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immer geschieht, das Zimmer nicht verlassen dürfen!«

      »Selbstverständlich nicht, Herr Doktor.«

      »Also dann, gute Nacht, Schwester Daniela.«

      »Frohe Weihnachten, Herr Doktor.«

      »Wahrhaftig, das hätte ich fast vergessen! Danke, Schwester, ich wünsche Ihnen dasselbe. Hat uns sehr leid getan, daß wir Sie ausgerechnet am Heiligen Abend Ihrer kleinen Tochter entreißen mußten.«

      Schwester Daniela lächelte. »Halb so schlimm. Für Eva war’s sowieso Zeit, zu Bett zu gehen.«

      Schwester Daniela ging zu dem weißgedeckten Tisch, nahm den Karton mit der Fiebertabelle und dem Krankenbericht zur Hand, las den Namen: Irene Spielmann.

      Eine Sekunde lang war es ihr, als wenn eine kalte Hand nach ihrem Herzen griffe, dann hatte sie das kurze Entsetzen schon überwunden, mußte über sich selbst lächeln. Warum sollte die Patientin nicht Spielmann heißen? Es war ein Zufall, nichts als ein lächerlicher Zufall, nicht der geringste Grund, erschrocken zu sein.

      Hinter dem Namen stand die Diagnose — sie war in lateinischen Fachausdrücken festgehalten, aber Schwester Daniela hatte Erfahrung genug, um sofort zu wissen, um was es sich handelte. Ein komplizierter Schädelbruch — das war schlimm, sogar lebensgefährlich.

      Schwester Daniela sah auf das bleiche, spitze Gesicht. Ob diese Frau Kinder hatte? Unwillkürlich suchten ihre Augen die wächsernen Hände, die leblos auf der Decke lagen. Die Patientin trug keinen Ring, doch das hatte Schwester Daniela auch nicht erwartet. Schmuck pflegte vor der Operation entfernt zu werden. Aber es schien ihr, als wenn sich am Ringfinger der rechten Hand ein etwas hellerer Streifen auf der Haut abzeichnete, dort, wo ein Ring gesessen hatte, wahrscheinlich der Ehering.

      Daniela wußte, daß Dr. Schmidt die Routineuntersuchungen kurz vor seinem Fortgang durchgeführt hatte. Dennoch hielt sie es für richtig, sich selbst ins Bild zu setzen. Sie kontrollierte Blutdruck, Puls, Atmung und Temperatur, trug die Ergebnisse auf der Tabelle ein. Mit Besorgnis stellte sie fest, daß der Zustand der Patientin sich wiederum verschlechtert zu haben schien. Alle Lebensvorgänge waren stark geschwächt.

      Schwester Daniela knipste die kleine Lampe mit dem runden Pergamentschirm an, drehte das Deckenlicht ab. Sie setzte sich und holte ein Buch aus der Tasche.

      Obwohl sie weit fort war mit ihren Gedanken, registrierte sie dennoch sofort das Geräusch, das sie vom Krankenbett her vernahm. Es war ein rasselndes Atemholen, fast ein Röcheln.

      Schwester Daniela stand auf, legte ihr Buch fort und trat ans Krankenbett. Der Atem der Patientin ging ganz schwach, der Puls war kaum fühlbar. Konnte sie noch länger abwarten, oder war es nicht doch besser, sich sofort mit dem diensthabenden Arzt in Verbindung zu setzen? — Sie hielt schon den Telefonhörer in der Hand, als die Doppeltüren des Krankenzimmers geöffnet wurden.

      »Gut, daß Sie kommen, Herr Doktor«, sagte sie aufatmend, »die Patientin ...«

      »Steht schlecht, wie?«

      Sie gab dem Arzt die Tabelle. »Meine letzten Messungen liegen noch tiefer«, sagte sie.

      »Hm!« Dr. Wörgel ließ sich am Bettrand nieder, schob das Nachthemd an der Brust auseinander, horchte die Herztöne ab.

      »Sauerstoffdusche?« fragte Schwester Daniela.

      Dr. Wörgel lächelte schwach. »Sie hätten Medizin studieren sollen, wie?«

      Daniela wurde rot. »Entschuldigen Sie, bitte.«

      »Da gibt es nichts zu entschuldigen, Sie haben ganz recht. Sauerstoffdusche.«

      Mit Hilfe des Arztes stellte Schwester Daniela den Apparat ein, legte der Patientin das Mundstück an. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie endlich mit Erleichterung bemerkten, daß die Atmung tiefer wurde, der Brustkorb sich zu heben und zu senken begann. Gerade in diesem Augenblick wurde an die Tür geklopft.

