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nicht jäh und plötzlich ist die Wandlung erfolgt. Viel zu mannigfache Bestrebungen kreuzten sich in diesem großen Jahrhundert, als daß es en bloc das Jahrhundert des Realismus genannt werden könnte. Die materialistische Strömung, die auf die Eroberung der irdischen Welt gerichtet war, bildete nur einen Faktor der großen Kulturbewegung, Man darf nicht glauben, daß wirklich alle Religion mit einem Schlage vergessen, alle Fragen des Gemütes verstummt wären. Nein, die Lehre vom Elend des Irdischen, von der Verächtlichkeit der Welt, von der einzigen Rettung durch den Glauben hatte auch jetzt noch ihre begeisterten Apostel. Gleich am Eingang des Jahrhunderts steht die wunderbare Gestalt der heiligen Katharina von Siena. Später kamen Fra Giovanni Dominici und der heilige Antoninus, die durch ihre Predigten und Schriften namentlich in der Frauenwelt eine neue religiöse Begeisterung wachriefen. Das 15. Jahrhundert ist eine Epoche, in der die Anschauungen zweier Weltalter, die religiösen Ideen des ausgehenden Mittelalters und die Weltfreudigkeit des modernen Geistes miteinander ringen. Die gleiche Doppelströmung geht durch die Malerei. Den Realisten, die die Wahrheit suchen mit heißem Bemühen, stehen andere gegenüber, die zwischen den Fortschritten der Neuerer und dem Geist des Mittelalters die Brücke zu schlagen suchen. Die technischen Errungenschaften ihrer Zeitgenossen verschmähen sie nicht. Aber auf die Hinterlassenschaft des Mittelalters wollen sie auch nicht verzichten. Der Körper bedeutet noch immer das Gefäß für den Geist, die irdische Hülle, die den himmlischen Schmetterling umschließt. Nicht an das Auge, wie die Realisten, an Herz und Seele wenden sie sich. Eine gewisse archaische Haltung bringt schon äußerlich ihre Bilder zu denen der anderen in Gegensatz. Denn während sonst das 15. Jahrhundert die goldenen Hintergründe zu Gunsten natürlicher Lokalitäten beseitigte, haben diese Meister, die Principien des Mittelalters verfeinernd, überhaupt erst den Stimmungszauber des Goldes erkannt. Es genügt ihnen nicht, die goldenen Hintergründe beizubehalten und goldene Ornamente überall anzubringen. Gewisse Dinge, wie die Schlüssel des heiligen Petrus und die Edelsteine in der Krone Marias führen sie in Hochrelief aus und geben dadurch ihren Bildern eine feierliche, preciös archaische Wirkung. Noch um 1430 gehen diese fortschrittlichen und konservativen Elemente gleichberechtigt nebeneinander her.

      6. Byzantinismus und Mystik.

      Inhaltsverzeichnis

      Die konservativste Stadt nicht nur Italiens, sondern Europas, war Venedig. Venedig fühlte sich als Tochterstadt von Byzanz. Im Orient ruhte seine Macht. Orientalisch waren die Sitten. Das Haremsleben der Frauen, der Sklavenhandel und die Tracht – es ist ein Stück Orient auf abendländischer Erde. Auch die Staatsverfassung, obwohl dem Namen nach Republik, war byzantinisch. Denn in Wahrheit lag die Macht in den Händen weniger alt-aristokratischer Geschlechter. Diese waren wie in ihren sonstigen Anschauungen auch in der Kunst konservativ. Die feierliche Würde und strenge Erhabenheit byzantinischen Stils, seine Gebundenheit an feste überlieferte Formen entsprach der konservativen Gesinnung weit mehr als eine Kunst, die nach Neuem suchte. Das Alte war gut. Quieta non movere.

      Aber auch die Farbenpracht, der glitzernde Glanz byzantinischer Malerei kam dem Geschmack entgegen. Die zauberische Lage Venedigs zwischen See und Land, dazu die bunten, glitzernden Dinge, die aus dem Orient herüberkamen, persische Teppiche, mildleuchtende Edelsteine und funkelnde Goldgeschmeide – das alles hatte das Auge des Venetianers an stärkste Farbenwirkungen gewöhnt. Mit buntem Marmor sind die Wände des Markusdomes bekleidet, mit glanzvollen Mosaiken alle Wölbungen geziert. Dieser feierliche Goldglanz, die strenge Pracht der Mosaiken von San Marco galt noch dem 15. Jahrhundert als höchstes Ideal. Dieselbe Farbenpracht, wie sie die musivische Malerei erreichte, wurde vom Tafelbild verlangt. Man forderte große, farbige Wirkung, goldschimmernden juwelenartigen Glanz, ernste vom Rankenwerk üppiger Ornamente umgebene Gestalten, die feierlich aus geheimnisvollem Goldgrund aufleuchten. Solche Wirkungen vermochte nur die byzantinische Malerei zu erzielen. Nur sie kam in ihrem starren Ceremoniell der konservativen Gesinnung, nur sie in ihrer leuchtenden Farbenpracht dem künstlerischen Geschmack des Venetianers entgegen.

