserchronik hinaus, als die schon hier beobachtbare Semantisierung narrativer Verfahren nun in der metapoetischen Spiegelung an die Grenze des Diskursiven getrieben wird. Figuren strahlen nicht nur wie Artefakte, ihre (zum Teil trügerische) Wirkung beruht auch auf strategischer Konzeption. Dennoch erscheint das Arrangement der Kaiserchronik kaum weniger radikal. Schon der

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