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sein müsse, vor den Richterstuhl des Höchsten zu treten. So entstand damals das Gedicht von den drei Toten, die den drei Lebenden in den Weg treten mit der ernsten Mahnung: »Was ihr seid das waren wir, was wir sind das werdet ihr«. Jacopone dichtete seine Lieder, worin er den Allgleichmacher Tod als die fürchterliche Macht besang, die plötzlich und tückisch ins blühende Leben eingreift. Das Gegenstück zu diesen Gedichten bildet der Trionfo della morte des Camposanto, von allen symbolischen Darstellungen des 14. Jahrhunderts wohl die bedeutendste. Denn nicht nur in der großartigen Gestaltung der Idee, auch an Naturbeobachtung geht dieser Meister über das Niveau der Schule hinaus. Hatte Giotto sich als Landschafter auf nackte Felsen beschränkt, so wird hier zum erstenmal die Natur im Schmucke der Vegetation gegeben. Ebenso imponiert die realistische Kühnheit, mit der er die zurückscheuenden Pferde oder bei der Bettlergruppe die Verkrüppelungen und Verstümmelungen malt.

      Ueberhaupt sind gewisse stilistische Fortschritte, die über Giotto hinaus gemacht wurden, auch in manchen anderen Werken bemerkbar. Orcagna und die Sienesen ergänzen ihn in der psychologischen Analyse. Hatte Giotto starke Empfindungen in dramatischer Deutlichkeit interpretiert, so malt Orcagna auch feinere leise Gefühle, die verschwiegen ein halbes Traumleben führen. Ebenso halten die Sienesen auch im Fresko an ihrer heimischen Empfindung fest und gehen dadurch psychisch über Giotto hinaus. Statt des energischen Ausdrucks des Altmeisters herrscht bei ihnen mehr weiche Träumerei, statt ernster Leidenschaft milde Lieblichkeit, statt pathetischer Dramatik lyrisch empfindsame Zartheit.

      Durch seine realistischen Hintergründe fällt der Meister auf, der die Fresken der Capella Spagnuoli schuf. Er zeichnet das einemal einen Garten mit Obstbäumen und bevölkert ihn mit jungen Leuten, die Früchte pflücken oder sich im Schatten ergehen. Das anderemal giebt er die Kathedrale von Florenz genau so, wie sie von den zeitgenössischen Architekten geplant war. Noch weiter gehen nach der realistischen Seite die Paduaner. Hatte Giotto in einfachem Reliefstil die Figuren nebeneinander gestellt, so versuchen die Paduaner schwierigere perspektivische Probleme. Die Bauwerke des Hintergrundes sind korrekter in den Größenverhältnissen, die entfernten Gestalten perspektivisch richtiger verkleinert. Auch die Charaktere sind individueller, mehr porträtartig gefaßt, die Tiere ebensogut wie die Menschen beobachtet. Namentlich die Wiederkäuer, den ruhigen langsamen Schritt der Ochsen haben sie in verblüffender Weise gezeichnet. Selbst das Nackte ist, wo es bei Martyrien darzustellen war, mit einer gewissen Naturkenntnis gegeben.

      Von einer eigentlichen Entwicklung in realistischem Sinn läßt sich gleichwohl nicht sprechen. Wenn von einem Schüler Giottos, einem gewissen Stefano berichtet wird, er sei wegen seines naturalistischen Stils »Affe der Natur« genannt worden, so ist dieser Notiz ebenso bedingter Wert beizumessen wie dem Urteil, das Boccaccio über Giottos Naturalismus fällt. Richtiger kennzeichnet Dantes Commentator Benvenuto da Imola die Lage, wenn er zu den Versen Dantes, daß Giotto in der Malerei das Feld behaupte, noch 1376, also 40 Jahre nach Giottos Tod die Anmerkung macht: »Und wohlgemerkt, er behauptet es noch immer, da seitdem kein Größerer gekommen«. Wie während des Mittelalters der byzantinische, herrschte während des 14. Jahrhunderts der Giottostil. In der Erweiterung des Stoffgebietes, nicht in der Vermehrung des von Giotto angehäuften technischen Kapitals bestand die Entwicklung. Die Formen, die der Altmeister geschaffen, dienen den Malern dazu, nun den ganzen Gedankengehalt der Zeit in bildliche Anschauung umzusetzen. An die dunkelsten Allegorien, die phantastischsten Vorstellungen vom Jenseits, die Bearbeitung der gelehrtesten Kirchendogmen treten sie heran, wollen in das ABC der Form, wie es Giotto festgestellt, gleich die Unendlichkeit weltbewegender Ideen legen. An der technischen Vervollkommnung dieser Formen arbeiten Wenige. Die ganze Malerei war – wie in unserem Jahrhundert zur Zeit des Cornelius – das Produkt einer vorwiegend litterarischen Epoche, als die großen Denker und Dichter, Dante und Petrarka, die Geister beherrschten und auch den Künstler veranlaßten, sich nicht als Maler, sondern als Dichter seiner Werke zu fühlen.

