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um eine ausgesprochen artifizielle Konfiguration handelt, aber gerade nicht um eine, die eine im ästhetischen Sinne eigenständige Wertqualität beanspruchen und insofern eine veränderte Wissensordnung oder Episteme voraussetzen würde. Entsprechend ließen sich Phänomene der Semantisierung narrativer Techniken, wie sie schon in der Kaiserchronik zu beobachten sind, durchaus in eine aus der Rhetorik abgeleitete Poetik komplexen exemplarischen Erzählens von Geschichte, wie Friedrich und Hübner sie entwickeln, integrieren. Zu überlegen wäre dabei allerdings, ob ein Erzählen, das neben den Inhalten der Handlung auch die Form der Darstellung semantisiert und auf diesem Weg eigenständig Wissen generiert, zumindest im Ansatz ein Konzept von der Konstruktivität historischen Erzählens, also davon, dass erst die Darstellung ‚Geschichte‘ macht, voraussetzt. Spätestens an dieser Stelle hätte man es allerdings mit einem Erzählen auf der Grenze einer Epistemologie des Exemplarischen zu tun.

      III. Jason – habitualisierte Schwäche als narrativer Effekt

      Noch ein Stück weitergeführt werden sollen diese Überlegungen aber nicht für die Kaiserchronik, sondern für Konrads Trojanerkrieg, der mit seiner konsequenten metapoetischen Perspektivierung des Erzählens einen besonders günstigen Ausgangspunkt dafür bietet. Im Rahmen dieser metapoetischen Perspektivierung erscheinen Figuren bei Konrad als Artefakte, denen im Erzählen in ganz ähnlicher Weise Präsenz verliehen wird wie den diversen Kunstgegenständen, die im Verlauf der Handlung beschrieben werden, etwa dem Apfel der Discordia, dem künstlichen Vogelbaum im Zentrum des neu erbauten Troja sowie verschiedensten Kleidungs-, Rüstungs- und Ausrüstungsgegenständen.1 Figuren und Artefakte teilen im Trojanerkrieg allem voran ihren opalisierenden Glanz, aber auch Begrifflichkeiten (wie kleinôte oder bilde), mit denen sie bezeichnet werden. Nicht zuletzt werden Figuren wie Kunstwerke immer wieder zum Gegenstand bewundernder Betrachtung und brennenden Begehrens, aber ebenso zum Gegenstand gelingender oder misslingender Interpretation. Diese Analogien werden in der Forschung vor allem auf ihre Konsequenzen für die axiologische Besetzung der Figurenhandlung und deren kulturelle Implikationen befragt.2

      Noch im Vorfeld solcher Überlegungen scheint mir die Analogie von Figuren und Artefakten den Blick zunächst einmal auf die Gemachtheit von Figuren zu lenken und hier speziell auf das Verhältnis von artifizieller Faktur und der Wirkung, die diese evoziert. Dieses Verhältnis spielt in nahezu jeder Ekphrase des Trojanerkriegs eine zentrale Rolle. Schon in der Beschreibung des Apfels der discordia kann der Betrachter erst in der Sicht nâhe zuo den ougen (V. 1427) erkennen, dass seine Wahrnehmung bei einer Sicht ferre hin von der gesiht (V. 1431) auf einer Illusion beruht und wie diese durch eine spezielle Herstellungstechnik gesteuert ist.3 Überträgt man eine solche ‚Leseanweisung‘ auf Figuren als Artefakte, würde das bedeuten, dass ein Verständnis darauf angewiesen ist, nicht nur zu sehen, was über eine Figur gesagt wird, sondern wie genau eine Information im Text zustande kommt. In einem solchen Zusammenhang scheint Jason sich zunächst nicht unbedingt als Untersuchungsgegenstand aufzudrängen, da er im Vergleich zu diversen anderen Figuren des Trojanerkriegs eher über eine geringe Strahlkraft verfügt. Gerade deswegen soll aber gezeigt werden, dass und wie sogar ein solcher Eindruck Effekt einer strategischen Kompositionstechnik wird.

