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die Felsenschlucht des Vordergrundes noch in nächtlichem Dunkel liegt. In der Gefangennahme Christi hat ihn sogar ein Problem beschäftigt, das erst Elsheimer wieder aufnahm. Während am Nachthimmel die bleiche Mondscheibe steht, sind die Figuren von Fackellicht übergossen.

      Doch selbst darin macht sich nur ein Fortschreiten auf der alten Bahn, keine veränderte Marschroute bemerklich. Jan van Eyck hatte so viel vorweggenommen, so unvermittelt war sein Auftreten gewesen, daß die Folgenden schon genug zu thun hatten, wenn sie nur den Posten, auf den Jan sie gestellt hatte, behaupteten. Wohl treten in den Niederlanden noch große Persönlichkeiten auf, die sogar in das Drama der europäischen Kunst eingreifen. Doch sie gehen getrennt einher, das Zusammenarbeiten, die logische Entwicklung fehlt. Eine Kunst geschichte des 15. Jahrhunderts giebt es nur in Italien.

      9. Sturm und Drang in Florenz.

      Inhaltsverzeichnis

      In Florenz namentlich waren alle Bedingungen für eine logische Weiterentwicklung gegeben. Hier, wo Cosmo de Medici an der Spitze des Staates stand, wo die Strozzi, Bardi, Rucellai, Tornabuoni, Pitti und Pazzi durch die Kunst ihr junges Wappen vergoldeten, wurden der Malerei Aufgaben wie nirgends in der Welt gestellt. Aber auch das wissenschaftliche Centrum Italiens war Florenz geworden. All die großen Gelehrten, Anatomen und Mathematiker, die durch die Medici berufen waren, arbeiteten mit den Künstlern Hand in Hand. Ein wissenschaftlicher Geist durchzieht das Schaffen. Und nur dieser Geist war fähig, all die rein technischen Aufgaben zu lösen, die das Jahrhundert stellte. Nur weil in Florenz Künstler arbeiteten, die – fast mehr Gelehrte als Maler – mit fanatischem Eifer sich der Lösung einzelner Probleme widmeten, ihre ganze Lebenskraft daransetzten, in die formenbildende Werkstätte der Natur einzudringen, konnte die Malerei des Quattrocento ihre rapiden Fortschritte machen. Erst auf dem Fundament, das diese florentinischen Forscher legten, konnte sich überhaupt das Gebäude der modernen Malerei erheben.

       Das erste wichtigste Problem war die Perspektive. Gerade mit diesen Dingen hatte die frühere Zeit am unbeholfensten geschaltet. Giotto scheiterte jedesmal, wenn es galt, die Personen auf mehrere Pläne zu verteilen, das richtige Verhältnis der Figuren zu den Bauwerken herzustellen. Noch Masaccio folgte, so genial die Aufgaben gelöst sind, doch empirisch seinem Gefühl. An die Stelle dieses Tastens mußte klare wissenschaftliche Erkenntnis treten. Das richtige Verhältnis der Figuren im Raum wie die weitere Ausbildung der Landschaft war erst möglich, nachdem die perspektivischen Regeln feststanden. So widmen sich die größten Geister zunächst diesen Fragen.

      Brunellesco, der große Baumeister, schafft die Grundlage. Unterstützt von dem Mathematiker Paolo Toscanelli, stellt er als erster den Satz auf, daß die Objekte desto kleiner erscheinen, je mehr sie sich vom Auge entfernen, und liefert den Beweis in einer Zeichnung, die den Platz des Baptisteriums darstellte. Damit war der Weg eröffnet, er wurde weiter verfolgt. Leo Battista Alberti, der das erste Buch seines Werkes über die Malerei vornehmlich der Perspektivlehre widmet, bringt das bisher nur mündlich Ueberlieferte in schriftliche Fassung und erfindet das Quadratnetz, das es ermöglicht, die kompliziertesten Aufgaben mit mathematischer Genauigkeit zu lösen. Daß ein besonderer Beruf, der des Prospettivista entstand; daß für die farbigen Holzinkrustationen der Möbel lange Zeit Darstellungen beliebt waren, die nichts als perspektivische Paradigmen sind; daß Ghiberti sogar seine Reliefe wie Bilder mit perspektivischem Hintergrund behandelte, sind weitere Beispiele dafür, welche Wichtigkeit das Quattrocento der neuen Wissenschaft beilegte.

      Als Maler setzt Paolo Uccello an diesem Punkte ein. Vasari erzählt, Uccello habe seinen Beinamen deshalb erhalten, weil er trotz seiner Armut eine ganze Menagerie, darunter seltene Vögel sich hielt. In diesem Studium der Tiere, das so bezeichnend ist für das Quattrocento, berührt er sich also mit Pisanello. Doch namentlich war seine Thätigkeit die, daß er zusammen mit seinem Freunde, dem Mathematiker Manetti, die perspektivischen Regeln in ein festes Lehrgebäude brachte. Es hat etwas Rührendes, einen solchen Arbeiter zu sehen, der über seinen Problemen zum Sonderling wird, die ganze Welt vergißt, Nächte hindurch über seinen Untersuchungen brütet. Was kümmert ihn das Leben! Was kümmert ihn Malerei! Wenn irgend möglich, hält er seine Bilder monochrom. Muß er sie farbig ausführen, so ist ihm gleichgültig, ob seine Pferde rot oder grün sind. Denn die Aufgabe, die ihm das Schicksal gestellt, ist nur die Lösung perspektivischer Fragen.

