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an, unter ihnen Amtszeugnisse zu Hitlers Festungshaftzeit zwischen November 1923 und Dezember 1924. Der Freistaat Bayern konfiszierte das Material per Amtsgerichtsbeschluss, weil das auf dem Antiquitäten-Markt angebotene Konvolut aus Staatsakten bestand »die nicht auf legale Weise« hätten »veräußert werden« dürfen. (Fleischmann, S. 9 ff., Kellerhoff 15)

      Der damalige Direktor des Staatsarchivs München, Peter Fleischmann, gab 2015 die für 90 Jahre zuerst nicht greifbaren und dann verschwundenen Akten heraus. Seine sorgfältig recherchierte, detailliert Rechts- und Fakten-verbindlich kommentierte Edition des Materials ist eine unschätzbare Bereicherung für die Hitler-Forschung, vor allem wegen des nun einsehbaren Materials zur Frühgeschichte der NS-Kristallisation in Bayern.

      Ullrichs »Gewusstes« fasste im Wort »wir« ein Nichtwissen der gesamten Hitler-Forschung zusammen: Weder waren Hitlers Geschlechtsorgane normal entwickelt, noch gibt es Berichte des Leibarztes Theodor Morell über dessen Untersuchungen von Hitlers »Intimbereich«. Ersteres konnte niemand vor dem Auftauchen der Landsberger Festungshaft-Akten wissen. Letzteres zu widerlegen erfordert ein weiteres Buch im Buch, nämlich das Abschluss-Kapitel der Geschichts-prozessualen Zeugen-Vorführung, die Zurückweisung Morells als ersten Ja-Sager, als einen glaubwürdigen Zeugen in Sachen Hitlers Heterosexualität (ANALO).

      Damit jedoch die Diskussion um Hitlers geschlechtliche Normalität oder Unnormalität in Bezug auf seine genitale Beschaffenheit und Aktivität besser geführt werden kann, muss schon jetzt eine der wesentlichsten, verspätet zu Tage getretenen Neuheiten im Wissen über Hitler aus dem Landsberger Aktenmaterial mitgeteilt werden: Am 10. November 1923 fand abends im Landhaus der Hanfstaengls, in das Hitler nach seinem gescheiterten Münchener Putschversuch am 8./9. November 1923 geflohen war, seine Verhaftung statt. Er wurde von der bayerischen Polizei umgehend in die Festung Landsberg transportiert. Dort musste er sich am 12. November 1923 das einzige Mal als Hitler 2 einer amtsärztlichen Untersuchung unterziehen. Mit seiner vom späteren chirurgischen Begleitarzt Hasselbach übermittelten »Scheu, seinen Körper ganz entkleidet zu zeigen«, konnte Hitler diesmal nichts ausrichten. Er musste sich als politischer Gefangener vor dem bayerischen Gefängnisarzt ganzkörperlich freimachen.

      Alles Behauptete von Hitler-Geschlechtsteil-Untersuchungen durch Ärzte wie Morell oder den Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten Giesing wird sich als Fälschung herausstellen (ANALO). Der Landsberger Gefängnisarzt ist der Einzige, der Hitler ganz nackt gesehen hat. Denn eine solche Gesamtkörper-Untersuchung Hitlers war nur diesem Landsberger Gefängnisarzt Dr. Josef Brinsteiner kraft dessen Amtsautorität gegenüber dem Gefangenen Adolf Hitler möglich.

      Das hier interessierende Ergebnis zu Hitlers Geschlechtsteilen hielt Brinsteiner in einer knappen Zeile inmitten seines trocken deutlichen Untersuchungs-Befundes fest: »Hitler, Adolf, 35 J. l. Künstler, zuletzt Schriftsteller, München, 11. XI. 1923 nachts 10 ½ Uhr – […] gesund, kräftig / rechts[gestrichen: links]seitiger Kryptorchismus, Luxation des l(inken) Oberarms vor 2 T(agen) […] Anm. 10: [Kryptorchismus = Lageanomalie eines Hodens mit dauerndem Verbleib im Hodenkanal].« (Fleischmann, S. 417)

      Eingetragen im »›Aufnahme-Buch für Schutzhaft-, Untersuch(ungs-) u(nd) Festungshaft-Gefangene 1919‹ bis 1933 der Anstaltsärzte Dr. Josef Brinsteiner und Dr. Hermann Eller der Gefangenenanstalt Landsberg am Lech.« (a. a. O., S. 405 ff.)

      Ob bei den Untersuchungen von Hitler 1 im Reserve-Lazarett zu Pasewalk im Oktober/November 1918 und bei seiner polizeilich erzwungenen Musterung am 5. Februar 1914 in Salzburg vor der staatlichen Ärzte-Kommission Genital-Check-ups stattgefunden haben, ist urkundlich nicht übermittelt worden. Es existieren zu Pasewalk nur der Eintrag »Gasvergiftung« im erhalten gebliebenen Krankenbuch (Krankenbuchlager Berlin) und in den Zählkarten, ferner das Ergebnis der österreichischen Musterung: »Zum Waffen- und Hilfsdienst untauglich, zu schwach. Waffenunfähig.« (Jetzinger, S. 265)

      Nur Josef Brinsteiner und fast ein Jahrhundert nach ihm Peter Fleischmann haben der Welt Hitlers Solotestis, seinen Monorchismus als Kryptorchismus überliefert.