      Jacopo del Fiore und Michele Giambono waren noch im 15. Jahrhundert echte Vertreter dieses Stils. Goldstarrende Heilige, hagere, schwer umrissene Gestalten stehen auf ihren Bildern inmitten einer barbarischen Architektur von greller betäubender Pracht. Archimandriten und Patriarchen mit langen, weißen Bärten, richterlich streng, heben die goldbekleideten Arme empor, um die im Staube knieende Gemeinde zu segnen. Noch um 1430 lebte in einer Stadt Italiens der kalt erhabene Geist des Byzantinismus, jene grauenhaft leere und doch so gewaltige Kunst, die in ihrer finsteren Starrheit das ganze Machtbewußtsein der alten, großen mittelalterlichen Kirche spiegelt. Noch um 1430 entstehen Bilder, die nicht ahnen lassen, daß zwei Jahrhunderte vorher schon Franziskus von Assisi gepredigt.

      Aber nicht der Byzantinismus allein, auch die Mystik fand im 15. Jahrhundert noch eine duftige Nachblüte. Eine Reihe von Meistern tritt auf, die jene mystische Vision eines Himmels auf Erden, die einst Duccio, Lorenzetti und Wynrich gehabt, fast noch zarter und holdseliger malen, als jene älteren mit ihrer mangelhaften Technik es vermochten. In gewissem Sinn folgen diese Meister schon dem neuen Zeitgeist. Im Gegensatz zum Trecento, dem Jahrhundert der Bettelmönche, schwelgen sie im glitzernden Glanz dieser Welt. Was die Reichen der Erde freut, die zierlichen Erzeugnisse der Goldschmiedekunst, Perlen und Kleinodien, wird auch den Himmlischen als Schmuck verliehen. Namentlich die Anbetung der Könige wird ein beliebtes Thema, weil sie Gelegenheit giebt, zugleich Biblisches und irdischen Prunk, verehrende Demut und den Glanz höfischen Lebens zu schildern. Auch in der Landschaft gehen sie über ihre Vorgänger hinaus. Rosenhecken, blumenbesäte Wiesen und bunte Vögel, die im Rankenwerk singen, sollen die Paradiesesstimmung der Bilder steigern. Sogar mit den technischen Kunstgriffen ihrer Zeitgenossen machen sie sich schüchtern vertraut. Doch nicht der Kunstfertigkeit wegen, nur um mit Hilfe dieser verbesserten Instrumente das noch reiner auszuprägen, was der Kunst des Trecento überhaupt die Fähigkeit zu existieren gegeben, was an ihr ewig und unvergänglich war. Träumer, nicht Beobachter, mit Sensibilität, nicht mit kaltem Forschergeist begabt, bedienen sie sich der neuen Kunstgriffe nur, um den großen Fonds des Trecento von neuem zu heben, all jene Schätze von Zärtlichkeit, Innigkeit, Liebe, die der Geist des Mysticismus erschlossen.

      Das heilige Köln, die Heimstätte Susos, hält noch 1450 an dem Stile fest, den einst Hermann Wynrich begründet. Denn betrachtet man die Bilder S tephan Lochners, der von 1442-1451 das Kölner Kunstleben beherrschte, besonders das berühmte Dombild, das als sein Hauptwerk gilt, so bemerkt man wohl das schüchterne Eindringen weltlicher Elemente. Das Aetherische, die irdische Auflösung im himmlischen Erlöser ist nicht mehr einziges Ziel. Die Körper haben ihre Schmächtigkeit verloren, die Köpfe sind rundlicher, Hände und Arme weniger mager als auf älteren Werken. Die Füße, die früher kaum den Boden zu berühren wagten, stehen in behaglicher Breite da. Bei den Köpfen der Frauen ist weniger das Magdhafte, Schüchterne als das schalkhaft Anmutige betont. Die Tracht, bisher ganz ideal, in schweren Massen den Körper umfließend, folgt mehr dem Kostüm des Tages. Es spricht ein Maler, der mit kindlicher Lust alles Glänzende, Funkelnde sammelt, um seine Heiligen damit zu schmücken. Ein principieller Unterschied zwischen seinen und Wynrichs Werken ist trotzdem nicht vorhanden. Die Unschuld und minnigliche Holdseligkeit, die überirdische Lieblichkeit des älteren Meisters ist auch noch diesen Gestalten eigen. Gleich Wynrich fühlt Lochner sich nur wohl, nicht wenn es um Martyrien und wilde Dramatik, sondern um Frömmigkeit und Demut, um milde Freundlichkeit und idyllischen Zauber sich handelt.

      Die schöne Madonna des erzbischöflichen Museums in Köln ist offenbar noch vor dem Dombild entstanden. Die Gestalt Marias hat die gebrechliche Schlankheit der älteren Epoche. Die dünnen Arme und schmalen Hände, auch die engen Schultern, die Biegung der Gestalt und die mädchenhafte Zartheit des Kindes, das in seinem Hemdchen halb als Baby, halb als Heiland sich fühlt, entsprechen der Art Hermann Wynrichs. Nur der Kopf der Madonna mit dem sorgfältig gescheitelten, von einer Perlenschnur umwundenen Haar und die große Agraffe, die ihren Mantel ziert, weisen auf den Zeitunterschied zwischen Wynrich und Lochner hin. Ebenso behandelt die Madonna im Rosenhag noch das alte, seit Wynrich beliebte Thema. Zwei Engel schlagen einen Vorhang zurück, und der Himmel in strahlendem Glanz thut sich auf. Wie ein König thront der kleine Jesus im Schoße Marias, die, fürstlich mit der Krone geschmückt,

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