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umständlichen Schilderung aller Einzelheiten. Bauwerke, Städteansichten, Türme und Schlösser füllen den Hintergrund, bald den Kamm eines Gebirges krönend, bald in fruchtbaren Ebenen sich ausbreitend. Selbst bei Scenen, die in Innenräumen vor sich gehen, blickt man gewöhnlich durch ein Fenster auf Wälder und Wiesen, auf Flüsse und Berge hinaus. Es wird sogar mehr gegeben, als das Auge erkennen könnte. Etwas Duftiges, weich Zerfließendes ist für das scharfe Auge dieser Maler nicht vorhanden. Nicht im Vordergrund nur sind Gras und Blümchen Stengel für Stengel, Blatt für Blatt gemalt. Noch in meilenweiter Ferne behalten die Dinge gleich scharfe Umrisse, gleich starke Farben. Das scheint dem modernen Auge oft unnatürlich. Aber man versteht leicht, von welchen Gefühlen die Künstler ausgingen. Nachdem die Natur so lange fremd gewesen, die Figuren nur von Goldgrund sich hatten abheben dürfen, ergab sich als natürliche Reaktion diese detailreiche Landschaft, die in ehrfürchtigem Pantheismus das kleinste Blatt und den funkelnden Tautropfen für gleich wichtig hält, wie die stolzeste Palme, den Kieselstein für gleich bedeutend, wie den gewaltigen Felsen, die nicht dulden will, daß trübe Atmosphäre den Glanz der Dinge verdunkle, in einem einzigen Werk den ganzen Formen- und Farbenreichtum des Alls besingen möchte. Selbst die Kirche fand sich mit den neuen Anschauungen ab. Indem Raimundus von Sabunde in seiner Theologia naturalis lehrte, die Natur sei ein vom Finger Gottes geschriebenes Buch, gab er der Weltfreude des Zeitalters, den Bestrebungen der Künstler den Segen.

      Das Genter Altarwerk ist, wie es den Geschmack des Mittelalters ausklingen läßt, auch das erste klassische Dokument des neuen weltlichen Stils. Kaum 20 Jahre kann Jan van Eyck jünger als Hubert gewesen sein, trotzdem scheint eine ganze Welt sich zwischen ihn und seinen Bruder zu schieben. Der feierliche Idealstil Huberts weist noch ins Mittelalter hinüber. Jan steht mit beiden Füßen auf dem Boden der neuen Zeit. Hat er das Genter Altarwerk so vollendet, wie Hubert es plante? Man möchte es sehr bezweifeln. Selbst aus den Tafeln, in denen er notgedrungen seinem Bruder folgte, spricht ein anderer Geist. Wie er die drei mächtigen Mittelgestalten nie geschaffen hätte, vermag er in dem Bild der singenden Engel, das er als Gegenstück zu Huberts musizierenden Engeln malte, sich nicht auf der Höhe seines Bruders zu halten. Bei Hubert sind nicht die Gesichter allein, auch die Hände von nervösem Leben beseelt. Durch diese beweglichen Finger strömt der Geist der Musik. Auf dem Bild der singenden Engel, so sehr van Mander sie lobt, sind die Gesichter geistlos, die Hände schematisch und verzeichnet. Jan besitzt weder die geistige Großheit, den gedankenvollen Ernst seines Bruders noch dessen plastischen Sinn für das organische Gefüge des Körpers. Schon aus den Tafeln, die er der Anlage des Altarwerkes gemäß noch in großem Formate geben mußte, spricht in Wahrheit ein Kleinmaler, dessen Auge nur an der farbigen Oberfläche der Dinge haftet. In den Gestalten der beiden Stifter giebt er die ersten Porträtfiguren der neueren Kunst, echte Typen jenes gediegenen Bürgertums, das damals Flandern zum wohlhabendsten Land der Erde machte: er, der behäbige, ein wenig stumpfsinnig gewordene Bonvivant, der sich nach erfolgreicher Arbeit zur Ruhe gesetzt, sie, die Herrin des Hauses mit den streng ehrbaren Zügen der Kommandeuse. In der Verkündigung legt er das Hauptgewicht auf das Stillleben. Man sieht ein Zimmer mit einem Waschbecken und allerlei Hausgerät, blickt durch das Fenster in eine Straße hinaus. Bei den Gestalten von Adam und Eva sucht er nicht wie Masaccio nach großen Linien und geistigem Inhalt, er beschränkt sich darauf, die eingefallene Brust und den Bauch der Eva, die Haare an Adams Beinen, die bleiche Hautfarbe der Körper und die dunklere der gebräunten Hände mit photographischer Treue zu spiegeln.

      In seinem Element war er erst, als er die unteren Tafeln mit den vielen kleinen Figuren, die Anbetung des Lammes, die gerechten Richter und Streiter Christi, die heiligen Einsiedler und Eremiten malte. Das sind nämlich die Unterschriften, die auf den Tafeln stehen. Aus den Gestalten selbst ist schwer ihre biblische Bedeutung zu erraten. Es sind Menschen von Fleisch und Blut, die in nichts mehr den ideal drapierten, himmelwärts gewandten Wesen der älteren Epoche ähneln. Auf der einen Seite malt er die burgundischen Fürsten, wie sie mit ihrem Troß zur Jagd ziehen, auf der anderen Mönche und Bettler, Gesindel der Landstraße, das mit schwieligen Sohlen, das Gesicht von der Sonne gebräunt, die Stirn von Sorgen durchfurcht, über den Kiesboden schreitet.

