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Trabe angefahren. Plötzlich stand das Fahrzeug still, und der darinsitzende Herr rief mir zu, mich an seine Seite zu setzen. Ich war natürlich darüber sehr verwundert. Wie groß war aber erst mein Erstaunen, als ich in dem Herrn meinen Wohltäter und Lehrer Heinrich Heine erkannte. Mit einem Satz sprang ich in die Droschke, die nun schnell weiterfuhr. Der Dichter reichte mir freundschaftlich seine Hand, die ich unter Tränen der Freude küßte und an mein Herz drückte. Er aber fragte: „Auch Saul unter den Propheten?“ Nun erzählte ich ihm, was mich veranlaßt hatte, nach Hamburg zu gehen, und wie ich mich in meinen Hoffnungen leider getäuscht sah. Der edle Mann schien über meinen Kummer sehr gerührt und forderte mich auf, mit ihm nach Wandsbek zu fahren, was ich mir natürlich zu einer sehr hohen Ehre anrechnete und sehr gern tat. In Wandsbek fand ich freundliche Aufnahme bei einer Familie, deren Verwandte meine Wohltäter in Berlin gewesen waren. Während meines Aufenthaltes daselbst traf ich Heine jeden Morgen mit einem Buche in der Hand in dem dortigen schönen Park. Er unterhielt sich gütig mit mir und wiederholte oft seinen Rat, nach London zu übersiedeln. Als ich von dem edlen Manne Abschied nahm, gab ich ihm das Versprechen, seinem Rate zu folgen. Er wünschte mir herzlich Glück zu meinem Vorhaben und riet mir, nur ja die Courage im Leben nicht zu verlieren. Ich würde hoffentlich in England, so sagte er, ein neues Adoptivvaterland finden. Seit jener Zeit habe ich Heine nicht wiedergesehen...

      Ich muß noch nachtragen, daß ich durch Vermittlung Heinrich Heines, des Predigers Dr. Gotthold Salomon und anderer wohltätiger Männer wirklich auch die Mittel zur Überfahrt nach London erhalten habe.

      199. Johann Peter Lyser119

      Frühjahr 1830

      ... Heine und ich vertrugen uns scharmant zusammen, als wir in Hamburg lebten, und besuchten einander fleißig; den vierten Reisebilderteil schrieb Heine zur größten Hälfte auf meinem Stübchen, weil er dort ungestörter war als in seiner eigenen Wohnung, wo er oft allerlei ungelegenen Besuch bekam. Er ging nicht leicht ans Niederschreiben, saß er aber einmal da, so arbeitete er wacker darauflos, vergaß den Mittag und schrieb, bis es dämmerte, während ich zeichnete. Abends schrieb Heine nie, wogegen ich erst spät abends meine Schreiberei begann, wie es noch meine Gewohnheit ist; die Dämmerungsstunden verbrachten wir aber an solchen Tagen recht gemütlich miteinander – ich kochte Tee und Erdäpfel in der Montur, und Heine spendierte einen holländischen Hering, Zucker und Rum, und so tafelten wir miteinander, schwatzten und lachten bis 9 Uhr, wo er gewöhnlich noch ein Stündchen zu Marr oder in den Alsterpavillon ging; war er eben bei Kasse, so mußte ich mit von der Partie sein, und dann wurde nicht selten „schlampampt“, wobei ich das meiste tat, denn Heine war, was Essen und Trinken betraf, sehr mäßig.

      Das währte so den Winter hindurch bis zum Frühling. Da mietete sich Heine eine Wohnung in Wandsbek und schied in übermütigster Laune von mir, dem es gar nicht recht war, daß wir den Sommer so weit voneinander entfernt wohnen sollten.

      Jedoch schon nach wenigen Tagen trat eines Morgens eine vierschrötige wandsbekische Lütje-Maid (Kleinmagd) in mein Zimmer und brachte mir ein Billett von Heine mit der dringenden Einladung, ihn doch sobald als möglich in Wandsbek zu besuchen, denn er sei unwohl und langweile sich wie der Mops der Frau Senatorin---, wenn sie zarte Lieder sänge.

      Ich sagte zu, am andern Tage hinauszukommen, wenn das Wetter gut sei; und da das Wetter am andern Morgen wirklich herrlich war, so machte ich mich früh auf und schlenderte dem reizend gelegenen Dorfe zu.

