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sogar zweimal. Welche Aussage ist die falsche? Und warum hat der Zeuge sie in einem bestimmten Moment gemacht? Der Faktor Zeit hilft nicht, denn spätere Aussagen müssen nicht immer Wahrheits-Korrekturen der früheren sein, sondern können jetzt erst Lügen enthalten, die herauszufinden sind. Zusätzlich muss die Erklärung dafür geliefert werden, warum die Fälschungen zuerst oder später gemacht wurden.

      In der Einschätzung von Hitlers Heterosexualität kann man mit diesem Patt der sechs Neins – von denen eines »wackelt« – gegen die fünf Jas keinen Schritt in Richtung Klarheit vorankommen.

      Deshalb muss in die Tiefe und in die Breite gegangen werden, was Seiten-verschlingende Folgen hat: Es müssen alle Zeugen zu Hitlers Heterosexualität, die heute dokumentarisch erreichbar sind, herangezogen werden. Dazu müssen auch die Minus-Botschaften – das Nichts-Sagende – präsentiert werden, falls es in einem bestimmten Zeugnis eigentlich einige Auskunfts-Späne zu Hitlers Heterosexualität hätte geben sollen, so beiläufig fallengelassen sie auch immer sind. Das blanke heterosexuelle Schweigen in einer Zeugenschaft über Hitler sagt selbstverständlich etwas aus. Ebenfalls müssen die Versäumnisse einer Mitteilung über Hitlers heterosexuelle Bedingungen eingesammelt und der Diskussion zur Verfügung gestellt werden. Zuzüglich ist es erforderlich, markante Äußerungen, wie die von den Flecken-losen Laken, komplett zu zitieren. Die Kürzel von zwei bis drei Zeilen geben keine genügende Kontur, wenn es um so etwas Kompliziertes wie die Sexualität einer öffentlichen historischen Person geht.

      Klarheit über die Sexualität eines Menschen herzustellen ist in der Geschichtsschreibung das Komplizierteste überhaupt, weil bis in das 21. Jahrhundert hinein Menschen sich über ihre eigene Sexualität nicht schriftlich festgelegt haben und Geschichtswissenschaft nur mit Hilfe von Dokumenten, Zeugnissen und Zeugenaussagen möglich ist, um sich vom historischen Roman abzugrenzen, in dem fantasiert werden kann, was das Papier aushält. Die Schamschwelle in Sachen Sexualität reicht bis zum Beobachten des Geschlechtlichen bei anderen Menschen. Auch Umfeld-haft wird bei Sexualität eher weg-, als auf sie hingeschaut. Sex präsentiert sich im Bewusstsein der Öffentlichkeit immer nur mit den Daten von Heirat und Kindergeburten. Wenn beides wie bei Hitler im Verlaufe seines Daseins nicht stattfand, beginnt die Arbeit einer Montage aus Kubikmillimeter-kleinsten Steinchen.

      Als Inge Jens 2010 aus Anlass der Publikation ihres Buches über ihre Ehe mit ihrem inzwischen dement gewordenen Mann, dem ehemaligen Tübinger Rhetorik-Professor und jahrzehntelangen BRBonn-Kultur-Träger Walter Jens, in einem Fernseh-Interview gefragt wurde, warum Sex in ihren Unvollständigen Erinnerungen nicht vorkomme, antwortete sie schlagfertig: »Das muss man können! Ich kann so etwas nicht.«

      Auch die gängige Hitler-Biografik kann so etwas nicht und lässt die Gesellschaft mit ihrer Darstellungs-Abstinenz bis ins dritte Jahrtausend hinein im Regen stehen. Die bisherige Hitler-Biografik leistet sich ihre Enthaltsamkeit guten Gewissens, weil sie davon ausgeht, Sex gehöre zum Privatleben, Hitler habe jedoch als öffentliche Person politisch oder psychiatrisch geknackt zu werden und nicht sexuell.

      Die 68er Protest- und die Nach-68-Emanzipations-Bewegungen fanden heraus: »Das Private ist politisch.« Und: »Das Politische konditioniert das Private.« Hinter diese überall verifizierbare Wahrheit sollte auch bei einer Hitler-Studie nicht zurückgefallen werden, vor allem dann nicht, wenn es darum geht, den deutschen Staatsterroristen als sexual-deviant freizulegen. Deshalb gilt es, mit dem Achselzucken der Hitler-Biografik Schluss zu machen, ihr Jacke-wie-Hose zu beenden, das Ungenaue und Unsaubere, ja bei den Hitler-Biografen Werner Maser und David Irving sogar das absichtlich Falsche zu überwinden. Wenn dargestellt werden soll, Adolf Hitler war eine sexopathia masculinis, darf es weder Hemmschwellen noch Aussparungen und Beiseite-Lassungen geben.

       Geschichts-Prozess gegen Zeugen-Auswahl-Diktatur

      Die Braun-Biografin Heike Görtemaker ist wie alle ihre Vorläufer und Vorläuferinnen davon überzeugt, dass es zwischen Braun und Hitler sexuell geklappt hat. Anders als mit Otto-und-Ottilie-Normalverbraucher-Kategorien kann bezeichnenderweise bis heute über Eva Braun nicht »Biografie gemacht« werden.