      Noch mehr als die Leute fesselt die Landschaft. Blau, nicht mehr golden ist der Himmel. Weithin dehnt der grasbewachsene Boden sich aus. Gänseblümchen und Anemonen, Veilchen und Löwenzahn, Erdbeeren und Stiefmütterchen blühen darin. In dem Buschwerk glühen die Rosen. Cypressen, Orangen und Pinien erheben sich. Blaue Trauben schimmern aus dunkeln Gehängen hervor.

      Dieser südliche Charakter der Natur erinnert zugleich daran, weshalb gerade Jan berufen war, der Vater der Landschaftsmalerei zu werden. Die erste Anregung hat er vielleicht durch Miniaturwerke erhalten. Denn was er als Neues in das Altarbild einführte, war in der Buchmalerei schon lange üblich, die als aristokratischer Luxus sich größere Feinheiten und eine weltlichere Haltung als das Altargemälde gestatten konnte. In seiner Stellung als valet de chambre mag er manches livre d'heures gesehen haben, das sich den Blicken gewöhnlicher Sterblicher verbarg, und was er als Hofmaler erkundet, kam dem braven Jodocus Vydt zu gute. Doch den Ausschlag gab ein anderes Ereignis seines Lebens. Weites Reisen lenkt notwendig die Aufmerksamkeit auf das Fremdartige, was man in der neuen Umgebung sieht. Die Luft erscheint blauer, der Fernblick stimmungsvoller, die Erde schöner. Alles, woran man in der Heimat achtlos vorübergegangen, gewinnt plötzlich Bedeutung. Wie im 19. Jahrhundert die deutschen Maler erst nach Italien, Norwegen und dem Orient pilgerten, bevor sie die Heimat malten, wurde für Jan die portugiesische Reise, die er 1428 für seinen Herzog machte, die Offenbarung. Dort im Süden enthüllte sich ihm die Schönheit der Natur, und heimgekehrt, noch voll von Erinnerungen, erzählte er in frischer Begeisterung von all dem, was er im fremden Lande gesehen.

      In seinen selbständigen Werken folgt er noch mehr seinen persönlichen Neigungen. Während Hubert als Ausläufer der alten Monumentalmalerei ins Große ging, stets eine feierliche Haltung wahrte, ist Jan als Nachkomme der Miniaturisten der Feinmaler par excellence, der unerreichte Ahn aller Fortuny und Meissonier, der in kleinen Kabinettstücken Wunderwerke koketter Mache und koloristischer Delikatesse schafft. Er ist weit entfernt, in seinen kleinen Madonnen fromme Stimmung wecken zu wollen. Suchten die älteren Meister zum Himmel aufzusteigen, so zieht Jan ihn zur Erde nieder. Hatten jene sich ins Jenseits hinübergeträumt, so malt Jan einfache Ausschnitte aus dem Leben. Bei den Kölnern mußten die Figuren lang und schmächtig sein – wie die gotische Architektur alles Massenhafte durchgeistigte und nur die himmelstrebenden Pfeiler beibehielt. Jan van Eycks Gestalten sind nicht schlank, sondern untersetzt, und um den passenden Hintergrund zu schaffen, hat er nie die schlank aufsteigende Gotik, nur den massigen romanischen Stil verwendet. Auf den kölnischen Werken leuchtete aus den Augen Marias himmlische Sehnsucht. Jan macht sie zu einer gesunden flandrischen Mutter. Dort lebten die Gestalten im Paradies; hier sind sie mitten in die frohe Wirklichkeit versetzt. Entweder zeigt er Maria in einer Kirchenhalle, wo dann eine architektonische Perspektive mit pikanter, durch bunte Fenster einströmender Beleuchtung sich eröffnet. Oder den Hintergrund bildet ein Wohnzimmer, das Gelegenheit giebt glänzendes Messinggeschirr, Lampen und Kannen, spiegelnde Wasserflaschen und Teppiche zu ganzen Stillleben aufzubauen. Oder Maria steht im Freien. Dann blickt man auf Kirchen und Schlösser, auf Gärten und Flüsse, auf Marktplätze und Straßen hinaus. Es ist erstaunlich, wie er auf einer handgroßen Fläche den Eindruck weiter Fernsichten zu geben weiß; erstaunlich, wie er das Glitzern von Metall, die Gräschen einer Landschaft und auf den Gräschen jeden Tautropfen malt, wie er das Licht auf glänzenden Rüstungen, auf einem Krystallglobus, auf einem Stück Goldschmiedwerk spielen und schillern läßt.

      Man möchte sagen, daß in Bildchen der Art das ganze handwerkliche Geschick des nordischen Mittelalters gipfelte. Denn was an den gotischen Bauten des 14. Jahrhunderts, was an all jenen Tabernakeln, Kanzeln, Taufbecken und Sakramentshäuschen fesselt, die man in den nordischen Kirchen sieht, ist weder die Harmonie der Verhältnisse, noch die Reinheit der Linien, noch die Zartheit der Dekoration. Was frappiert, ist die unglaubliche Geschicklichkeit, mit der all dieses Maßwerk, all diese Rosetten geschnitten und ineinandergesetzt sind, als wäre es gar kein harter Stein, sondern weiches in der Hand zu knetendes Material. Nun im 15. Jahrhundert kommt diese manuelle Gymnastik auch der Malerei zu gute. Nachdem einmal der Blick sich den Formen der Wirklichkeit geöffnet, ist die Hand fähig, auch die lebende Natur mit derselben jongleurhaften Sicherheit zu meistern, wie die gotischen Architekten

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