      Ich war früher noch nie in Wandsbek gewesen, brauchte daher einige Zeit, um den Gasthof aufzufinden, wo Heine logierte. Wie gewöhnlich, hatte Heine sich für vieles Geld ein miserables Logis gemietet: ein hohes, weites, dunkles Zimmer zu ebener Erde, wo man fror, wenn es draußen noch so heiß war, kahle Wände, zwei Stühle, ein altes Sofa, ein zerbrechliches Bett, dafür zahlte Freund Heine per Monat 30 Mark und war sehr verwundert, als ich ihn überzeugte, daß er für 10 Mark eine unendlich komfortablere und gesündere Wohnung in demselben Hause hätte erhalten können. – Er ließ es aber dabei bewenden und begnügte sich damit: den Wirt, der ihn auf so unverschämte Weise geprellt hatte, einen Spitzbuben zu nennen, was dieser um so weniger übelnahm, als Heine noch zwei Monate lang den unerhörten Zins fortzahlte.

      Heine, als ich eintrat, lag auf dem Sofa und empfing mich auf die herzlichste Weise. Tee, Zucker, Rum, Butter, Brot, Käse, harte Eier und gesottene Krebse waren im Überflusse auf dem Tische geordnet, die „Lütje-Maid“ erschien, und ich mußte, wie gewöhnlich, den Tee bereiten.

      Heine, trotz seines angeblichen Unwohlseins, ließ sich’s an diesem Morgen trefflich munden, und als ich darüber meine Glossen machte, gestand er mir lachend, daß er sich eigentlich nicht unwohl befände und es mir eigentlich nur geschrieben habe, damit ich sicherer kommen und in Hamburg davon reden solle, wo er dann sicher vor andern Besuchen sei.

      Ich nahm das für kein Kompliment und es war auch keines. Heine hatte in Hamburg mir schon zu oft bewiesen, daß ihm oft Tage kamen, wo er mit niemandem reden mochte als mit mir, weil ihn im Grunde niemand so verstand als ich – wenn er seine bösen Tage hatte.

      „Aber Heine, wie können Sie bei so himmlischem Wetter in diesem kalten, finstern Loche liegen? Genießt man so einen Frühlingsmorgen auf dem Lande, und zwar an demselben Orte, wo der ehrliche Claudius seine Frühlingslieder sang?“

      „Claudius? Wer ist das?“

      „Asmus, der Wandsbeker Bote!“

      „Den kenn’ ich nicht!“

      „Natürlich, Sie kennen ja auch Schillers Gedichte nicht.“

      „Gewiß! Ich habe sie nie gelesen!“

      „Es ist auch soviel nicht dran!“

      Heine merkte, daß er mich nicht mehr wie früher damit ärgern könne, wenn er sich stellte, als habe er nichts von Schiller und andern meiner Lieblingsdichter gelesen! Wußte ich’s doch jetzt, daß er oft gerade die am höchsten stellte, die er nicht zu kennen sich das Ansehen gab.

      „Aber hier hab’ ich wirklich schöne Gedichte!“ sprach er nach einer Weile, und reichte mir ein elegantes Büchlein hin; es waren Lieder ihm zugeeignet und ganz und gar in seiner Manier geschrieben [Gaudys „Erato“]. – Ich hatte das schon nach den ersten zwei Versen weg, und warf das Buch beiseite, indem ich ausrief: „Wie ist doch die Natur im allgemeinen so schön!“

      Heine brach in ein lautes Gelächter aus und schrieb sofort diese Kritik auf das Titelblatt des Buches; dann aber sprach er: „Übrigens habe ich dieser Tage einige Lieder in einem Leipziger Journale von einem Dichter: ‚Hermann Meynert‘ gelesen, die mich frappiert haben; unter allen meinen Epigonen hat keiner so meine Art und Weise getroffen als eben der, und einige dieser Nachbildungen sind wirklich poetisch! – Spaßeshalber: versuchen Sie’s mal hier auf der Stelle, in meiner Manier ein Liedchen zu improvisieren, ein bißchen frivol, denken Sie dabei an die schöne Wantuh und Ihr letztes Abenteuer mit derselben bei [Georg] Lotz, als Madame Lotz nicht zugegen war.“

      Ich ließ mich nicht lange bitten und warf ein Liedchen hin, welches die Veranlassung zu einem der anmutigen Lieder Heines wurde, weshalb ich es hier mitteile. Es lautet:

      „Magst du dich auch selbst belügen,

      Mich belügst du nicht, mein Kind!

      Möglich, daß die Küsse trügen,

      Wie oft Worte möglich sind.

      Nicht entscheid’ ich solche Fragen!

      Lüg’ mit Worten, lüg’ im Kuß,

      Lüge dreist – ich will’s drauf wagen,

      Weil ich dich schon lieben muß.“

      Heine las das Lied und sprach rasch: „Nicht übel – bis auf den Schluß, der an Goethes Art und Weise erinnert – warten Sie! So würde ich’s gegeben haben!“ Und er schrieb:

      „In den Küssen – welche Lügen!

      Welche Wonne in dem Schein! –

      Ach, wie süß ist das Betrügen,

      Süßer

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