      Die Braun(-Teil)-Biografin, die Bearbeiterin aller näheren Beziehungen Hitlers zu Frauen, Anna Maria Sigmund, ist die Einzige, die die Mann-Frau-Aktions-Rinne Braun/Hitler verließ, die sie noch in ihren Nazifrauen-Büchern beschritten hatte. (Sigmund 98–13) Sigmund machte in ihrer Einzelstudie über Sexualität im Dritten Reich eine Kehrtwendung. Sie rückte nun auch Hitlers Sexualität zuleibe und kam zu dem oben schon zitierten Ergebnis: Hitler »benutzte« Eva Braun »nur zur Kaschierung seiner sexuellen Abstinenz«. (Sigmund 08 I, S. 19 f.)

      Dieses eiserne Ergebnis von Sigmunds Forschung zur Sexualität bei Hitler und den Seinen wurde prompt von den Hitler-Braunbiografischen sexuellen Verpaarschaftern, der Braun-Biografin Heike Görtemaker und dem Hitler-Biografen Volker Ullrich, umgangen. Sigmunds Expertise wird von Görtemaker und Ullrich weggelassen, damit deren Mann-Frau-Beziehungs-Dreh im Falle Braun-Hitlers leichter vonstatten geht.

      Große Teile des kommenden Textes von Hitler 1 und Hitler 2 für die Freilegung der Hitler’schen Sexualität setzen sich mit der Vorgehensweise des zweitjüngsten Hitler-Biografen Volker Ullrich auseinander, um zu zeigen, wie er es erreicht, der deutschen Öffentlichkeit 2013 und der Anglo-Öffentlichkeit 2016 einen hetero-intakten Hitler zu liefern. In viel kürzerer Weise kann bei Heike Görtemaker entblößt werden, wie es ihr gelingt, die Beziehung zwischen Braun und Hitler in ein »Feuchtgebiet« zu verlegen. Görtemaker bringt auf fünf Seiten acht Pro-Bezeugende und schmettert zwei Kontra-Statements mit verschiedenen Mitteln ab. Die fünf Seiten sind durch 130 Zwischenseiten auseinandergerissen, sodass ein Zusammenhang zwischen den zweimal vier »Ja«-Sagenden bei einmaliger Lektüre nicht hergestellt werden kann. Die ersten vier Jas stehen auf den Seiten 41/42 der neuesten englischen Ausgabe ihres Buches von 2011. Görtemaker beschäftigt sich an dieser Stelle mit dem Beginn der Beziehung Braun-Hitler und will sich da schon entscheiden, ob feucht oder trocken. Die übrigen vier Jas treten erst auf, als es um die Präsentation von Meinungen der Leute im Hitler-Umfeld geht, was dieses Umfeld so über Hitlers Verhältnis zu Braun gedacht und davon mitbekommen hat. (Görtemaker 11 I, S. 169 ff.)

      Achtmal Ja und zweimal Nein, die als unglaubwürdig hingestellt werden. Das ist ein wahrlich eigenwilliger Umgang mit Zeugen und Zeuginnen. Auch auf die Braun-Biografinnen und -biografen färbt Adolf Hitler noch ab, was ständig mit Ausnahme des meist zu absoluter Distanz befähigten Ian Kershaw beobachtet werden kann.

      Es musste gegen jenes diktatorische Verfahren mit Zeitzeugen ein Geschichts-Prozess aufgerollt werden, dessen Ergebnis vorweggenommen wird, um schon jetzt ein Verständnis dafür hervorzulocken, dass mit Hitlers Heterosexualität, so wie Görtemaker und Ullrich es machen, nicht mehr umgegangen werden darf, denn Görtemakers Vorlaufende in der Braun-(Teil)-Biografik, Gun, Charlier/de Launay, Johannes Frank und Angela Lambert, verflüssigten die Beziehung Braun-Hitler mit anderen »unkoscheren« Mitteln und arbeiteten dem Heterosexualisten Werner Maser in die Hände, der seit 1971 bis in die jüngste Gegenwart mit um die hundert Auflagen, Ausgaben und Übersetzungen seiner Bücher Hitler höchst erfolgreich in die Hetero-Schablone gezwängt hat – bis zur Andichtung eines nicht-ehelichen Sohnes.

      »So kann es nicht bleiben!«, lautet Heinrich Manns berühmter Refrain in seinem Roman Die Jugend des Königs Henri IV. Hitler-Biograf Werner Maser hat mit Volker Ullrich einen kompetenten Nachfolger erhalten, der weiter an der Verheterosexualisierung Hitlers werkelte, ja zu dichten anfing, wenn Hitler stattdessen endlich hätten die Hosen runtergezogen werden müssen.

      Für die Zeitzeugen-»Verhöre« werden erst einmal 23 Hitler-Nahe angeführt, die ihn als heterosexuell inaktiv beschreiben werden. Demgegenüber werden von zwölf Voten pro Hitlers heterosexuelle Funktionstüchtigkeit nach einem intensiven »Kreuzverhör« nur vier als ernstzunehmende Aussagen übrig bleiben. Während der Behandlung der Pros und Kons wird die Zahl der Neins gegenüber Hitlers heterosexueller Ausdruckskraft auf 40 anwachsen, also fast das Doppelte der fürs Erste vorgestellten 23. Am Schluss wird es ein Verhältnis zwischen vier Jas und 40 Neins geben = eine 1-zu-10-Gegenüberstel-lung. In Ansehung der einzelnen Pro-und Kontra-Zeugen wird auf die Argumentationsweise

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