      Sven Felix Kellerhoff weist Ende 2015 in seiner Welt-Besprechung von Fleischmanns Publikation der Landsberger Gefängnis-Akten daraufhin, dass Dr. Brinsteiner »Nationalist war und Hitlers politische Ziele geteilt« hat. Brinsteiner kann demnach nicht aus Gehässigkeit oder einer »linken Position« heraus Hitler das Einhoden-Syndrom angedichtet haben, um ihn als abnorm zu brandmarken und damit politisch zu diskreditieren. (Kellerhoff 15) Wie wohlwollend Brinsteiner mit Hitler umgegangen ist, schlägt sich in seinem Gutachten vom 8. Januar 1924 nieder. Brinsteiner musste Hitlers Zurechnungsfähigkeit und demnach Verantwortlichkeit für den Münchener November-1923-Putsch amtsärztlich beurteilen. Der Gerichtsmediziner kam »zu der bestimmten Anschauung, dass Hitler stets Herr seiner freien Selbst- und Willensbestimmung war und in seiner Geistestätigkeit nicht krankhaft beeinflusst war.« (Brinsteiner, S. 92)

      Die Zeugen Hasselbach, Maurice und Hanfstaengl sind amtsärztlich bestätigt worden: Hitlers Genitalien waren gemäß der überlieferten Landsberger medizinischen Diagnose beschädigt = nicht normal entwickelt.

       Von klein auf kein »Standbild« fürs Weibliche hinterlassen

      Die Entdeckung der Landsberger Gefängnis-Akte zu Hitlers Monorchismus beantwortet die sexuelle Frage noch nicht, denn – wie Werner Maser in diesem Falle medizinisch richtig argumentierte – der Kryptorchismus führt nicht automatisch zu einer phallischen Impotenz. (Maser 71/01, S. 319 f., 323 f.)

      Und das Hitlersche Ein-Hoden-Syndrom hat so gut wie gar nichts mit dem sexuellen Wunschverhalten eines Mannes zu tun, nämlich damit, worauf sich die Interessen des zweiten Teils der männlichen Geschlechtsorgane richten: Was wollte Hitlers Phallus? Für die Beantwortung dieser Frage ist für Hitler 2 schon die Richtung gewiesen worden: Lusthöhepunkte bei Gewaltakten gegen Männer (Hitlers Männermord-Orgasmus).

      Aber was war vorher – zu Zeiten von Hitler 1? Und war der Männermord-Orgasmus wirklich der einzige Ausdruck von Hitlers Geschlechtsverhalten? Oder gab es nicht doch noch etwas Moderiertes, Temperiertes, Differenziertes?

      Die Beantwortung der Frage wird virulent, da es scheinbar »die Frau an seiner Seite« gab, Eva Braun, die inzwischen von einer Schar angelsächsischer, deutscher und französischer Biografen als »Geliebte des Führers« gehandelt wird. Gegen diese Fehleinschätzung scheint kein Kraut gewachsen zu sein, vor allem dann nicht, wenn von den Autoren und Autorinnen Braun und Hitler immer nur mit Hetero-Fantasie-Versatzstücken betrachtet werden. Deshalb ist bei der »Zeugen-Befragung« Hitlers Interesse gegenüber dem weiblichen Geschlecht von Anfang an zu klären, ab dem Alter, in dem sich sexuelle Motivation zeigt.

      Um die Sexualität Hitlers herauszufinden, muss bei den Zeugnissen zu seiner frühesten Jugend begonnen werden. Ist er jemals in die Fuß-Stapfen Adams getreten, von denen Kulturproduzenten und -produzentinnen immer wieder faseln, weil sie der Verführung eines Vergleichs erliegen: »Adolf und Eva«? (HETERO, 7. Ja-Sagerin) Und das bei jemandem – wie sich alsbald herausstellt –, der nicht einmal Schritte in diese Richtung gegangen ist!

      Mit Ernst Hanfstaengls treffendem Begriff, Hitler sei »ein sexuelles Niemandsland« gewesen, kann schon in die Jugend Hitlers hineingeleuchtet werden. Es gibt eine Chorusline von Zeugen, angehäuft im ehemaligen Hauptarchiv der NSDAP zu dem Zweck der einstmaligen Verfassung einer monumentalen Hitler-Enzyklopädie, einer Dinosaurier-Biografie des Fulminanz-Zerstörers – vergleichbar mit Albert Speers geplantem, zum architektonischen Mega-Germania angeschwollenem Neu-Berlin.

      So versammeln sich in den Akten des Hauptarchivs der NSDAP noch heute einträchtig fast alle Personen, die Hitler in seiner Jugend gekannt haben und die ihm nahe waren – der Linzer Hausarzt, ein Schul- und ein Klavierlehrer, mehrere Mitschüler, der Vormund, bestellt nach dem Tod des Vaters wegen Minderjährigkeit der Kinder, die Hausangestellte, ein jahrelang mit den Hitlers in der Wohnung der Mutter zusammenlebender Pensionsgast, eine Nebenmieterin, eine Café-Kassiererin …

      In anderen Zusammenhängen wurden Interviews mit

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