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nie ausreichen.«

      »Das habe ich auch gedacht. Gerade vorhin.«

      Er sah sie an. »Sie denken ein bißchen zuviel, scheint mir. Sie dürfen sich nicht jedes einzelne Schicksal ihrer Patienten so ... zu Herzen gehen lassen.«

      »Ich weiß wohl, aber gerade in diesem Fall...«

      Dr. Wörgel sah sie mit einem merkwürdigen Blick an, es schien, als wenn er noch etwas dazu sagen wollte.

      In diesem Augenblick stöhnte die Kranke tief. Sie fuhren beide herum und sahen, wie Irene Spielmann die Augen aufschlug — große, braune, glanzlose Augen mit einem seltsam stumpfen Blick. Sie benetzte die Lippen, schluckte trocken.

      »Zu trinken!« sagte Dr. Wörgel kurz.

      Daniela stützte den Rücken der Kranken, flößte ihr aus der Schnabeltasse vorsichtig Flüssigkeit ein.

      »Na, wie fühlen wir uns?« fragte Dr. Wörgel aufmunternd.

      Die Patientin schwieg.

      »Wir haben uns Sorgen um Sie gemacht, liebe Frau Spielmann«, fuhr der Arzt in dem gleichen freundlichen Onkel-Doktor-Ton fort. »Sie waren ziemlich lange ohne Bewußtsein. Jetzt fühlen Sie sich schon besser, nicht wahr?«

      Die Patientin sprach immer noch kein Wort. Selbst ihre Augen blieben ganz und gar ausdruckslos. Möglicherweise war sie nicht imstande, ein Wort von dem, was Dr. Wörgel ihr sagte, tatsächlich zu begreifen.

      »Haben Sie irgendeinen Wunsch, Frau Spielmann?« versuchte Daniela es.

      Jetzt wandte der Blick der stumpfen Augen sich ihr zu.

      »Das Gehör ist jedenfalls in Ordnung«, sagte Dr. Wörgel. Er beugte sich zu der Patientin, nahm ihre beiden Hände. »Bitte, Frau Spielmann, sagen Sie doch ein Wort! Oder ... nicken Sie wenigstens, damit ich weiß, ob Sie mich verstehen!«

      Nach einer kleinen Pause:

      »Haben Sie Schmerzen?«

      Keine Antwort.

      »Na, immerhin ist sie bei Bewußtsein, damit sind wir einen großen Schritt weiter. Möglich, daß sie immer noch unter den Nachwirkungen des Unfallschocks steht. Wir können jetzt sowieso nichts machen. Ich werde ihr eine Spritze geben, damit sie schläft ... Ruhe ist oft das beste Heilmittel!«

      Schwester Daniela wollte etwas einwenden, aber noch rechtzeitig besann sie sich darauf, daß es ihr als Schwester nicht zustand, einem Arzt Ratschläge zu geben.

      Die Kranke zuckte leicht zusammen, als ihr Dr. Wörgel die Nadel in ihre Vene schob.

      »Na also ...«, sagte der Arzt befriedigt. »Es wird schon wieder werden.« Er stand auf. »In ein paar Minuten wird die Patientin eingeschlafen sein. Eigentlich könnten Sie ja jetzt nach Hause gehen ...«

      »O nein«, sagte Daniela spontan. »Ich möchte doch ...«

      »Es war mir auch nicht ernst damit. Ich wäre Ihnen ganz im Gegenteil dankbar, wenn Sie sich wachhalten könnten, Schwester. Vielleicht... es ist immerhin eine Möglichkeit... spricht die Patientin im Schlaf. Eine solche Feststellung wäre für die Diagnose sehr bedeutsam. Sie werden aufpassen?«

      »Selbstverständlich, Herr Doktor!«

      Stunde um Stunde lauschte Daniela mit fast fieberhafter Aufmerksamkeit. Vergebens. Kein Ton kam über die Lippen der Kranken.

      3

      Als Schwester Daniela am nächsten Morgen nach Hause kam, fühlte sie sich wie gerädert. Sie war froh, als sie sich endlich in den kühlen Laken ihres Bettes ausstrecken dürfte.