      Dr. Wörgel knurrte ungehalten.

      »Soll ich ...«

      »Gehen Sie schon!«

      Noch ein zweites Mal war das Pochen zu hören, diesmal ungeduldiger und heftiger, bevor Schwester Daniela die Tür öffnen konnte. Sie trat sofort hinaus, schloß die Doppeltür hinter sich, nicht gewillt, jemanden ins Krankenzimmer zu lassen.

      Sie stand mit dem Rücken zur Tür, ein wenig geblendet von dem sehr viel helleren Licht im Gang. Es dauerte eine Sekunde, bis sie den unerwünschten Eindringling erkannte. Es war Harald Spielmann.

      2

      Wenn Schwester Daniela später an jene schicksalhafte nächtliche Begegnung im Krankenhaus zurückdachte, dann war sie niemals imstande zu begreifen, wie sie alles hatte ertragen können, ohne ohnmächtig zu werden, ohne zu schreien, ohne in Tränen auszubrechen.

      Der Schmerz, das Entsetzen, die Qual waren so groß, daß sie nicht in der Lage war, ein Wort hervorzubringen. Sie stand wie versteinert und starrte ihn an.

      »Du?« sagte er töricht. »Aber ich dachte ...«

      Er schien nichts von ihrem Entsetzen zu spüren. Sein Gesicht wirkte verblüfft, nicht verstört — eher wie das eines ertappten Schuljungen. Er strich sich mit einer verlegenen Geste über das widerspenstige Haar. »Wie geht es ihr?«

      Schwester Daniela war immer noch unfähig, sich zu rühren. Sie starrte ihn nur an, klammerte sich innerlich an die verzweifelt winzige Hoffnung, daß alles ein Irrtum sein möge, ein Trug.

      »Hör mal«, sagte er, »nun red schon! Was ist los mit ihr?« Mühsam gelang es ihr, ihre Lippen zu bewegen. »Harald ...«, sagte sie und noch einmal: »Harald.«

      »Tut mir leid«, sagte er nervös, »ich kann mir vorstellen, es war ein Schock für dich ... aber schließlich ... ich habe es dir ja nur nicht erzählt, um dich zu schonen. Was hätte es für einen Sinn gehabt, dich zu beunruhigen.«

      »Sie ... ist ... also ... deine Frau?« — Jedes Wort war wie ein Stein, der in einen Tümpel fiel und einen Ring nach dem anderen kreisen ließ.

      »Ja«, sagte er gedehnt, dann fügte er rasch hinzu: »Aber ich liebe sie nicht, Daniela. Du darfst nicht glauben, daß ich sie liebe. Sie ist mir längst gleichgültig geworden. Ich habe mir niemals etwas aus ihr gemacht.«

      »Sie ist verunglückt ...«, sagte Daniela und begriff es erst ganz, als sie es aussprach, »sie ist verunglückt, während du bei mir warst!«

      »Na also. Du siehst, ich hatte nicht das geringste damit zu tun.«

      Wie sinnlos das alles ist, dachte Daniela, wie sinnlos jedes Wort, das wir miteinander wechseln. »Ich muß zurück«, sagte sie laut.

      »Wie geht es ihr?« fragte er noch einmal.

      »Schlecht. Sehr schlecht.«

      »Wird sie ...« Er hielt Daniela am Arm fest.

      »Ich weiß es nicht. Niemand weiß es.«

      »Daniela, bitte, sei doch ehrlich, du hast viel Erfahrung, du hast mir selbst oft gesagt, wieviel Erfahrung du hast! Du wirst feststellen können, ob jemand ... oder nicht ...«

      »Man muß warten!«

      »Verdammt!« Er fuhr mit der Hand in die Hosentasche, zog sie mit einem Päckchen Zigaretten zurück. »Darf man hier ...?«

      Sie deutete stumm auf einen der großen Aschenbecher, die den Gang entlang verteilt waren.

      Er zündete sich eine Zigarette an. »Also hör mal, Daniela«, sagte er, »nun laß uns doch mal ganz vernünftig ...«

      Sie unterbrach ihn. »Ich habe dir nichts mehr zu sagen, Harald.« Sie holte Luft. »Als Krankenschwester möchte ich dir mitteilen, daß deine Frau operiert worden ist, aber das weißt du wohl schon. Sie ist noch nicht aus ihrer Bewußtlosigkeit erwacht. Wahrscheinlich wird sie’s auch nicht so bald. Du kannst warten oder nach Hause gehen, ganz wie du willst. Auf alle Fälle wird man dich

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