      II. Die Nachblüte des mittelalterlichen Stils im Quattrocento.

      Inhaltsverzeichnis

      5. Der Kampf des alten mit dem neuen Zeitgeist.

      Inhaltsverzeichnis

      Die Reaktion gegen die Gedankenmalerei der Giottoschüler war notwendig, eine Lebensfrage. Statt an die Kirchenlehrer an die Poeten sich anzulehnen, mußte die Malerei selbst stehen lernen. Statt Gelehrsamkeit zu illustrieren, mußte sie Herrin im eigenen Hause werden. Das ist der Umschwung, der sich im 15. Jahrhundert vollzog. All jene Triumphe der Keuschheit, der Armut, der ecclesia militans, jene Allegorien des guten und schlechten Regiments, wie sie die Gedankenmaler ersonnen hatten, fanden keine Bearbeitung mehr. An die Stelle der dogmatisch-didaktischen Bestrebungen, an die Stelle der literarischen Kompositionen treten einfache Bilder, die in sich selbst die Berechtigung für ihr Dasein tragen. Man erdichtet nicht mehr, sondern beobachtet, malt keine Gedanken mehr, sondern Dinge. So bedeutet das 15. Jahrhundert die allmähliche Eroberung der sichtbaren Welt und Hand in Hand damit die allmähliche Ausbildung der Technik.

      Auch die große Kulturwandlung, die sich zu Beginn des Quattrocento vollzog, lenkte die Malerei in diese Bahn, Die Kultur des Mittelalters war durchaus kirchlich gewesen. Die Kirche regelte die Sitten der Völker, unterwies sie in praktischen Dingen und belehrte sie in geistigen, soweit es ihr gut schien. Allmählich war die Menschheit herangereift und wies die Bevormundung als Zwang von sich ab. Die Einheit des mittelalterlichen Bewußtseins ging in die Brüche. Sinnlichkeit und Denken machten der Askese, dem blinden Glauben gegenüber ihre Rechte geltend. Die christliche Demut weicht dem Gefühl persönlicher Starke. Statt sich mit dem Wechsel auf das Jenseits zu begnügen, beginnt der Mensch sich einzurichten auf der Erde, die Kräfte und Geheimnisse des Alls sich dienstbar zu machen. Neue Erdteile werden entdeckt, umwälzende Erfindungen auf allen Gebieten gewerblicher Thätigkeit gemacht. Es ist bekannt, wie unter der Herrschaft dieser neuen Principien bald die große Aufgabe einer gänzlichen Neugestaltung der Wissenschaft sich im Hintergrund zeigte. Nicht minder bekannt, welche ungeheuren Folgen der Zusammenbruch der mittelalterlichen Ideale auf die äußere Gestaltung des Lebens hatte. Es war, als sei den Menschen plötzlich der Boden unter den Füßen weggezogen. Alle Überlieferungen, die bis dahin bindende Kraft gehabt, waren erschüttert. Alle Untiefen des menschlichen Herzens thun sich auf. Hatte man vorher das Erdendasein als eine Vorbereitung zur Seligkeit aufgefaßt, so will man jetzt auf Erden sich ausleben. Ging man damals in Sack und Asche, so liebt man jetzt die Feste und Turniere, die Maskeraden und Bälle, den Luxus der Tafel wie den Luxus der Kleider. Dem Wiederaufleben der Sinnlichkeit gesellt sich die Rebellion gegen den Staat, die Familie. Schriftsteller treten auf, die in ganz moderner Skepsis die mönchstheologische Moral dem Spott und dem Gelächter preisgeben. Neue Staaten formen sich allerwärts. Da monarchische Gewaltherrschaften, in denen Herrscher war, wer durch Kraft und Schrecken emporzukommen, durch Kraft und Schrecken sich zu behaupten wußte, dort städtische Republiken, dem wildesten Parteihader preisgegeben und gleichwohl durch ein freies betriebsames Bürgertum blühend.

      Die Kunst geht immer parallel mit den allgemeinen Anschauungen, der Kultur, den Sitten. Sie ist der Spiegel, die abgekürzte Chronik ihrer Zeit. Auch in ihr wich daher der Zug nach dem Jenseits dem nach dem Diesseits. Die Weltfreude der Epoche kommt auch in den Bildern zum Ausdruck. Hatte das 14. Jahrhundert, die Zeit der Mystiker, die Tiefen des Seelenlebens erschlossen, so nimmt das 15. Jahrhundert Besitz von der Außenwelt. Wie Handel und Schiffahrt neue Welten, so entdeckt die Malerei das Leben. Nicht mehr Andacht und fromme Empfindungen will sie wecken, nein, die irdische Welt in all ihrer Schönheit will sie spiegeln.

      Dazu reichten die technischen Errungenschaften des Trecento nicht aus. Auf die Erweiterung des Inhalts, die das 14. Jahrhundert gebracht hatte, mußte die Verbesserung der Darstellungsmittel folgen. Während die Malerei des Trecento vor lauter gedankenhaft-didaktischen Bestrebungen nicht zu stilistischen Fortschritten kam, ist die des Quattrocento, viel bescheidener in den Stoffen, an rein künstlerischen Eroberungen desto reicher. Nicht in ihrer Weltfreude nur sind die Maler echte Kinder ihrer Zeit. Auch als technische Pfadfinder sind sie würdige Genossen des Kolumbus und Gutenberg.

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