      Sie hatte das Gefühl, gerade erst eingeschlafen zu sein, als zwei kleine Hände sie beim Arm packten und sie schüttelten. »Mutti! Mutti! Wach doch auf!«

      Daniela setzte sich hoch, riß die Augen auf. »Ist was passiert?«

      »Onkel Harald ist da.«

      Als sie wenige Minuten später in ihrem blauen, seidenen Morgenrock, kleine rote Lederpantoffeln an den Füßen, das kastanienbraune Haar nur flüchtig gekämmt, ins Wohnzimmer trat, erhob sich Harald Spielmann sofort.

      Sie reichte ihm nicht die Hand. »Du hättest nicht kommen sollen«, sagte sie.

      »Ich weiß. Aber ich konnte nicht anders.«

      Ein neuer Ton in seiner Stimme machte sie aufmerksam.

      »Eva«, sagte sie, »willst du, bitte, Mutti einen Gefallen tun und für ein paar Minuten in die Küche gehen, ja? Ich glaube, Onkel Harald möchte mir etwas sagen ...«

      »Was denn? Ein Geheimnis?«

      »Ja.«

      »Für meinen Geburtstag?«

      »Vielleicht, Liebling. Geh jetzt, bitte, in die Küche, ich rufe dich dann, wenn du wieder hereinkommen kannst, ja?« Sie strich ihrer kleinen Tochter zärtlich durch das lockige, verwuschelte Haar.

      »Ich habe mit Professor Kortner gesprochen«, sagte Harald Spielmann, kaum daß Eva die Tür ins Schloß gezogen hatte.

      »Ja?«

      »Er sagt... ach, Daniela, es ist zu schrecklich!« Er schlug die Hände vors Gesicht, seine breiten Schultern bebten.

      Sie fragte nichts, wartete ab, bis er sich wieder einigermaßen beruhigt hatte.

      »Ihr ... Bewußtsein ist getrübt«, sagte er endlich.

      Daniela zog die Augenbrauen zusammen. »Was soll das heißen?«

      »Sie ist wieder zu sich gekommen ...«

      »Ja, das weiß ich. Gestern nacht. Ich war dabei.«

      »Aber ... sie ist noch nicht ganz da. Sie spricht nichts, und man weiß nicht, ob sie etwas versteht.«

      »Deshalb würde ich an deiner Stelle nicht so erschreckt sein, Harald«, sagte Daniela beruhigend. »Du darfst nicht vergessen, daß deine Frau einen gewaltigen Schock bekommen hat. Durch den Unfall... vielleicht sogar schon vorher. Es kann eine Zeit dauern, bis sie den überwunden hat.«

      »Ja, aber, ich ... Der Professor sagt, es könnte sich möglicherweise um eine Schädigung des Gehirns handeln. Bitte, Daniela, sag mir ganz ehrlich, was glaubst du?«

      Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin keine Ärztin, Harald. Ich kann keine Diagnosen stellen!«

      »Aber du hast schon so viele Kranke gepflegt... auch Schwerverletzte nach Unfällen! Du mußt doch ... ein Gefühl für die Sache haben!«

      »Weißt du, mit Gefühlen kann man in der Medizin nicht sehr viel anfangen ...«

      »Du weichst mir aus!«

      »Nein ... warum sollte ich?«

      »Niemand kann mir zumuten, daß ich mit einer Irrsinnigen weiter zusammenlebe!«

      »Mit einer Kranken, Harald.«

      »Es ist also wahr?« Er schrie es fast.

      »Bitte, Harald, nicht so laut!« sagte sie nervös. »Denk an das Kind!«

      Er trat auf sie zu, packte sie bei den Schultern. »Ich könnte es nicht ertragen, Daniela, glaub mir, ich könnte es nicht!«

      Sie sah sein blasses, verzerrtes Gesicht sehr nahe vor sich. »Bitte, laß mich los!«

      Er ließ die Hände sinken, starrte dumpf vor sich hin. »Harald«, sagte sie, »warum bist du zu mir gekommen? Was erwartest du von mir? Daß ich dich tröste?«

      »Daß du mir hilfst!«

      »Ich ... dir? Aber wie könnte ich das?«

      »Du weißt es.«

      »Ich verstehe dich nicht«, sagte sie hilflos, dann stieg ein furchtbarer Verdacht in ihr auf. »Ich will dich nicht verstehen, bitte, Harald, bitte! Geh jetzt!«

      »Daniela«,

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