      So schildert er, als er die Sündflut im Kreuzgang von Santa Maria Novella malt, nicht die Schrecken einer Weltüberschwemmung, was jeder Giottist gekonnt hätte. Er stellt sich Probleme, die – nur der Schwierigkeit halber aufgesucht – das Ganze wie die Illustration eines perspektivischen Lehrbuchs erscheinen lassen. Im Gegenstück dazu, dem Opfer Noahs, läßt er ein Wesen, das Gott Vater darstellen soll, kopfüber aus den Wolken herabfallen – nur um festzustellen, wie jemand, der von einem Gerüst herabstürzt, aussehen würde, wenn er plötzlich erstarrt im Raume hängen bleibt. Auch seine Schlachtenbilder erscheinen dem modernen Auge befremdlich. Sie ähneln mehr Karussellpferden als wirklichen, diese seltsam gefärbten, dickhalsigen Rosse, die sich da bäumen oder steif auf dem Boden liegen.

      Doch das Wort »Schlachtenbilder« erinnert daran, welchem riesigen Umwandlungsprozeß man beiwohnt. Schon daß solche profanen Dinge überhaupt gemalt wurden, zeigt den Siebenmeilenstiefelschritt der Zeit. Und bedenkt man, daß Uccello auf einem Boden steht, auf dem er überhaupt keine Vorgänger hatte, daß, was er anstrebte, erst im 16. Jahrhundert von Rafael und Tizian, im 17. von Salvator Rosa und Cerquozzi wieder aufgenommen wurde, dann erkennt man die kunstgeschichtliche Bedeutung dieses kühnen fanatischen Geistes. Keine Eroberung geschieht auf einen Schlag. Neue Probleme aufwerfen ist verdienstvoller, als Altes formvollendet nachbeten. Nur Geistern wie Uccello dankt es die florentinische Malerei, daß sie nicht gleich der niederländischen stehen blieb, sondern immer neue Höhen erklomm. Und wie erstaunlich sind die Bewegungen dieser Reiter beobachtet. Wie klar sondern sich die Pläne! Mit welch botanischer Genauigkeit sind all diese Blätter und Orangen gemalt! Wie bemüht er sich, mit der Scharfäugigkeit des Japaners, die verschiedene Stellung all dieser Aestchen und Blättchen perspektivisch richtig zu geben! Liest man seine Biographie und betrachtet seine Werke, dann empfindet man Ehrfurcht vor diesem Märtyrer, der das Studium der Perspektive, der Blätter und Baumäste wie einen heiligen Gottesdienst betrieb.

      Auch sein Reiterstandbild des Condottiere John Hawkwood ist von epochemachender Bedeutung. Renaissancegeist und Reiterstandbild – das sind fast gleiche Begriffe. Wie in den Zeiten der Antike sollten Reiterstatuen auf den öffentlichen Plätzen sich erheben. Da die Plastik noch nicht fähig war, die Aufgabe zu lösen, nahm man mit gemalten Reiterstatuen vorlieb. Alles ist in Uccellos Bild von charaktervoller monumentaler Haltung. Donatello lernte von ihm, als er 17 Jahre später die Statue des Gattamelata schuf. Noch Tizians Reiterbildnis Karls V. hat Uccellos Hawkwood zur Voraussetzung.

      Das zweite Problem war, dieser neuen Zeit auch den neuen Körper, die neue Seele zu geben. Im Mittelalter fühlten sich die Menschen als Herde, die dem guten Hirten folgt. Demgemäß kannte auch die Kunst das Einzelwesen, die Besonderheit nicht. Ein gleichmäßiger, allgemeiner Schönheitstypus herrscht. Lange, schmächtige Gestalten stehen da, der Körperbau ohne feste Zeichnung, sämtliche Linien von allgemeiner Rundung. Auch die Haltung ist gleichmäßig: jene zierliche, geschwungen ausgebogene Stellung; zimperliches Auftreten der Füße, die noch kaum wagen, den Boden zu berühren. Denn die Erde ist nicht das Heim des Menschen, sein Leben nur ein Wandern zur Ewigkeit.

      Das 15. Jahrhundert bezeichnet den Sieg des Individualismus, das rücksichtslose Hervortreten des Einzelnen. Eine Fülle scharf umrissener Charaktere taucht plötzlich auf, kernige, aus ganzem Holz geschnitzte Persönlichkeiten, Gewaltnaturen, die ebenso sehr in die Galerie der großen Männer wie in die der Verbrecher gehören. Charakter, Eigenart, Kraft, Energie, sind die Schlagwort des Zeitalters. Diese neue Menschheit, alle jene knorrigen, markig-männlichen Gestalten, wie die Zeit sie geschaffen, mußten auf den Bildern erscheinen. Liebte man vorher milde Schönheit, das Weibliche, Engelhafte, Zarte und Liebliche, Sanfte und Schmiegsame, so galt es jetzt, energische, kraftvolle Menschen zu schaffen. Auf den Bildern der älteren Meister waren die Männer sogar, obwohl sie Bärte haben, weiblich befangen. Jetzt handelte es sich, an die Stelle des Biegsamen,

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