      In der antiken Stofftradition ist Jason eine Figur mit einem prekären gesellschaftlichen Status. Der Herrschaftsverlust seines Vaters und die damit verbundenen Feindschaften schränken sein Aktionspotential ganz erheblich ein; dies setzt sich in der asymmetrischen Beziehung zur zauberkundigen Medea fort, die allein ihm überhaupt die Hoffnung eröffnet, seine Position stabilisieren und seine Herrschaft restituieren zu können. Der erzählerische Reiz der Geschichte liegt hier im tragischen – weil von vornherein zum Scheitern verurteilten – Aufbegehren Jasons gegen sein Schicksal.4 Indem Konrad den handlungsinitiierenden Statusverlust, der in den antiken Erzählungen die Grundlage der Handlungsmotivation des gesamten Erzählkomplexes bildet, tilgt, nimmt er der Figur im Grunde genau das Profil, das ihr Ereignishaftigkeit und tellability garantiert.5 Im Erzählen entspricht dem eine erstaunlich konsequente Reduktion narrativer Präsenz.

      Schon bei seiner Einführung in die Handlung steht nicht Jason im Fokus des Erzählens, sondern sein Cousin Achill, und nur in Relation zu ihm gewinnt er überhaupt ein Profil. Vorgestellt wird der junge Grieche nämlich am Ende der Schyron-Episode, im Zusammenhang mit der sich unaufhaltsam verbreitenden Fama Achills:

      ACHILLEN dâ ze lande

       nieman irte an sînem lobe,

       sîn prîs der fluoc den besten obe

       maniges rîches umberinc,

       wan daz ein frecher jungelinc

      dennoch dâ ze KRIECHEN was,

       der ouch mit reiner tugent las

       vil hôher werdekeit an sich.

      […]

      JÂSON der selbe ritter hiez

      und lebte in ganzer wirde alsus. (Trojanerkrieg, V. 6494–6507)

      Jason kommt in dieser Relation, das stellt der Erzähler gleich mehrfach heraus, bestenfalls die Position des Zweitbesten zu. Über konjunktivische Formulierungen und konzessive Konstruktionen wird insinuiert, dass Jason nur dann ein exzeptioneller Status zukommen könnte, wenn es Achill nicht gäbe:

       geblüemet stuont sîn reiner sin

       mit hôhen êren ûzerlesen,

      und waere ACHILLES niht gewesen

       sô gar ein ûzerwelter knabe,

       sô haete im niht gegangen abe

       des besten lobes ûf erden:

      […]

       hert als ein fester adamas

       an triuwen schein sîn wille,

      doch brach sîn nefe ACHILLE

       an hôher werdekeit vür in,

       wan er der êren spiegel hin

      ob im gewalteclîche truoc. (Trojanerkrieg, V. 6552–6571)

      Aber selbst diese Position wird Jason nicht direkt vom Erzähler zugeschrieben und auktorial begründet, sondern erweist sich bei näherer Betrachtung als Konstruktion seines neidischen und missgünstigen Onkels. Achills Vater Peleus beobachtet das Heranwachsen seines Neffen mit der Sorge, sein Ruhm könnte eines Tages den seines eigenen Sohnes übersteigen. Konkrete Taten oder Verdienste des jungen Griechen, die eine solche Befürchtung einsichtig werden ließen, werden allerdings nicht angeführt, geschweige denn narrativ entfaltet. Während in der gerade abgeschlossenen Passage über Achills Kindheit und Erziehung in eingehenden Darstellungen zu beobachten war, wie der Junge von einer Löwin gesäugt und mit dem Mark aus Tierknochen und wilden Pflanzen ernährt wird, wie er zur körperlichen Abhärtung nur mit Tierfellen bekleidet auf dem nackten Boden einer Höhle schläft und zur emotionalen Abhärtung nicht nur gegen Drachen, Löwen, Bären und Greifen antritt, sondern auch deren Junge raubt und tötet, wie er Körperkraft und Körperkoordination trainiert, indem er zum Beispiel über hauchdünne brechende Eisdecken läuft, abgeschossenen Pfeilen nachjagt und in reißenden Flüssen balanciert und wie er im Verbund mit verschiedenen wilden Völkern kämpft, um sich unterschiedliche Kampftechniken anzueignen,6 werden Jasons Qualitäten und das aus ihnen resultierende lop eher summarisch konstatiert. Noch in dieser summarischen Würdigung bleibt der Blick auf die Figur allerdings verstellt, da die Darstellung des Erzählers immer wieder nahtlos in Innensichten des missgünstigen Peleus oder in dessen affektverhaftete Beobachtung Jasons übergehen.7

      Indem so die Stimme des Erzählers mit dem in seiner Affektivität als problematisch markierten Figurenbewusstsein des Peleus synthetisiert wird, erscheint Jasons Exzeptionalität und Ruhm allem voran als eine Projektion seines Onkels. Über Jason erfährt der Rezipient ausschließlich das, was Peleus’

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